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Die Krise hat ein weibliches Gesicht. Eine linke Wirtschafts- und Sozialpolitik auch!

Kolumne von Yvonne Ploetz,

Von Yvonne Ploetz, frauenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag


Soviel steht fest: Auch das neue Jahr wird wieder ein Krisenjahr. Eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik, die trotz all der ökonomischen und sozialen Verwerfungen der letzten Monate und Jahre, nicht von den neoliberalen Glaubenssätzen lassen will, wird neben der allgemeinen Instabilität des finanzmarktdominierten Kapitalismus dafür Sorge tragen.   Noch kurz vor Weihnachten haben die deutsche und französische Regierung im Duett der gesamten Eurozone ein rigides Sparprogramm verordnet. Dieses wird den Euroraum weiter destabilisieren. Eine europaweite Schuldenbremse soll installiert werden. Mit ihr sollen die Staatsdefizite gesenkt werden, soll die Verschuldungskrise in den Griff gebracht und die Finanzmärkte beruhigt werden.   Wer jedoch das kleine ökonomische Einmaleins beherrscht, wird zu einem anderen Ergebnis kommen als die selbst erklärten Haushaltssanierer à la Merkel, Schäuble und Sarkozy. Wo eine globale Rezession droht, führt der neoliberale Sparwahn direkt in den Abschwung. Wenn die Staaten dem neoliberalen Credo entsprechend ihren Gürtel noch enger schnallen, wird dies weitreichende negative Folgen haben. Die Sparbemühungen werden nicht nur abermals zulasten der Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaft gehen, die Konjunktur wird auch endgültig abgewürgt werden – und in Folge werden die Staatsdefizite größer und nicht kleiner werden. Und auch Deutschland, dessen Arbeitsmarkt bisher von der Krise weitgehend verschont geblieben ist, wird dann rasch in den Strudel geraten. Denn die Bundesrepublik ist ein Exportland, das einen nicht unbeachtlichen Teil seiner Waren in die anderen Euroländer ausführt. Sobald diese am Boden der Rezession angekommen sind, werden sie auch weniger Waren aus Deutschland einkaufen. Die Krise greift dann auf die BRD über.   Gelegentlich lässt sich im Blätterwald der deutschen Presse die These finden, dass Frauen so etwas wie die Gewinner der Krise wären. Das ist schlicht falsch. Die Krise hat sogar ein ausgesprochen weibliches Gesicht. Aber worauf stützt sich die These? Ausschließlich auf die Beobachtung, dass beim Einbruch der Wirtschaftsleistung in der BRD in den Jahren 2009 und 2010 mehr Männer als Frauen von dem vorübergehenden Arbeitsplatzabbau betroffen waren. Dass dies so war, kann auch nicht überraschen, sind doch die von Männern weiterhin dominierte Industrie- oder auch Baugewerbe im Allgemeinen sehr konjunkturanfällig.   Ein Blick, der rein auf die BRD und auf die quantitativen Arbeitslosenzahlen ausgerichtet ist, greift aber zu kurz. Nicht nur, dass die europaweiten Zahlen für Frauen schon weit weniger rosig aussehen als für die Bundesrepublik allein, der zahlenfixierte Blick, der nur auf Beschäftigungshöhen schielt, verstellt uns in wichtigen Punkten die Sicht. Er sagt wenig über die Art und Weise aus, in der Frauen gegenwärtig in den deutschen Arbeitsmarkt integriert sind. Damit gibt er auch nur am Rande darüber Auskunft, wie Frauen auch dann von der Krise betroffen sind, wenn sie nicht arbeitslos werden. Die Krisenfolgen für Frauen sind vielfältig. Durch ein binäres "beschäftigt" oder "nicht-beschäftigt" lassen sie sich nicht einfangen.    Der deutsche Arbeitsmarkt ist immer noch stark segregativ, das heißt die Berufsbilder von Männern und Frauen sind immer noch deutlich geschlechtsspezifisch aufgespalten. Die meisten Frauen arbeiten im Bereich öffentlicher und privater Dienstleistungen, in Verwaltungen, im Finanz- oder Immobiliensektor und sind nach wie vor in jenen Berufen verstärkt vorzufinden, die sich den Aufgaben der Erziehung, der Gesundheit und Pflege oder der Familie widmen.  Daneben schultern Frauen immer noch den größten Teil der nicht entlohnten Hausarbeit.   Der massive Zuwachs der Frauenerwerbsarbeit, der in den letzten vier Jahrzehnten zu verzeichnen war, ist mit dem Wachstum des Dienstleistungssektors einhergegangen. Er hat vielen Frauen in und außerhalb der Dienstleitungsbranche mehr Freiheiten und Unabhängigkeit verschafft. Aber er ist auch in der Hochzeit des Neoliberalismus vonstatten gegangen und damit in einer Zeit der Ausweitung prekärer Arbeitsbedingungen, die sich gerade im Dienstleistungssektor konzentrieren, der stark durch Frauen geprägt ist.   Ökonomisch machen sich Geschlechterungerechtigkeiten am Arbeitsmarkt auf zweifache Weise geltend. Einerseits lassen sich nach wie vor deutliche Unterschiede in der Höhe der Bezahlung und in den vorhandenen Aufstiegschancen gebildeter Frauen aus der Mittel- und Oberschicht diagnostizieren. Andererseits sind sozial schwächere Frauen besonders stark von Prekarisierung, ökonomischer Unsicherheit und Verarmung betroffen.   