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Dietmar Bartsch © Marc DarchingerFoto: Marc Darchinger

»Die Grünen gehen mir gehörig auf den Keks«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, Die Welt,

Rot-Rot-Grün gilt als chancenlos. Dietmar Bartsch (Linke) sieht die Hauptschuld bei der SPD, doch auch die Grünen nerven ihn. Er warnt davor, das Asylrecht infrage zu stellen - und sich so der AfD zu unterwerfen.

DIE WELT: Herr Bartsch, können Sie sich noch an den Frühling dieses Jahres erinnern, als Martin Schulz im Zusammenhang mit der Agenda 2010 von Fehlern sprach, die korrigiert werden müssten?

Dietmar Bartsch: Oh ja, sehr gut sogar. Ich habe gedacht, das ist eine Riesenchance für ein Mitte-Links-Bündnis. Und ich habe meinen Leuten gesagt, jetzt bloß nicht nervös werden.

Warum nervös?

Es war klar, dass Schulz’ Bekenntnis gegen die Agendapolitik die Umfragewerte der SPD steigen und die der anderen, auch der Linken, kurzfristig sinken lassen würde. Den Hype, den es dann um Martin Schulz gegeben hat, den habe ich nicht für möglich gehalten. Wir Linken haben trotzdem die Nerven behalten, weil wir eine Chance gesehen haben, dass die SPD nun endlich ernsthaft das Thema soziale Gerechtigkeit angeht und ein Politikwechsel möglich wird. Die Grünen haben hyperventiliert, denn die wollen um jeden Preis regieren.

Halten Sie die Grünen für Opportunisten?

Als die SPD in den Umfragen nach oben ging, sprachen die Grünen auf einmal viel von Mitte-Links. Jetzt, wo die CDU vorne liegt, schmust Cem Özdemir mit Wolfgang Schäuble. Diese Wendemanöver werden in Verbindung mit der grünen Besserwisserattitüde nahezu unerträglich. Mir geht eine Partei, die glaubt, in allem recht zu haben, und es immer am besten weiß, gehörig auf den Keks.

An wem hat es denn gelegen, dass aus der Idee eines linken Bündnisses, die im Frühjahr in der Luft lag, keine echte Option geworden ist?

Martin Schulz hat nicht geliefert. Die SPD ist in ihrem Mut zur Veränderung sogar noch hinter die ära Peer Steinbrück zurückgefallen. In Steuerfragen, im Arbeitsmarktpolitischen bleibt sie im Vagen. Wenn am Ende als Korrektur an der Agenda nicht mehr als ein Arbeitslosengeld Q herauskommt, das älteren ein bisschen Schonfrist gibt, bevor sie in Hartz IV rutschen, dann ist das ein Witz. Dass Martin Schulz jetzt auf den letzten Metern einen Neustart in der Pflege ankündigt, ist unglaubwürdig, wenn man weiß, dass er sich schon bei Arbeitsmarktpolitik nichts traut.

Also hat aus Ihrer Sicht Martin Schulz die Chance auf Rot-Rot-Grün verbockt?

Die SPD, denn ein Mitte-Links-Bündnis ist nur denkbar, wenn die SPD ein Angebot macht, sowohl den Wählern als auch den eventuellen Koalitionspartnern. Ein Angebot, das den Menschen glaubwürdig vermittelt, dass die Sozialdemokraten einen Wechsel in der Politik wollen.

Ihre Partei hätte doch der SPD ein Angebot machen können, das den Wählern zeigt, dass die Linke auf Bundesebene nicht in der Fundamentalopposition verharren, sondern ernsthaft eine Regierungsbeteiligung will.

Nein, wir machen kein Angebot an andere Parteien, sondern an die Wähler. Im Wahlkampf macht man keine Kompromisse. Kompromisse kann man nach Wahlergebnissen machen. Dass wir dazu fähig sind, haben wir in den Bundesländern gezeigt, in denen wir Regierungsverantwortung tragen. Meine Aufgabe im Wahlkampf ist es, möglichst viele Stimmen für die Linke zu holen und sich nicht nach möglichen Bündnissen zu orientieren.

Statt die Gegensätze zu betonen, könnten Sie aber auch die Gemeinsamkeiten eines linken Regierungsbündnisses aufzeigen.

Das könnten wir, wenn die SPD sich zu einem Mitte-Links-Bündnis bekennen würde. Das tut sie aber nicht, sondern sie ist nach allen Seiten offen. Es ist doch eine völlig schizophrene Situation, dass es vier Jahre lang im Bundestag eine rot-rot-grüne Mehrheit gegeben, aber Merkel regiert hat. In jedem westeuropäischen Land würde eine sozialdemokratische Partei die Mehrheit für ein solches Bündnis nutzen. Nur hier nicht, hier hat sich die SPD von der Union disziplinieren lassen.

Und sie hat nichts daraus gelernt. Sie will mit allen können, der Union, der FDP, den Grünen, und schließt nun – immerhin – auch eine Koalition mit der Linken nicht aus. Das macht die SPD beliebig. überhaupt gibt es zu wenig Differenzierung. Ja, ich weiß, im Wahlkampf gilt: Wer differenziert, verliert. Dennoch, wenn ich als Linker nahezu jedes Wahlplakat der CDU unterschreiben kann, dann ist im Wahlkampf der Union und im Land etwas schief.

Hört sich so an, als habe nur die Linke begriffen, wie es geht. Wie erklären Sie sich dann, dass die AfD ausgerechnet in Ostdeutschland – wo die Linke Volksparteistatus hat – so stark werden konnte?

