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Dietmar Bartsch © Marc DarchingerFoto: Marc Darchinger

Deutschland braucht eine andere Sicherheitspolitik

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, The European,

Am 14. Januar werde ich zur Gedenkstätte der Sozialisten nach Berlin-Friedrichsfelde gehen. Seit etwa vierzig Jahren tue ich das stets am zweiten Sonntag im Januar. Die Linke gedenkt dann der im Januar 1919 ermordeten Revolutionäre Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Sozialisten und Sozialdemokraten, Kommunisten und Trotzkisten, Parteilose, Gewerkschafter – links denkende Menschen unterschiedlicher Couleur ehren die Kapitalismuskritiker, Internationalisten und Antimilitaristen, die humanistisch gebildeten integren Persönlichkeiten Rosa und Karl. Das Gedenken wird bisweilen als nostalgische Veranstaltung belächelt. Damit kann ich leben. Zum einen ist es gut, wenn sich eine politische Bewegung ihrer Wurzeln versichert und Traditionen wach hält, zum anderen sind Signale gegen Krieg und für Frieden nötiger denn je. Just am Beginn dieses Jahres, in dem sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Male jährt, ruft UN-Generalsekretär António Guterres „die Alarmstufe Rot für unsere Welt aus“ und bezieht sich unter anderem auf die wachsende Sorge über Atomwaffen.

Schluss mit der Militarisierung!

Gerade für die bevorstehende Regierungsbildung wünsche ich, dass Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik viel stärker in den Blick genommen werden, als es die Große Koalition seit 2013 tat und es bei den gescheiterten bisherigen Sondierungen der Fall war. Notwendig ist eine entschiedene Abkehr von dem Ziel, den Militäretat auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen und damit schrittweise fast zu verdoppeln. Statt die Bundeswehr ins Ausland zu schicken, sollte Deutschland mehr in die Bekämpfung der Ursachen von Krisen, Flucht und Vertreibung investieren, also den Handel gerecht gestalten, die zivile Konfliktbearbeitung ausbauen und endlich die Waffenexporte stoppen. Mich erfüllt mit großer Sorge, dass die Europäische Union am ehesten bei der Aufrüstung und bei der Flüchtlingsabwehr zusammenkommt. Ich erwarte von der künftigen Bundesregierung, dass sie mit ihrer Autorität auf eine Abkehr von diesem verhängnisvollen Weg drängt.

DIELINKE in der Klemme

DIELINKE im Bundestag steckt außenpolitisch in einer merkwürdigen Klemme. Die überwiegende Mehrheit unserer Wählerinnen und Wähler honoriert unsere stringenten Positionen in der Sicherheits- und Flüchtlingspolitik. Ein gewisser Teil der eigenen Mitgliedschaft hingegen zweifelt gelegentlich an deren Konsistenz. Die politische Konkurrenz wiederum hält unseren Kurs für lebensfremd. Meines Erachtens entbehren sowohl die Zweifel als auch die Kritik einer seriösen Grundlage. DIELINKE hat ausnahmslos Nein gesagt zu allen Kampfeinsätzen der Bundeswehr und zu Waffenexporten, sie verweigerte dem Ausbau der Festung Europa ebenso ihre Zustimmung wie allen Verschärfungen des Asylrechts. Dabei wird es bleiben! Ich behaupte, dass eine zivile Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit nicht bloße Begleitmusik, sondern realistische Alternative zu Militäreinsätzen ist. Ich frage, was denn falsch ist an Standpunkten wie denen, dass Terror nicht mit Krieg zu bekämpfen oder Sicherheit niemals gegen, sondern nur mit Russland zu erreichen ist. Letzteres ist mir selten so bewusst geworden wie bei einem kürzlichen Besuch in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad. Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges werden besonders deutlich an jenem Ort, an dem vor 75 Jahren Hitlers Truppen opferreich in die Knie gezwungen wurden. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter, wenn im Jahr 2018 Scharfmacher im Deutschen Bundestag sitzen, die stolz auf das sind, was deutsche Soldaten in zwei Weltkriegen angerichtet haben.

Nichts rechtfertigt Terror

Beim Rundgang in Friedrichsfelde werde ich auch am Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus innehalten und Blumen niederlegen. Kein politisches Ziel rechtfertigt Terror und Gewalt, keine Ideologie darf Menschen zwingen, ihre Gesundheit oder gar ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Diese Lehren muss auch die Linke aus der Geschichte ziehen. Es ist von besonderer Tragik, dass neben anderen Betroffenen viele Menschen dem stalinistischen System anheimfielen, die genau so dachten wie jene, die alljährlich im Januar zu den Gräbern von Luxemburg und Liebknecht ziehen.

Für eine Republik ohne Knechte

Am 9. November 1918 proklamierte Karl Liebknecht in Berlin die „freie sozialistische Republik Deutschland, … in der es keine Knechte mehr geben wird, in der jeder ehrliche Arbeiter den ehrlichen Lohn seiner Arbeit finden wird.“ Dieses Ziel haben Linke bis heute gemein, es blieb wohl bislang auch deshalb ein Traum, weil sie nicht zum gemeinsamen Kampf dafür fanden. Ein Gang über den streckenweise reichlich skurrilen Polit-Markt vor der Berliner Gedenkstätte, auf dem gefühlt ein Dutzend Splitterparteien die Weltrevolution propagiert, offenbart als einen Grund dafür das stark ausgeprägte linke Sektenwesen. Ein erster Schritt zu dessen Überwindung könnte die Erkenntnis sein, dass Politik gesellschaftlicher Entwicklung dienen sollte, nicht der Rechthaberei. Karl Liebknecht übrigens blieb Optimist und nannte Politik die „Kunst des Unmöglichen“.

The European,