Zum Hauptinhalt springen
Die FDP-Politiker Thomas Kemmerich und Christian Lindner in der Bundespressekonferenz © dpa/Britta PedersenFoto: dpa/Britta Pedersen

Die Hasardeure der FDP

Kolumne von Dietmar Bartsch,

Von Dietmar Bartsch

Es ist ein groteskes Theaterstück, das wir seit Mittwoch in Erfurt mit ansehen müssen. Ein Coup d’Etat in operettenhafter Form, wären da nicht die Beschädigungen, die Menschen angetan wurden, Institutionen und letztlich auch den Fundamenten der Demokratie.

Eigentlich wollte Bodo Ramelow erneut zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Außerdem benannte die AfD, geführt vom Faschisten Björn Höcke, einen Kandidaten für dieses Amt. In dieser Konstellation schien es wahrscheinlich, dass Ramelow gewählt werden würde, wenn auch erst im 3. Wahlgang, wo die relative Stimmenmehrheit reichen würde. Niemand würde einen AfD-Kandidaten wählen und die Stimmen aus dem Rot-Rot-Grün-Lager überwogen einfach.

Die Möglichkeit, dass in jedem Wahlgang neue Kandidaturen möglich sind, nutzte Herr Kemmerich aus. Seine Beteuerungen, mit der AfD nicht kooperiert zu haben, erscheinen aufgrund des Abstimmungsverhaltens der AfD, die komplett für ihn stimmte, obwohl sie ihren eigenen Kandidaten im Rennen behielt, völlig unglaubwürdig. Inzwischen ist ein Schreiben aufgetaucht, das zeigt, dass Kemmerich mit dieser Möglichkeit zumindest rechnen musste. Auch das Agieren der CDU unter Mike Mohring ist nicht nachvollziehbar. Wenn man nicht in die Situation kommen will, einen Kandidaten zu unterstützen, der auch der AfD-Unterstützung bedarf, um erfolgreich zu sein, muss man diese Unterstützung eben bleiben lassen. Alles andere ist eine verdeckte Kooperation mit Faschisten vom Schlage Höckes.

Die anschließenden Versuche, durch das Beschwören der Mitte dieses skandalöse Verhalten wegzureden, sagen viel aus über den Realitätssinn der „bürgerlichen Parteien“. Beispielsweise sind besondere Kenntnisse der Mathematik nicht erforderlich, um Politiker zu sein. Aber dass Kemmerich wenigstens die Grundrechenarten in einem überschaubaren Zahlenraum beherrscht, kann man erwarten. Wie er dann glaubt, eine Regierung der „Mitte“ bilden zu können, also ohne die AfD, aber auch ohne LINKE, die er für „extrem“ hält, bleibt sein Geheimnis. Er hatte keine eigene Mehrheit und hätte eben doch bei den „Extremisten“ nachfragen müssen. Klar ist: er hätte sich in die Abhängigkeit zur AfD begeben.

Die Einsicht in diese Abhängigkeit ist ihm nicht von allein gekommen. Sie musste ihm beigebracht werden. Christian Lindner, selbst besorgt um seinen Rückhalt in der FDP, fuhr am Donnerstag zu einem „Krisentreffen“ nach Erfurt und erzwang den Rückzug von Kemmerich. Der stellte sich, genau 24 Stunden nach seinem Überraschungscoup, der Presse und erklärte, dass er und seine Fraktion Neuwahlen des Landtags wollen. Merkwürdig ist das schon, wenn man bedenkt, wie intensiv Lindner noch einen Tag vorher das Manöver von Kemmerich rechtfertigte. Welche Peinlichkeit!

Vorher kamen von der Unionsspitze im Bund und von der Bundeskanzlerin klare Worte. Allerdings sieht es schon gar nicht mehr so gut auf Landesebene aus. Burkard Dregger von der Berliner Union fühlte sich verpflichtet, Kemmerich zur Wahl zu gratulieren und rechtfertigende Worte zu finden. Auch die Werte-Union mauserte sich zur Agitprop-Gruppe für die AfD. Und die Thüringer CDU? Auch auf sie käme es an, wenn ein Neuwahlbeschluss zustande kommen soll. Donnerstagabend war Mohring jedenfalls noch gegen Neuwahlen. Während es in der FDP drunter und drüber geht, zeigt sich in der Union, bei aller Einigkeit in der Bundesspitze, doch auch Zerrissenheit.

Diese Zerrissenheit ist Ausdruck eines Zerfalls der die Bundesrepublik tragenden Ideologie der Mitte. Diese Ideologie war nach dem Krieg Ausdruck dessen, dass die Nazi-Eliten keine bekennenden Nazis mehr sein durften, aber ihren Feldzug gegen den Kommunismus fortsetzen durften. Daher kommt die Ideologie von der Äquidistanz zu den politischen „Extremen“. Diese Ideologie hat auch die Geschichtsschreibung geprägt. So sei die Weimarer Republik an den Extremen von rechts und links gescheitert. Ganz so, als hätte eine Koalitionsregierung aus Nazis und Kommunisten das Ermächtigungsgesetz beschlossen.

Mit dieser Ideologie ging es immer etwas holprig zu. So stand der Verfassungsschutz nicht zu Unrecht in dem Ruf, auf dem rechten Auge blind zu sein. Aber was machen die Ideologen der Mitte, wenn es eng wird, wenn wie in Thüringen gerade, die Wahl steht zwischen der Akzeptanz einer Mitte-Links-Regierung und der Inkaufnahme einer Unterstützung auch durch Faschisten, wenn es gegen links geht?
Thüringen wie auch die unterschiedlichen Reaktionen aus FDP und CDU zeigen, dass die Ideologie der Mitte brüchig geworden ist, dass die „bürgerlichen“ Parteien nicht mehr in Gänze als Garanten der Demokratie gelten können. Das hat Folgen für die strategische Orientierung der politischen Linken in Deutschland. Die Linke, und das gilt natürlich zuerst für DIE LINKE, muss ohne Wenn und Aber für die Demokratie eintreten. Das macht auch den Eintritt in Regierungen erforderlich.

Es ist mir an dieser Stelle ein Bedürfnis, meinem Freund Bodo Ramelow und seiner Regierungsmannschaft, unserer Landtagsfraktion und dem LINKEN-Landesverband herzlich zu danken für das, was sie in den vergangenen fünf Jahren geleistet haben – den Wahlkampf 2019 und die Zeit danach ausdrücklich eingeschlossen! Sie haben die Demokratie in unserem Land und den Erfahrungsschatz unserer Partei – parlamentarisch und außerparlamentarisch – bereichert: In einer Koalition darf es nicht Koch und Kellner geben, gegenseitige Achtung und gleiche Augenhöhe sind unverzichtbar. Politik braucht feste Prinzipien, Flexibilität und klare Grenzen. Für Linke heißt das beispielsweise, ohne Wenn und Aber für soziale Gerechtigkeit einzutreten, den politischen Konkurrenten und seine Positionen ernst zu nehmen, nie und nimmer gemeinsame Sache mit Rassisten zu machen. Es bedeutet, in der Opposition mutige Vorschläge zu machen und doch auf dem Teppich zu bleiben, in der Regierung einen verlässlichen Kurs zu steuern, ohne Korrekturen zu scheuen. Nicht zuletzt heißt das, die eigenen Genossinnen und Genossen, Sympathisantinnen und Sympathisanten als Mitgestalter und Mitmacher zu begreifen. Und: „Zuerst das Land“ gilt auch für Linke.