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Deutschland hat eine Debatte um soziale Gerechtigkeit bitter nötig

Kolumne von Diana Golze,

Von Diana Golze, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag




In den letzten Wochen drehte sich das Tagesgeschehen wieder und wieder um die Geschehnisse in Griechenland und um die massiven Sparmaßnahmen, die aus deutsch-französischer Regierungssicht nicht nur notwendig, sondern auch angemessen sind. Deren Ausmaß bekommt die bundesdeutsche Bevölkerung (wenn überhaupt) in kleinen Häppchen präsentiert.


Noch weniger wird darüber berichtet, dass Gleiches seit Monaten in Spanien, Portugal und Irland geschieht. Von der Halbierung der Gehälter im öffentlichen Dienst, verbunden mit massivem Stellenabbau, von den Steuererhöhungen und Rentenkürzungen höre und lese ich wenig und die Anhebung des Rentenalters kennen die deutschen Zeitungsleser wohl bestens aus dem eigenen Land. Dass die Griechen, Spanier und Portugiesen wütend auf die Straße gehen und gegen all diese einschneidenden Veränderungen, die allesamt immense Verschlechterungen im Alltagsleben bedeuten, demonstrieren, sollte auch aus dem Blick der deutschen Bevölkerung nur zu verständlich sein. Doch der Unmut auf Deutschlands Straßen bleibt aus.

Dabei hat Deutschland eine Debatte um soziale Gerechtigkeit bitter nötig. Die Schere zwischen Arm und Reich verfestigte sich in den vergangenen Jahren in bisher nie da gewesenem Maße. Wachsende Kinderarmut, größer werdende Altersarmut, Pflegenotstand, sozial ausgrenzendes Bildungssystem, verfestigte Langzeiterwerbslosigkeit, Niedriglohnspirale, Leiharbeitsboom sind nur wenige, aber zentrale Schlagworte.

Die Ähnlichkeiten zu dem, was gerade in anderen europäischen Ländern als zwingend notwendige Maßnahmen zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise von den Parlamenten gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt wird, sind frappierend. Nicht umsonst wird Deutschland aus meiner Sicht in diesem europäischen Prozess als Vorreiter wahrgenommen, die Umgestaltung der sozialen Systeme hier als beispielhaft dargestellt.

Unter dem Deckmantel der Generationengerechtigkeit

Dabei werden die Folgen billigend in Kauf genommen. Selbst die Bertelsmann Stiftung konstatierte im vergangenen Jahr in einer Studie, dass bei uns die Ungleichverteilung der Einkommen innerhalb der letzten rund zwei Jahrzehnte so stark zugenommen hat, wie in kaum einem anderen OECD-Mitgliedsland. Und sie kommentiert das Ergebnis damit, dass mit Blick auf den Zusammenhalt einer Gesellschaft eine solche Polarisierungstendenz bedenklich sei.

Bedenklich? In Deutschland sind die Kürzungen im Sozialbereich in stetiger Regelmäßigkeit mit der Wahrung der Generationengerechtigkeit begründet worden. Unter diesem Deckmantel sind die Privatisierung im Gesundheitswesen, bei der Pflege, die Kürzungen bei der Rente und letztlich das endgültige Aus für öffentliche Investitionen – die Schuldenbremse – vollzogen worden. Alles geschehe im Namen der kommenden Generationen und um ihnen die Bürde der jetzigen Generation nicht aufzuerlegen. Mit dem Ergebnis, dass genau sie eine noch größere Last tragen werden. Denn eine solche Politik des Privatisierens und Sparens an der öffentlichen Daseinsvorsorge, an notwendigen öffentlichen Gütern und grundlegenden sozialstaatlichen Verpflichtungen, beraubt die kommenden Generationen um ihre Teilhabemöglichkeiten an Bildung, Kultur und am gesellschaftlichen Leben.    So ist durch die Einführung von Hartz IV die Zunahme der Kinderarmut ungebremst. Schon jetzt ist die Bildungsbenachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft in Deutschland so groß wie in keinem anderen Land in Westeuropa. Während 2005 noch jedes siebte Kind in Deutschland in Armut lebte, war es Ende 2011 bereits jedes Fünfte! Das heißt für jedes fünfte Kind in Deutschland, dass es mit der Erfahrung von Mangel an allem aufwächst. Es bedeutet, dass sich Ausgrenzungserfahrungen häufen, der Sportverein oft zu teuer ist, grundlegende Schulmaterialien für den Unterricht fehlen und dass das Hartz-IV-Schicksal der Eltern nicht selten über die Note im Kurzvortrag oder dem Deutschaufsatz entscheidet. Erfahrungen von Ausgrenzung und Benachteiligung, die sich ein reiches Land wie Deutschland sehenden Auges leistet.

Kinder ohne Lobby

Kinder sind scheinbar eine Bevölkerungsgruppe, die keine Lobby hat, auf deren Rücken und dem ihrer Familien aber werden die Finanzkrise Europas und die Haushaltskonsolidierung in Deutschland ausgetragen. Statt aber eine Politik zu machen, die unsere Gesellschaft für die kommenden Generationen lebbar macht und ihnen die Möglichkeiten bereithält, die sie brauchen, um sie dann selbst weitergestalten zu können, wird ihnen die Basis dafür genommen. Weil es keine Gesellschaft mehr ist, die mit ihren Bedürfnissen zu tun hat.   Stefan Heym eröffnete 1994 den 13. Deutschen Bundestag als Alterspräsident unter anderem mit den Worten: "(…)Benutzen wir die Macht, die wir haben, die finanzielle vor allem, weise und mit sensibler Hand.“ Dies gilt heute mehr denn je. Der Welttag der sozialen Gerechtigkeit ist im Jahr 2012 wichtiger als je zuvor, weil genau diese Sensibilität und Weisheit fehlt. So wichtig, dass jeder Tag des Jahres unter diesem Motto stehen sollte.

linksfraktion.de, 20. Februar 2012