Zum Hauptinhalt springen

Die CDU, Investor-Staat-Schiedsverfahren und eine angebliche Empörungsindustrie

Im Wortlaut von Klaus Ernst,



Von Klaus Ernst, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag und Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Finanzen

 

"Konsultationen: Teilen Sie uns Ihre Meinung über politische Strategien der EU mit und beeinflussen Sie ihre Ausrichtung.“ – Diese Aufforderung ist auf der Internetseite der EU-Kommission zu finden.

Nun haben sich 150.000 Bürgerinnen, Bürger, Organisationen und Verbände an der EU-Konsultation zu Investor-Staat-Schiedsverfahren in TTIP beteiligt. 150.000 haben sich Zeit genommen und Mühe gemacht, die eigene Position zu formulieren oder sich einer Positionierung per E-Mail anzuschließen. Herr Dr. Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion und Oberlobbyist der Export- und Großindustrie in der CDU, tut diesen Einsatz ab: "Von 500 Millionen Bürgern in Europa – Sie sagen ja: es war eine Bürgerumfrage – haben 150.000 sozusagen teilgenommen. Davon haben 145.000 Vordruckexemplare, Postkarten oder Standard-E-Mails der einschlägigen Organisationen der Empörungsindustrie an die EU geschickt. 145.000 der 150.000 waren Standardformulare, waren genau gleich.“

An Bürgerinnen und Bürgern vorbei

Empörungsindustrie?! In Zeiten, in denen viele Menschen darüber klagen, dass Politik zu elitär und abgehoben sei, schafft es Herr Pfeiffer einen Begriff zu wählen, der sich mit beispielloser Arroganz über die Sorgen und Ängste von Bürgerinnen und Bürgern hinwegsetzt. Die Betitelung "Industrie" ist grotesk. Er spricht den Bürgerinnen und Bürgern die Authentizität ihrer Sorgen ab und unterstellt ein organisiertes und rein kommerzielles Interesse. Scheinbar weiß Herr Pfeiffer nicht, wie NGOs arbeiten und sich finanzieren und dass sie gerade zivilgesellschaftliche Interessen einbringen und nicht nur solche zum eigenen Vorteil. In der neuen Oxfam-Studie wird gerade genannt, dass Finanzinstitutionen allein für Lobbyarbeit auf EU-Ebene 120 Millionen Euro pro Jahr ausgeben – während der Etat für Aktivitäten in Brüssel von Nichtregierungsorganisationen, Verbraucherschutzorganisationen und Gewerkschaften zusammen pro Jahr bei etwa vier Millionen Euro liegt.

Doch das liegt offenbar außerhalb der Vorstellungskraft des Herrn Pfeiffer. Und was nicht seinem bekannten Denkmuster entspricht, wird abgewehrt oder lächerlich gemacht. Traurig ist nur, dass es hier um Elemente direkter Demokratie geht. Und traurig ist auch, dass weder die Gründe für die Ablehnung noch die Dimension des Protest gegen Schiedsgerichte angekommen zu sein scheint. Es sind auch Richter, es ist auch der CDA, es ist auch die CSU –zumindest in weiten Teilen, wie ein erfolgreicher Antrag auf dem CSU-Parteitag dokumentiert – , die Schiedsgerichte ablehnen und substantielle Kritik an den Freihandelsabkommen TTIP und CETA üben.

Und es geht eben nicht darum, dass Unternehmen nicht zu ihrem Recht kommen sollen. Es geht auch nicht um Antiamerikanismus, wie in der Debatte von Abgeordneten der CDU und CSU den Kritikern unterstellt wurde.

Demokratisch legitimierte Schutzgesetze umgehen

Es geht darum, dass mit privaten Schiedsgerichten ohne Not und ohne Einhaltung grundlegender Verfahrensprinzipien (wie Unabhängigkeit, Öffentlichkeit, rechtliches Gehör und Überprüfbarkeit von Entscheidungen) demokratisch legitimierte Schutzgesetze in Frage gestellt werden. Es geht um einseitige Schiedsgerichtbarkeit ohne demokratische Kontrolle und um die Gefahr, dass Steuerzahlern Millionenrisiken für Schadensersatzzahlungen aufgebürdet werden.

Die Frage, die sich mir stellt ist: Welches Interesse kann das Parlament daran haben, sich selbst zu entmachten?

Im Übrigen: Natürlich war die Konsultation ergebnisoffen. Deshalb ist nicht nur die hohe Beteiligung – normalerweise sind es um die 200 Eingaben –, sondern vor allem auch das Ergebnis hervorzuheben: 97 Prozent der Befragten sprechen sich klipp und klar gegen Schiedsgerichte im TTIP-Abkommen aus. Eine Fähigkeit, die der Bundesregierung und dem Bundeswirtschaftsminister leider abhanden ist:

Die Bundesregierung erachtet Investor-Staat-Schiedsverfahren für "nicht notwendig". Doch "die endgültige Entscheidung über die Einbeziehung von Investitionsschutz und Investor-Staat-Schiedsverfahren in TTIP wird erst nach Abschluss der Verhandlungen und Prüfung des Verhandlungsergebnisses getroffen werden".

Ebenso wie sich der TTIP-Beirat fragt, was eigentlich seine Funktion ist, "wenn die Bundesregierung entweder sich den Entscheidungen der anderen Mitgliedstaaten anschließt oder aber in ihrer Haltung bereits festgelegt ist", stellt sich damit auch die Frage, was eigentlich die Konsultation soll, wenn ihre Ergebnisse entgegen des eingangs genannten Versprechens der EU-Kommission ohne Wirkung bleiben sollten.

linksfraktion.de, 20. Januar 2015