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Die Fraktion des Gemeinsamen

Kolumne von Katja Kipping,

Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sollen bei der Neuwahl des Fraktionsvorstandes die Nachfolge von Gregor Gysi antreten. Das haben die Parteivorsitzenden, Katja Kipping und Bernd Riexinger, am 15. Juni vorgeschlagen.

 

 

 

Von Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE und sozialpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion
 

Gregor Gysi hat viele Verdienste – nicht nur für unsere Partei, auch für die Gesellschaft. Beispielhaft erwähnen möchte ich sein Wirken für das Zusammenwachsen von Ost und West und seine brillante Art und Weise, soziale Missstände zu thematisieren. Wenn ein so außergewöhnlicher Politiker die erste Reihe der politischen Bühne verlässt, ist dies ein Verlust. Deshalb möchte ich zunächst diese Gelegenheit nutzen, ihm für das Geleistete Danke zu sagen.

Die Ankündigung seines Rückzugs vom Amt des Vorsitzenden unserer Bundestagsfraktion kam nicht überraschend. Auch wenn wir seine persönliche Entscheidung bedauern, so ist sie doch zu respektieren. In den vergangenen Tagen haben mir Journalistinnen und Journalisten immer wieder die Frage gestellt: “Ist Gregor Gysi zu ersetzen?” Diese Frage deutet eine Herausforderung an, die an seine Nachfolge, für die Bernd Riexinger und ich Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch vorgeschlagen haben, gestellt wird. Es kann aber nicht darum gehen, jemanden wie Gregor Gysi zu kopieren.

Ich weiß, wovon ich spreche. Als ich gemeinsam mit Bernd Riexinger 2012 nach dem turbulenten Parteitag von Göttingen den Parteivorsitz übernommen habe, wurden wir mit ähnlichen Fragen konfrontiert. Bernd Riexinger und ich wussten, wir müssen unseren eigenen Stil finden, um die Partei in diesen Tagen zusammen zu führen. Gemeinsam – auch mit Gregor Gysi – ist uns dies gelungen. Wir setzten auf eine Kultur des Zuhörens, verbunden mit einer Politik, die unsere Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt stellte. Später entwickelten wir hieraus das Konzept der “verbindenden Partei”.

Das Konzept der verbindenden Partei denkt die Partei als Ort, in dem verschiedene politische Ansätze, Arbeit in den sozialen Bewegungen und parlamentarische Arbeit, Regieren und Opponieren nicht als unauflösliche Gegensätze betrachtet, sondern als berechtigte und notwendige Momente. Als Momente, die nicht nur unverbunden nebeneinander gestellt werden, sondern die produktiv aufeinander bezogen werden können. Diese Herangehensweise hat mit dazu beigetragen, dass wir in den Umfragen wieder gut dastehen. „Verbindende Partei“ meint zudem, die Forderungen in den Mittelpunkt zu rücken, die die verschiedenen sozialen Gruppen vom Erwerbslosen über Prekären bis hin zur Kernbelegschaft verbinden.

Die „Linke Woche der Zukunft“ und die Kampagne „Das muss drin sein“ haben zugleich gezeigt: Die Partei ist wieder eine lebendig diskutierende, und sie ist wieder aktions- und kampagnenfähig. Der Fokus der Partei liegt wieder auf gesellschaftlicher Intervention. Die erfreulichen Wahlergebnisse in Thüringen, Hamburg und in Bremen zeigen zudem, dass diese Entwicklung auch von den Wählerinnen und Wähler honoriert wird.

Beim „Verbinden“ geht es zudem nicht nur um die Bündelung der Kräfte. Es geht um das, was Karl Marx in seinen „Thesen über Feuerbach“ so gefasst hat: Dass nämlich das „Ändern der Umstände“ und die „Selbstveränderung“ der Handelnden zusammenfallen müssen, wenn man politisch etwas erreichen will. Die „verbindende Partei“ fordert deshalb etwas von allen: Sich auf die jeweils anderen einzulassen, zuzuhören und nach dem Gemeinsamen zu suchen. Wer die erfrischend sachliche Diskussion zur Zukunft der sozialen Sicherung auf dem letzten Parteitag erlebt hat und am späten Abend danach gesehen hat, wie Menschen aus den unterschiedlichsten Landesverbänden und Strömungen gemeinsam getanzt und gefeiert haben, der weiß: Wir haben alle etwas beim manchmal mühsamen Verbinden gewonnen und noch viel zu gewinnen.

Was will ich mit diesem Beispiel erläutern? Alle wissen, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch stehen für profilierte Positionen in unserer Fraktion und in unserer Partei. Als Fraktionsvorsitzende sind sie durch das Amt faktisch verpflichtet, gemeinsam abzustimmen. Das bedeutet nicht, dass man immer einer Meinung sein muss, aber man muss stets den Willen zu einem kollektiven Willensbildungsprozess haben und diesen mit der Fraktion organisieren. Wenn beide diese Haltung ausdrücken: Wir wollen zu allen zentralen Fragen eine gemeinsame Position entwickeln, wird dies auch auf die Fraktion ausstrahlen und das Gemeinsame in den Fokus rücken. Wenn beide ausstrahlen, wir befördern jedes Engagement, das die Intervention in die Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt und nicht das Spaltende zwischen uns, kann das Schule machen. Eine Fraktion, die sich lediglich als Konföderation der verschiedenen Strömungen versteht, würde stets weit unter ihren Möglichkeiten bleiben. Eine Fraktion, die hingegen das politisch Gemeinsame betont und in der die gewachsene Mitte der Fraktionsmitglieder, die sich keiner der innerparteilichen Strömungen zurechnen, personell stark eingebunden ist, kann so womöglich sogar gestärkt aus den personellen Veränderungen hervorgehen.

Wenn es Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch gelingt, die Arbeit der Fraktion auf die 95 Prozent zu fokussieren, die sie politisch eint, werden wir unserer Rolle als angriffslustige Opposition auch in den letzten beiden Jahren dieser Legislaturperiode gerecht. Und Oppositionsführerschaft ist auch dringend geboten: Unter Führung der Großen Koalition nimmt die soziale Ungerechtigkeit nicht ab. Die Umverteilung von unten nach oben wurde fortgeführt. Die bornierte Austeritätspolitik von Schäuble, Merkel und Gabriel treibt die Spaltung in Europa voran. Große Zukunftsfragen, wie Arbeitszeitverkürzung und der Kampf für Klimagerechtigkeit, werden erst gar nicht in den Blick genommen. Als größte Oppositionsfraktion haben wir hier eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen.

Gregor Gysi sagte während seiner Rede auf dem Bielefelder Parteitag: „Macht was draus.“ Als verbindende Partei und Fraktion der Gemeinsamkeiten, werden wir was daraus machen.