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»DIE LINKE verteidigt das Recht auf Bildung«

Interview der Woche von Agnes Alpers, Nicole Gohlke,

Agnes Alpers, Sprecherin für berufliche Aus- und Weiterbildung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Nicole Gohlke, hochschulpolitische Sprecherin, über die soziale Lage von Lernenden in Deutschland, soziale Ausgrenzung, Studiengebühren und eine bessere Ausbildungsvergütung


Vergangene Woche beschäftigten sich die Abgeordneten im Bundestag mit dem aktuellen BAföG-Bericht. Wie sieht die soziale Lage von Lernenden in Deutschland aus?

Nicole Gohlke: Das deutsche Bildungssystem ist nach wie vor durch eine hohe soziale Selektivität gekennzeichnet. ArbeiterInnenkinder haben deutlich geringere Chancen auf ein Studium als Kinder aus AkademikerInnen-Haushalten. Während nur 24 Prozent der Kinder aus ArbeiterInnenfamilien ein Studium beginnen, sind es bei den Kindern von AkademikerInnen 71 Prozent. Dieses Verhältnis hat sich durch die unsoziale Politik der letzten Regierung, durch das Einfrieren von BAföG-Sätzen und auch durch Gebühren im Studium et cetera in den vergangenen Jahren zu Ungunsten der sozial schlechter gestellten Schichten verstärkt.

Trotzdem ist es zum Glück nicht mehr so, dass nur eine kleine Elite studiert. Fast 2,5 Millionen Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten sind heute an den Hochschulen. Einer oder einem Studierenden stehen durchschnittlich 800 Euro im Monat zur Verfügung. Viele sind auf staatliche Unterstützung durch das BAföG angewiesen. Viele arbeiten auch nebenbei in Restaurants oder Call-Centern, um sich etwas dazuzuverdienen.

Wie sieht es bei den Auszubildenden aus - sind sie ähnlich betroffen wie die Studierenden?

Agnes Alpers: Die soziale Ausgrenzung setzt sich nach der Schule auch in der Ausbildung fort. Besonders betroffen sind junge Menschen mit "geringen" Schulabschlüssen, Frauen, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit Migrationshintergrund. Nur jede/r Dritte mit Migrationshintergrund erhält einen Ausbildungsplatz. So landen jährlich immer noch fast 300.000 junge Menschen in Maßnahmen des sogenannten Übergangssystem, obwohl sie eine Ausbildung absolvieren wollen. Insgesamt haben wir 1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Berufsausbildung.

Denen, die einen Ausbildungsplatz erhalten haben, wird im Durchschnitt (errechnet aus drei Lehrjahren) eine Ausbildungsvergütung von rund 700 Euro vom Betrieb gezahlt. Im Hotel- und  Gaststättengewerbe oder in Berufen wie Einzelhandelskauffrau, Maler, Lackierer oder Friseurin an, reicht die Vergütung nicht. Ein Friseurlehrling im Osten verdient im Schnitt 269 Euro brutto im Monat. Die gleiche Tätigkeit wird im Westen zwar 200 Euro brutto mehr vergütet, aber Wohnraum und eigenständiges Leben sind auch hiervon nicht zu bestreiten.

DIE LINKE fordert in einem Antrag zum BAföG-Bericht, das BAföG zu reformieren. Worum geht es da konkret?

Nicole Gohlke: Das BAföG ist eine unverzichtbare soziale Errungenschaft, die es vielen Menschen aus einkommensschwachen Haushalten ermöglicht zu studieren. Für 80 Prozent der Studierenden aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Familien wäre ein Studium ohne BAföG nicht denkbar. Studien zeigen allerdings, dass der BAföG-Satz schon lange nicht mehr den Bedarf deckt – insofern ist es ein wirklicher Skandal, dass die Bundesregierung die Mittel für das BAföG nicht endlich aufstockt. Ein weiteres Problem ist zudem die Finanzierungslücke zwischen dem Ende des Bachelor-Studiums und dem Beginn eines Master-Studiengangs sowie der Darlehensteil, der jungen Menschen am Beginn ihres Berufslebens erst mal mit einem Schuldenberg zurücklässt. DIE LINKE fordert darum, den Fördersatz und den Freibetrag um jeweils 10 Prozent zu erhöhen, die Förderlücke zwischen Bachelor und Master zu schließen und die Rückkehr zum Vollzuschuss.

Sie fordern auch, Studiengebühren abzuschaffen. Bohren Sie da dicke Bretter?

Nicole Gohlke: Nein, mit dem Volksbegehren gegen Studiengebühren in Bayern und der anstehenden Landtagswahl in Niedersachsen haben wir jetzt die Chance deutschlandweit Schluss zu machen mit dieser unsozialen Abgabe. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Studiengebühren. Wenn man sich die soziale Lage der Studierenden ansieht, wird klar, dass es einen wichtigen Unterschied macht, ob man 500 Euro pro Semester mehr bezahlt. Für viele junge Menschen sind Studiengebühren ein Grund, auf ein Studium zu verzichten. Drei Viertel derjenigen, die auf ein Studium verzichten geben finanzielle Gründe an. Davon sind insbesondere Frauen und Kinder aus nicht-akademischen Haushalten betroffen. DIE LINKE verteidigt das Recht auf Bildung und sieht in der Bildung eine öffentliche Aufgabe und fordert darum die Abschaffung sämtlicher Studiengebühren.