Ich glaube, wir haben lange den Unterschied zur großen Koalition für manche Menschen nicht deutlich genug gemacht ...

Also haben auch Sie nicht genug differenziert?

Es gibt in den ostdeutschen Ländern ein anderes Potenzial des Frustes, die Enttäuschungen sind unendlich größer als in den alten Bundesländern. Für diese Enttäuschungen ist die Linke, weil so lange dabei, ein Stück weit in Mithaftung genommen worden. Die AfD hat schon bei der vergangenen Bundestagswahl im Osten überall deutlich über fünf Prozent gelegen. Da ist etwas übles gesät worden, was nun aufgeht.

Wie meinen Sie das?

In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel, wo die NPD jahrelang im Landtag vertreten war, gab es ein überparteiliches Bündnis gegen die Rechtsextremen. Sie waren zu Recht Outlaws. Die NPD hat aber auch Forderungen, gerade im Sozialen, aufgestellt, die populär waren. Da ist etwas vorbereitet worden, was nun von der AfD genutzt wird. Ein Bekenntnis zur NPD haben sich die wenigsten Menschen getraut, die AfD aber gilt als gesellschaftsfähig.

Ist es da der richtige Weg, die AfD wie die NPD zu behandeln und sie auszugrenzen? Schürt das nicht die Wut der Menschen, die von den „etablierten“ Parteien enttäuscht sind?

Wir dürfen die AfD nicht zum Märtyrer werden lassen. Aber es gibt Punkte, da muss Schluss sein. Und diese Punkte sind erreicht, wenn Alexander Gauland eine Staatsministerin in Anatolien „entsorgen“ will und Stolz auf die Leistungen der Wehrmacht einfordert. Den Gründervätern der AfD, also Leuten wie Lucke und Henkel, kann man nicht unterstellen, dass sie Nazis sind. Aber die sind längst abgeräumt worden, und es ist auch nur eine Frage der Zeit, bis Frau Petry weg vom Fenster ist.

Die, die jetzt das Sagen in der Partei haben, scheuen sich nicht vor Nazi-Sprech und Rechtsextremismus. In der AfD ist es wie in Goethes „Zauberlehrling“: Sie ist außer Kontrolle geraten, es wird immer noch eins draufgelegt. Da hat Herr Gauland von Steve Bannon gelernt.

Bannon ist bis vor Kurzem Berater von Trump gewesen, gehört der Alt- Right-Bewegung an und betreibt die ultrarechte Plattform Breitbart News. Was hat der mit Gauland gemein?

Die Agitation mit dem Ressentiment. Die Brutalität der Sprache. Was Gauland mit Staatsministerin Özoguz gemacht hat, ist dafür das beste Beispiel. Er hat sich eine Politikerin rausgesucht, die zu Recht umstritten ist, und wo er wusste, wenn er sie angreift, gibt es Widerhall. Dazu benutzt er eine widerwärtige Wortwahl, die Abscheu hervorruft. So schafft er, dass sich alle demokratischen Vertreter mit Frau Özoguz solidarisieren und die AfD als einzige Partei dasteht, die sich traut, Kritik zu äußern.

Die AfD punktet auch mit einer extrem harten Flüchtlingspolitik. Ihre Partei vertritt hingegen im Wahlprogramm die Ausdehnung des Familiennachzugs auf Verwandte zweiten Grades. Halten Sie das für sinnvoll?

Wir müssen uns bewusst machen, was eine Trennung für Familien bedeutet. Jetzt im Wahlkampf geben sich alle Parteien als Interessensvertreter der Familien. Wer aber ständig wiederholt, er wolle die Familien stärken, darf das beim Nachzug der Angehörigen von Flüchtlingen nicht vergessen. Ich bin dafür, dass sich die Parteien nach der Bundestagswahl mit diesem Thema grundsätzlich befassen – frei von den Emotionalitäten des Wahlkampfes.

Sind Sie auch wie Ihre Fraktion für den Nachzug Angehöriger von geduldeten Ausländern?

Auch da finde ich, dass wir uns nach der Wahl im Bundestag vertieft damit auseinandersetzen sollten. Um eines klar zu sagen: Es wäre verheerend, wenn wir in Deutschland jetzt noch mal eine grundsätzliche Debatte zum Asylrecht führen würden. Wir haben eine klare Regelung. Die AfD will diese aushebeln, deshalb müssen wir uns als Demokraten glasklar zum Recht auf Asyl bekennen. Das ist dringend nötig.
Wenn die Parteien im Wahlkampf mit Asylkritik Stimmen fangen wollen, dann wird es gefährlich. Sie unterwerfen sich der AfD, denn das führt zu einem überbietungswettkampf, der am Ende tatsächlich Mehrheiten entstehen lassen könnte, die das Recht auf Asyl weiter aushöhlen oder gar abschaffen wollen. Dagegen werden ich und meine Partei immer kämpfen.

Sie haben sich vor einiger Zeit mit Martin Schulz getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Vieraugengespräche heißen Vieraugengespräche, weil man über sie nicht redet. Sonst würde man keine Vieraugengespräche führen.

Aber Sie führen bald wieder eins mit Schulz?

Ich werde mit Sicherheit auch mit Martin Schulz nach der Wahl ein Gespräch führen. Warum nicht? Natürlich.

Hoffen Sie, dass Sie über Rot-Rot-Grün reden werden?

Ich bin Realist, deswegen ist das für mich im Moment kein Thema. Ich kämpfe für ein starkes Ergebnis für die Linke – und nichts anderes.

Die Welt,