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»Die Importe sind wichtiger«

Im Wortlaut von Michael Schlecht,

LINKE-Wirtschaftsexperte Michael Schlecht warnt vor den Folgen einer Eskalation bei Sanktionen gegen Russland

Michael Schlecht ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Mit ihm sprach Simon Poelchau über die Folgen der Sanktionen von und gegen Russland.

 

 

Vergangene Woche gab das Statistische Bundesamt die Wirtschaftszahlen für das zweite Quartal bekannt. Demnach ist die deutsche Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent gesunken. Ist das bereits der Effekt der Spannungen zwischen Russland und der Europäischen Union?

Michael Schlecht: Die Hauptursache des Konjunktureinbruchs liegt in der deutschen Wirtschaftspolitik, die auf Lohndumping zur Steigerung der Exporte und gleichzeitiger Beschneidung der Binnenwirtschaft setzt. Die geopolitischen Spannungen und Sanktionen verstärkten diesen Einbruch nur.

Die Krisenpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist also schuld am Konjunktureinbruch?

Es war schon länger absehbar, dass Merkels Strangulierungspolitik gegenüber den anderen Ländern der Eurozone auf die deutsche Wirtschaft zurückschlagen wird. Und so ist es jetzt gekommen. Die Aufträge aus der Währungsunion sind um über zehn Prozent eingebrochen, weil vor allem die südeuropäischen Länder aufgrund der geschwächten Binnennachfrage nicht mehr in der Lage sind, wie in früheren Zeiten deutsche Produkte zu kaufen. Dieser Konjunktureinbruch ist Merkels Konjunktureinbruch.

Die Flaute ist also nicht nur vorübergehend?

Aller Voraussicht nach wird die Wirtschaftsleistung auch im dritten Quartal zurückgehen. Ich befürchte, dass auch danach die Konjunktur weiter wegrutscht.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat deswegen auch seine Wachstumsprognose von 2,0 auf 1,5 Prozent gesenkt. Doch macht er dafür vor allem die EU-Sanktionen gegen Russland verantwortlich.

Die Effekte sind eigentlich aber sehr begrenzt. Die deutschen Exporte nach Russland betragen gerade einmal rund drei Prozent der gesamten Ausfuhren. Bedeutsamer sind die russischen Importe nach Deutschland; sie betragen mehr als vier Prozent.

Inwiefern könnte dies zum Problem für die deutsche Wirtschaft werden?

Russland exportiert vor allem Energieträger wie Gas und Öl sowie in kleineren Größenordnungen Rohstoffe wie Titan und Seltene Erden. Diese Güter sind für einige Bereiche der Industrieproduktion hierzulande sehr wichtig. Deswegen ist meine Befürchtung eher, dass Russland bei einer weiteren Eskalation seine Exporte beschneidet. Dies hätte wirklich gravierende Auswirkungen.

Auf die Verbraucher könnten steigende Energiepreise zukommen?

Das in Deutschland verbrauchte Gas kommt zu rund einem Drittel aus Russland. In den neuen Bundesländern ist die Abhängigkeit aufgrund der alten Strukturen aus der DDR noch etwas stärker ausgeprägt als in anderen Teilen Deutschlands. Osteuropäische Länder wie Litauen oder Polen sind sogar noch viel stärker auf das russische Gas angewiesen. Wenn der nächste Winter richtig kalt wird und Russland seine Gaslieferungen drosselt oder im Extremfall sogar stoppt, dann hätte dies gravierende Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft.

Ein Aspekt der EU-Sanktionen ist der erschwerte Zugang Russlands zu den EU-Kapitalmärkten. Könnte eine weitere Eskalation zu Spannungen auf den Finanzmärkten führen?

Schätzungsweise 650 Milliarden Euro aus dem Euroraum sind insgesamt an russische Privatunternehmen und den russischen Staat verliehen worden. Wenn aufgrund des möglicherweise zunehmenden Wirtschaftskrieges diese Kredite nicht mehr bedient werden, dann werden die Kreditgeber notleidend sein. Und das sind vor allem Europas Banken. Massive Turbulenzen auf den Finanzmärkten könnten die Folge sein. Die Unsicherheit ist bei Unternehmen, die in Russland investiert haben, besonders groß.

Halten Sie deswegen wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die psychologischen Folgen der Sanktionen für gravierender als die direkten Folgen?

Momentan dürfte dies noch der Fall sein. Doch wenn man zu keiner vernünftigen Lösung in diesem Konflikt kommt und Deutschland zusammen mit der EU und den USA weiterhin solch eine aggressive Sanktionspolitik betreibt, dann könnten die tatsächlichen Effekte gravierender als die psychologischen werden.

Wären spätestens dann Hilfen für notleidende Unternehmen notwendig, wie sie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel derzeit prüft?

Es ist vor allem notwendig, diese verrückte Sanktionspolitik zu beenden, weil damit politische Lösungen verhindert werden. Schließlich lassen sich die politischen Probleme in der Ukraine und die Interessenskonflikte zwischen Russland und dem Westen damit nicht lösen. Dafür braucht man Dialoge und Diplomatie. Sanktionen sind da kontraproduktiv, allein schon weil sie die Atmosphäre vergiften. Das einzige, wozu sie führen, ist die Verhärtung der Fronten.

neues deutschland, 21. August 2014