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Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, spricht während einer Fraktionssitzung

Die Krise nagt an der Demokratie

Im Wortlaut, n-tv,

Wer trägt die Lasten der Krise? Wer zahlt am Ende für die Rettungspakete? Auch um unsere Demokratie zu schützen, dürfe die Rechnung dieses Mal nicht an die Allgemeinheit gehen, fordert der Fraktionsmanager der Linken.

 

Von Jan Korte

 

Die Welt ist im Ausnahmezustand und die Corona-Krise bestimmt seit fast zwei Monaten unser aller Leben. Das Virus hat nach kürzester Zeit offengelegt, auf wen es in der Gesellschaft in Krisenzeiten ankommt: Lagerarbeiter, Regalauffüller, Mitarbeiter von Lebensmittel-Lieferdiensten, Auslieferungsfahrer, Angestellte der Gemeinden, Krankenhauspersonal, Haushalts- und Pflegehelfer, Fernfahrer. Also größtenteils Menschen in schlecht bezahlten Berufen, in denen sie vor Ort sein müssen und dabei ihre Gesundheit unmittelbar aufs Spiel setzen. Dafür gebührt ihnen unser Dank und unsere Solidarität. Aber während ihnen vor einigen Wochen noch allseits applaudiert und ihre Bedeutung für das Funktionieren der Gesellschaft gepriesen wurde, ist von den anvisierten Lohnerhöhungen in den chronisch unterbezahlten systemrelevanten Berufen nichts geblieben. Wo bleibt der Pflegegipfel? Wo der Gipfel zum Aufbau eines krisenfesten Gesundheitssystems? Wo der Gipfel gegen prekäre Beschäftigung und zum Abbau des Niedriglohnsektors?

Stattdessen diskutiert die Bundesregierung auf Autogipfeln mit den Konzernchefs über öffentlich finanzierte Kaufanreize für Neuwagen. Nach Auffassung der Autobosse sollen Pfleger, Lageristen und die Kassierer Steuern zahlen, damit ihre Aktionäre schön weiter Gewinne einstreichen. Das ist so unverschämt und so unfassbar ungerecht, dass die Bundesregierung diese Gespräche sofort abbrechen sollte.

Überhaupt haben Wirtschaftsvertreter und ihre Fürsprecher nach dem ersten Schrecken und den Bildern aus Italien, Frankreich und Spanien mittlerweile die Zurückhaltung komplett abgelegt. In der verständlichen Debatte darüber, wie lange Kontaktverbote noch gelten sollen, Kinder nicht die Schule oder die Kita besuchen können und oder Gaststätten geschlossen bleiben, führen sie einen Frontalangriff auf jede Vorsicht und Vernunft. Statt eine gesellschaftlich notwendige Debatte auf Grundlage belastbarer Zahlen, wie die Maßnahmen wirken und welche Lockerungen sich gut begründen lassen, zu führen, fordern FDP, AfD und andere Marktradikale hemmungslos ein baldiges oder sogar sofortiges Ende der Corona-Maßnahmen. Der gesellschaftliche Konsens, dass der Schutz aller Priorität habe, wird zunehmend von rechts aufgekündigt. Nun soll es in erster Linie um die Gewinne der Unternehmen gehen. Am deutlichsten auf den Punkt brachte diese menschenverachtende Einstellung der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, als er seine Forderung nach einem Ende des Lockdown damit begründete, dass wir durch die Beschränkungen "möglicherweise Menschen (retten), die in einem halben Jahr sowieso tot wären".

Was CDU/CSU, FDP, AfD und viele aus der SPD am liebsten sofort vergessen machen würden: Dass in der Krise der Markt, der angeblich alles regelt, versagt hat. In den letzten Wochen haben wir uns auf die Forschung staatlicher Universitätskliniken verlassen und waren froh darüber, dass die Neoliberalen unser Gesundheitssystem nicht in Grund und Boden gespart haben wie in Großbritannien. Die Zeiten des schwachen Staats, des öffentlichen Investitionsstaus, der Renditemedizin und der Privatisierung öffentlicher Aufgaben sind vorbei. Und es wäre hochgefährlich, auch dieses Mal wieder die kleinen Leute für die Krise zahlen zu lassen und nicht vor allem diejenigen, die in den letzten Jahren Milliarden gescheffelt haben.

Neben den Rettungspaketen, die gerade geschnürt werden, brauchen wir deshalb auch einen Schutzschirm für die Demokratie, der aus drei Teilen besteht: Einer einmaligen Vermögensabgabe für das reichste Prozent der Bevölkerung, wie das Grundgesetz sie ausdrücklich vorsieht. Das Gesundheitssystem muss entprivatisiert werden, damit unsere Krankenkassenbeiträge in gute Ausstattung und gutes Personal fließen, statt in Gewinnauszahlungen. Und zuletzt muss das Verhältnis von Politik und Wirtschaft unmißverständlich neu definiert werden: Dass Konzerne im Regelfall maximale Freiheit für sich und ihre Aktionäre beanspruchen, Dividenden in die Höhe treiben und Einnahmen über Steueroasen abwickeln, im Krisenfall aber beim Staat anklopfen, um die Hilfe der Steuerzahler zu verlangen - das darf es in Zukunft nicht mehr geben. Das zu regeln, ist eine Kernfrage der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

n-tv,