Gibt es Unterschiede zwischen der Situation in Bayern und der in Niedersachsen?

Nicole Gohlke: Bayern und Niedersachsen sind die letzten beiden Bundesländer, die noch Studiengebühren verlangen und bilden damit die unsozialen Hochburgen der Hochschullandschaft. In Niedersachsen müssen die Studierenden seit 2007 jedes Semester 500 Euro bezahlen. In Bayern werden an Fachhochschulen zwischen 100 und 500 Euro pro Semester verlangt und an Universitäten 300 bis 500 Euro. Dabei schöpfen jedoch fast alle Hochschulen den Höchstrahmen aus. In beiden Bundesländern besteht jetzt die Chance, Studiengebühren abzuschaffen. In Bayern wurde ein Volksbegehren gestartet, das auch von DIE LINKE unterstützt wird. In Niedersachsen wird es im Vorfeld der Landtagswahl am 18. Januar eine Demonstration der Studierenden geben. Dort werden sie zeigen, was sie von Studiengebühren halten – wir unterstützen sie dabei!

Niedersachsen lässt nicht nur seine Studierenden zahlen. Das Land hat im bundesweiten Vergleich eine der höchsten Quoten an jungen Menschen, die nach der Schule keine betriebliche Ausbildung machen, sondern an Übergangsmaßnahmen teilnehmen. Woran liegt das?

Agnes Alpers: In Niedersachsen landeten im vergangenen Jahr 47.600 junge Menschen in Maßnahmen des Übergangssystems. Das sind mit 37,5 Prozent aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger – fast zehn Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt. Diese Anzahl ist im Wesentlichen mit zu wenig betrieblichen Ausbildungsangeboten zu erklären. Bundesweit bilden nur noch 22,5 Prozent der Betriebe aus. Es gibt natürlich auch junge Menschen, die Unterstützung benötigen. Für sie ist zum Beispiel eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme sinnvoll, wenn sie danach verlässlich in Ausbildung führt. Allerdings betrifft das deutlich weniger als 300.000 junge Menschen, die sich aktuell in Übergangsmaßnahmen befinden.

Was müsste geschehen, damit junge Menschen eine gute, motivierende Perspektive für ihr Berufsleben haben?

Agnes Alpers: Zunächst einmal müsste dafür gesorgt werden, dass alle jungen Menschen, die eine Ausbildung machen möchten, einen Ausbildungsplatz erhalten. Wir brauchen endlich ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen. Zudem muss die Berufsberatung ausgeweitet und qualitativ verbessert werden. Außerdem fordern wir als LINKE, dass rechtskreisübergreifend umfassend beraten und vermittelt wird und im Jobcenter die Vermittlung in Ausbildung Vorrang vor der Vermittlung in prekäre Arbeit hat. Wesentlich wird in den nächsten Jahren sein, dass mehr Menschen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft, Geschlecht oder Behinderung, beteiligt werden, denn für die Zukunft brauchen wir alle. Will man junge Menschen für Ausbildung motivieren, so muss die Ausbildungsvergütung so hoch sein, dass man davon selbstständig leben kann.

Darüber hinaus muss die Qualität der Ausbildung stimmen. Viele Überstunden, zu wenig Zeit zum Lernen, ausbildungsfremde Tätigkeiten; die sind nur einige Kriterien, warum zum Beispiel fast die Hälfte der Azubis in Berufen des Hotel- und Gaststättengewerbes ihre Ausbildung abbrechen. Und Perspektiven kann man dann für junge Menschen schaffen, wenn sie nach der Ausbildung übernommen werden und nicht prekär arbeiten und leben müssen.

Was kann DIE LINKE auf parlamentarischer Ebene auf Bundes- und Länderebene dazu beitragen?

Agnes Alpers: DIE LINKE fordert seit Jahren das Recht auf Ausbildung und eine solidarische Ausbildungsplatzumlage, um Ausbildungsplätze für alle zu schaffen. Dies haben wir in unserem aktuellen Antrag nochmals verdeutlicht und zahlreiche Umsetzungsperspektiven herausgearbeitet. Momentan ist ein Antrag im Umlauf, der eine stärkere Ausbildungsbeteiligung von Frauen einfordert. Wir arbeiten mit zahlreichen gesellschaftlichen Kooperationspartnern und –partnerinnen zusammen sowie mit den linken Landtagsfraktionen zusammen, um Anträge und Anfragen zu gestalten. Ein Beispiel hierfür ist die Ausbildungssituation im Hotel- und Gaststättengewerbe. Hierzu haben wir im Bundestag eine Anfrage gestellt und eine Broschüre, die ich zusammen mit Bremer Azubis aus der Branche ausgearbeitet hatte, an alle Landtagsfraktionen der LINKEN gesendet. So wurde das Thema in vielen Bundesländern im Parlament und in der Öffentlichkeit vorangetrieben.
Gemeinsam handeln und Veränderungen vorantreiben, das sind unsere Schritte, um eine gute Ausbildung  für alle umzusetzen. Dafür ist eine starke LINKE, auch im Niedersächsischen Landtag, unerlässlich.

linksfraktion.de, 18. Dezember 2012