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»Die Arbeitswelt muss inklusiv werden«

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Mehr als 100 Teilnehmer diskutierten am 30. März auf der Konferenz der Bundestagsfraktion DIE LINKE zum Thema "Gute Arbeit – unbehindert!". Sie suchten Wege, wie Menschen mit Behinderungen durch Berufstätigkeit ihr Leben selbstbestimmter gestalten können.

"Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderungen ist doppelt so hoch wie für Menschen ohne Handicap. Zwei Drittel der arbeitslosen Menschen mit Beeinträchtigungen werden in Jobcentern betreut. Tausende Unternehmen beschäftigen gar keine Mitarbeiter mit Behinderungen“, sagte der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi. "Diese Ausgrenzung diskriminiert. Das wollen wir überwinden. Jedoch nicht auf dem entwürdigenden Niveau prekärer Beschäftigung“, erklärte dazu Ilja Seifert, behindertenpolitischer Sprecher der Linksfraktion.

 "Wir setzen auf die Klugheit der betroffenen Menschen“

Große Zustimmung fand die Herangehensweise der Fraktion erstmals einen unfertigen Antragsentwurf öffentlich zu diskutieren, bevor er in die parlamentarische Debatte eingebracht wird. "Wir setzen auf die Klugheit der betroffenen Menschen“, erläuterte Ilja Seifert das Vorgehen im Vorfeld des Treffens. Dabei waren Vertreter/-innen aus Wissenschaft und Verwaltung, Menschen mit Handicap aus Werkstätten, Unternehmen und Behörden und ihre Interessenvertreter/-innen sowie zahlreiche Bundestagsabgeordnete.

Schon die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 19. März zeigte den großen Handlungsbedarf, um die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nachhaltig in der Bundesrepublik umzusetzen. Die Konferenz erarbeitete eine Reihe von Ideen, wie die Defizite in der Umsetzung, insbesondere des Artikels 27 der UN-Konvention, beseitigt werden können.

Keine Sonderarbeitswelten für Menschen mit Behinderungen

Den Antragsentwurf der LINKEN im Lichte dieses grundlegenden Artikels der Konvention beleuchtete Peter Trenk-Hinterberger, Rechtsprofessor aus Marburg. Er sieht in diesem Artikel drei Leitideen: Es geht nicht um Sonderarbeitswelten für Menschen mit Behinderungen, diese darf es nur so wenig wie möglich geben. Wenn zweitens doch Sonderwelten wie Werkstätten erforderlich bleiben, dann sollten sie so normal wie möglich organisiert sein. Und drittens müssen alle Veränderungen der bestehenden Strukturen Schritte in Richtung einer inklusiven Arbeitswelt sein.

Einig waren sich die Konferenzteilnehmer in der Forderung, sofort die Beschäftigungsquote für schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte Menschen wieder auf mindestens sechs Prozent anzuheben, für junge Menschen eine Ausbildungsquote einzuführen und die Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die die Beschäftigungsquote nicht erfüllen, spürbar anzuheben. Eine spannende Debatte folgte zur Frage, ob es Ziel linker Politik sein kann, Menschen mit Behinderungen dem "regulären Arbeitsmarkt" auszusetzen. Macht dieser doch zunehmend krank. Ein Drittel der Neuaufnahmen in Werkstätten für behinderte Menschen sind psychisch erkrankt und kommen aus sogenannten Normalarbeitsverhältnissen.

Langfristig sollen Werkstätten überflüssig werden

Kontrovers verlief vor diesem Hintergrund die Diskussion zum Thema Werkstätten. Mehrheitlich wurde die Position vertreten, Werkstätten in Richtung von Integrationsunternehmen und Dienstleistungszentren weiterzuentwickeln. Langfristig müssten Werkstätten überflüssig werden können. Dazu braucht es einen inklusiven Arbeitsmarkt, der dem Artikel 27 der UN-Konvention de facto auch als Leitbild zugrunde liegt. Dazu Ilja Seifert: "Die Arbeitswelt muss inklusiv werden. Nicht nur für Menschen mit Behinderungen geht es um eine existenzielle Umkehrung: Arbeitsplätze müssen sich nach den Menschen richten – nicht die Menschen nach dem optimalen Nutzen der Arbeitsplätze." Schließlich "erwarben" 70 Prozent der schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Menschen ihre Beeinträchtigungen während des Berufslebens.

Langfristige Schritte, dies zu überwinden, dürfen die reale Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen kurzfristig nicht verschlechtern. Dies bleibt politisches Ziel der LINKEN. Rehaleistungen dürfen nicht ausgeschrieben werden, weder im Bereich der Integrationsfachdienste noch im Eingangsbereich der Werkstätten. Der personenzentrierte Ansatz darf nicht dazu missbraucht werden, dass sich das Gesamtvolumen der Unterstützungsleistungen reduziert.

Um dies zu erreichen, brauchen Betroffene bessere Mitbestimmungsmöglichkeiten auch und vor allem in den Werkstätten. Gefordert wird mehr Transparenz in der Kostenstruktur einer Werkstatt und mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten für Schwerbehindertenvertretungen und Werkstatträte. Unterschiedlich waren die Positionen zur Frage, ob die Mitbestimmungsrechte der Schwerbehindertenvertretungen als Sonderregelungen oder im Betriebsverfassungsgesetz weiter entwickelt werden sollen.

Bis zum 10. April können alle Interessierten ihre Vorschläge an die Linksfraktion einreichen, um den Antrag zum 5. Mai – anlässlich des Europäischen Protesttages für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen - in die parlamentarische Debatte einzubringen.