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Die Chancen der Digitalisierung nutzen!

Kolumne von Halina Wawzyniak,

Foto: Jochen Mittenzwey

 

 

Von Halina Wawzyniak, netzpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, und Dirk Schröter, wissenschaftlicher Mitarbeiter

 

Die Digitalisierung ändert die Art und Weise, wie wir leben und zusammenleben, nachhaltig. Doch nicht alle profitieren gleichermaßen davon. Das fängt schon damit an, dass nicht jede und jeder einen Zugang zum Internet hat. Entweder, weil man es sich nicht leisten kann oder weil man gar nicht an das Breitbandinternet angeschlossen ist. Für beides gäbe es Lösungen, bei beidem versagt die Bundesregierung. Beim Breitbandausbau wird veralteten Technologien der Vorrang gegeben, anstatt Glasfaser zu unterstützen. Hauptsache man kann irgendwann verkünden, man habe ein niedrig gehängtes Ziel erreicht. Und in zehn Jahren stehen wir vor demselben Problem wie heute. Dass die Störerhaftung beim Betreiben von offenen WLANs das größte Hindernis für die Verbreitung öffentlicher Funknetze ist, gilt als unbestritten. Und dass offene Funknetze hilfreich wären, um Menschen mit geringen Einkommen einen Internetzugang zu ermöglichen, liegt auf der Hand. Doch statt hier endlich einen rigorosen Schlussstrich zu ziehen und die Störerhaftung endgültig abzuschaffen, zementiert die Bundesregierung sie lieber.

Wenn es um den digitalen Wandel geht, liest man sehr oft, dass Deutschland vor allem von den USA abgehängt würde. Man müsse daher vielversprechende Startups fördern, um endlich einen Gegenpol zu den großen Konzernen aus den USA zu schaffen. Tatsächlich sollen die Investitionen in Startups in Deutschland von 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 3,1 Milliarden EUR im Jahr 2015 gestiegen sein (Heise). Doch das besagt wenig, denn gerade Internet-Startups werden schwere Brocken in den Weg gelegt. Auf europäischer Ebene wurde die Netzneutralität gerade erheblich eingeschränkt. Dass im Internet Daten neutral und ohne Bevorzugung durchgeleitet werden, ist aber die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Start-ups gegen große Konzerne bestehen können.

Große Konzerne bezahlen eine bevorzugte Durchleitung ihrer Daten aus der Portokasse und können sich damit einen entscheidenden Vorteil gegen kleine Unternehmen erkaufen, die sich das natürlich nicht so einfach leisten können. Das wurde in den USA verstanden und die Netzneutralität deshalb gesichert. DIE LINKE hat einen konkreten Vorschlag unterbreitet wie die Netzneutralität im Rahmen der EU-Verordnung gesetzlich abgesichert werden kann.

Als ob es nicht schon schwer genug für Startups wäre, führte vor ein paar Jahren die damalige schwarz-gelbe Koalition auch noch ein weltweit einzigartiges Leistungsschutzrecht für Presseverleger ein. Das zwingt Anbieter von Suchmaschinen dazu, für das Anzeigen kleiner Textausschnitte aus den Online-Angeboten der großen Verlage zu bezahlen. Doch bezahlen müssen bisher vor allem kleinere Anbieter. So werden ausgerechnet die Startups, die doch gefördert werden sollen, daran gehindert, Innovationen zu entwickeln, die vielleicht irgendwann gegen große Internetkonzerne bestehen können. Eine Abschaffung des Leistungsschutzrechts wäre folgerichtig. Doch ein entsprechender Gesetzentwurf von LINKEN und Grünen wurde im Bundestag von der Großen Koalition abgelehnt.

Auf die Arbeitswelt hat die Digitalisierung erhebliche Auswirkungen. Neuere Studien kommen zu dem Schluss, dass sie mehr Jobs vernichten als schaffen wird. Wir stehen daher vor der Frage: Wie gehen wir damit um, dass es bald nicht mehr genug Erwerbsarbeit für jede und jeden gibt? Wie gehen wir damit um, dass vor allem Frauen die Verliererinnen des Digitalen Wandels sein könnten? Denn es werden Jobs in Sektoren wegfallen, in denen Frauen stark vertreten sind. In der IT-Branche sind dagegen Frauen aufgrund festgefahrener Rollenbilder noch immer stark unterrepräsentiert. Ob der nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ausreichend ist und tatsächlich im Jahr 2017 auslaufen kann, muss noch einmal hinterfragt werden. 

Wenn über die Veränderungen in der Erwerbsarbeitswelt durch Digitalisierung gesprochen wird, muss meines Erachtens auch über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachgedacht werden. Die Diskussionen um dieses werden häufig belächelt. In anderen Ländern wird es ernsthafter debattiert. Hinzu kommt aber auch, dass in der IT-Branche zahlreiche Menschen kaum von ihrer Arbeit leben können. Click- und Crowdworker bieten ihre Arbeitskraft auf Internetplattformen an und  hangeln sich von einem schlecht bezahlten Auftrag zum nächsten. Der Mindestlohn greift hier nicht, da viele dazu gezwungen sind, selbstständig zu arbeiten. Es wäre also an der Zeit, über ein Mindesthonorar zu diskutieren, das allen prekär arbeitenden Selbstständigen zugute käme. Und es wäre auch an der Zeit, einmal genauer zu prüfen, ob solche Plattformen nicht als „Verleiher“ in einem Leiharbeitsverhältnis auftreten. Das würde nämlich noch ganze andere Regulierungsmöglichkeiten mit sich bringen.

Wir stehen nicht mehr am Anfang der Digitalisierung, wir sind mittendrin. Es ist aber noch nicht zu spät dafür, diese Entwicklung so zu gestalten, dass alle von ihr profitieren, nicht nur einige wenige. Die Digitalisierung verlangt von uns, in Richtungen zu denken, die für uns vorher nicht vorstellbar waren. Auch DIE LINKE ist mehr denn je gefragt, sich jenseits von ausgetretenen Pfaden zu bewegen. Nutzen wir diese Chance!