Deregulierung, atypische Beschäftigungsformen und Privatisierung sind Prozesse, die einen starken weiblichen Fokus haben. Unfreiwillige Teilzeitarbeit, Niedriglöhne oder die Notwendigkeit des Aufstockens mit Hartz IV sind ebenso wenig für unzählige Frauen Fremdworte wie Befristungen oder eine drohende Altersarmut. Gerade auch deshalb sind Forderungen nach einem existenzsichernden Mindestlohn, nach Equal-Pay oder nach einer umfänglichen und flächendeckenden Versorgung mit öffentlichen Gütern, Forderungen, die eine starke frauenpolitische Komponente aufweisen. Die Frage, wie benachteiligte Bevölkerungsschichten, Betriebsgruppen, Arbeitsloseninitiativen oder Gewerkschaften für feministische Themen zu sensibilisieren sind, ist genauso relevant wie die Frage, wie künftig der Feminismus globalisierungs- und neoliberalismuskritisch ausgestaltet und aus seiner gegenwärtig oftmals kulturalistischen Engführung befreit werden kann.    Nur allzu oft arbeiten und organisieren gewerkschaftliche, globalisierungskritische und sozialpolitische Initiativen und frauenpolitische Verbände nebeneinander her, ohne dass Schnittmengen starkgemacht werden und ohne dass eine Verfechtung der Interessen in vielen Fragen berücksichtigt wird. Der Kampf um Umverteilung und für eine Ausweitung kollektiver Rechte ist gerade auch frauenpolitisch bedeutsam. Er muss aber in einer Weise geführt werden, dass er im Einklang mit den klassischen frauenpolitischen Forderungen nach mehr individueller Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, nach Autonomie und nach gleichberechtigter Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben steht. Und er ist zudem in jedem Fall so zu organisieren, dass auch eine Gleichverteilung der häuslichen Arbeit zwischen den Geschlechtern vorangetrieben wird. Gerade dies ist ein Aspekt, der fast immer in der sozialpolitischen Agenda außen vor bleibt. Wie geschlechtsblind und damit verbesserungswürdig die meisten Instrumente einer klassisch-linken Wirtschafts- und Sozialpolitik oftmals sind, mag als Beispiel die Konjunkturpolitik verdeutlichen, ist sie doch auf eine Stimulierung der industriellen Produktion angelegt, also auf jene Branchen, die eher von Männern bevorzugt werden. Deutlicher Änderungsbedarf ist hier angesagt.   Die Krise wird den Prekarisierungsdruck deutlich erhöhen, sobald sie den Arbeitsmarkt erreicht und damit Frauen besonders stark treffen. Funktioniert die sozialstaatliche Absicherung nicht mehr richtig, wird das System öffentlicher Kinderbetreuung löchrig oder werden armutssichernde Renten seltener, dann müssen gewöhnlich familiäre Strukturen diese Mängel irgendwie auffangen. Da es Frauen sind, die die häusliche Reproduktion weitgehend alleine tragen, werden sie die zusätzlichen Lasten schultern müssen. Untersuchungen zeigen, dass alleinstehende Mütter und besonders alleinstehende ältere Frauen vom Abbau des Wohlfahrstaats besonders betroffen sind. Und wird zum Beispiel im Bereich der Pflegeberufe oder bei den Kindertagesstätten vermehrt gespart, so bedeutet dies für Frauen gleich eine doppelte Verschlechterung ihrer Situation. Zum einen werden gerade solche Jobs zusammengestrichen, die typischerweise von Frauen ausgeübt werden und zum andern wird ihnen die Arbeit wieder in Form nicht entlohnter Hausarbeit aufgelastet. Funktioniert die öffentliche Infrastruktur zudem nicht mehr reibungslos, wird es für Frauen auch noch schwieriger, die (hinzukommende) häusliche Reproduktionsarbeit zu organisieren.   Die im Zuge der Krise verschärfte Sparpolitik der Euroregierungen wird also die Geschlechter nicht in gleichem Maße treffen. Sparmaßnahmen führen meist zu Einschnitten im öffentlichen Dienst, im Sektor sozialer Dienstleistungen und schränken den Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen ein. Sie treffen also Frauen besonders. Sollte Angela Merkel in einem ihrer berühmten politischen Schwenks im Laufe des nächsten Jahres unerwarteterweise beschließen, doch wieder auf Konjunkturpakete zu setzen, würden aber vor allem maskuline Berufe davon einen Nutzen ziehen.    Bildungsstarke Frauen aus der Mittel- und Oberschicht, die in ihrer Entlohnung und in ihren Karrierechancen im Verhältnis zu ihren männlichen Kollegen immer noch beschnitten sind, haben wenigstens eine relative starke Lobby in den Medien und der Politik, die sich für ihre Belange einsetzt. Jene Frauen, die in den prekärsten Bereichen der Dienstleistungswirtschaft arbeiten, befinden sich in jenen Feldern der Lohnarbeit, wo es am schwersten fällt, sich gegen die Anmaßungen des Neoliberalismus zu wehren. Umso wichtiger, dass DIE LINKE sich ihrer – gerade im nächsten Jahr und im Kontext der Finanz- und Eurokrise – annimmt.