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Skulptur »Non-Violence« mit Knotem im Pistolenlauf vor dem UNO-Hauptquartier in New York © picture alliance/dpa/Tim BrakemeierFoto: picture alliance/dpa/Tim Brakemeier

Deutschen Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat für aktive Friedenspolitik nutzen

Im Wortlaut von Heike Hänsel,

Mit der heutigen Übernahme des Vorsitzes des UN-Sicherheitsrates hat die Bundesregierung die große Verantwortung, konkrete Initiativen in der Friedens- und globalen Wirtschaftspolitik anzustoßen. 75 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen ist die Weltorganisation durch die Erosion des Völkerrechts und eine neue Blockkonfrontation gegen China und Russland extrem geschwächt. Völkerrechtswidrige Regime-Change-Kriege der NATO-Staaten in Jugoslawien, Irak, Afghanistan und Syrien, die ohne Konsequenzen blieben, und der Angriff auf Multilateralismus und Abrüstungsverträge durch den US-Präsidenten bedrohen die UN existentiell. Das Recht des Stärkeren muss endlich wieder durch die Stärke des Rechts bekämpft werden.

Angesichts der verheerenden Rolle der US-Regierung unter Präsident Donald Trump ist eine Rückbesinnung auf die Ideen der Charta der Vereinten Nationen von elementarer Bedeutung: Gewaltverbot zwischen den Staaten, Bewahrung der Menschheit vor Kriegen und eine Rückkehr zum Völkerrecht. Allerdings hat auch die deutsche Außenpolitik mit vielen dieser Grundsätze gebrochen, indem sie in Syrien und anderenorts eine Regime-Change-Politik unterstützt, in Venezuela einen selbsternannten Gegenpräsidenten anerkennt und im Rahmen der EU regelmäßig Sanktionen verhängt.

Von der UNO gingen in diesem Jahr wichtige friedenspolitische Impulse aus, die die Bundesregierung während des Vorsitzes aufgreifen muss: Der UNO-Generalsekretär, Antonio Guterres, hatte am 23. März 2020 alle Kriegsakteure zu einem globalen Waffenstillstand aufgerufen. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie wiederholte er am 3. April 2020: „In diesem kritischen Moment bekräftige ich meinen Appell an die bewaffneten Akteure in aller Welt, die Waffen ruhen zu lassen. Gemeinsam müssen wir daran arbeiten, friedlichere, widerstandsfähigere und wohlhabendere Gesellschaften aufzubauen.“

Die Menschenrechtskommissarin der UNO, Michelle Bachelet, hatte am 24. März 2020 dazu aufgerufen, die Wirtschaftssanktionen auszusetzen, um allen Ländern zu ermöglichen, auf die COVID-19-Pandemie zu reagieren: „Mit Blick auf die explosiven Konsequenzen wie Todesfälle, Leid und weitere Ansteckungen ist es lebensnotwendig, dass der Zusammenbruch von Gesundheitssystemen in allen Ländern vermieden wird.“

Nun liegt es an der Bundesregierung, diese Vorstöße zu unterstützen. So könnten in Koordination mit der UN-Spitze Friedensemissäre in die Konfliktregionen entsendet und Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt werden. Konkrete Initiativen für ein Ende völkerrechtswidriger Sanktionen – vor allem der USA, aber auch der EU – wären ein notwendiges Signal.

Mit dem Beginn des UN-Vorsitzes droht sich der Nahost-Konflikt mit einem angekündigten Völkerrechtsbruch der israelischen Regierung weiter zu verschärfen. Eine gute Nachbarschaft zweier souveräner und lebensfähiger Staaten, Israel und Palästina, das Ziel zahlreicher UNO-Resolutionen und des sogenannten Oslo-Prozesses wird dann kaum noch zu erreichen sein. Auch hier muss Deutschland in der Zeit seines Vorsitzes im UNO-Sicherheitsrat initiativ werden und eine entschiedene Reaktion auf die völkerrechtswidrige einseitige Verschiebung der Grenzen durch Israel vorbereiten. Palästina muss als souveräner Staat anerkannt und als Vollmitglied in die UN aufgenommen werden. Darüber hinaus müssen neue Initiativen für eine politische Lösung angestoßen werden, die sich am geltenden Völkerrecht und den bereits zahlreichen UN-Resolutionen orientieren.

Die internationale Sicherheitslage hat sich zudem durch das Ende von Abrüstungsverträgen verschlechtert: Die USA habe sich seit der Jahrtausendwende aus fünf völkerrechtlichen Abkommen zu Abrüstung und Rüstungskontrolle zurückgezogen und damit die Welt erheblich unsicherer gemacht. Allein unter Präsident Trump betraf das drei Abkommen: Nach dem Rückzug aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran (JCPoA) und dem Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) hat US-Präsident Donald Trump den Ausstieg aus dem Open-Skies-Vertrag angekündigt. Die USA erschweren zudem die Verhandlungen über die Verlängerung des New-START-Vertrags über die Reduzierung strategischer Kernwaffen. Damit droht eine neue Runde atomarer Aufrüstung.

Es ist höchste Zeit, dass die Regime-Change-Politik des Westens gegenüber anderen Staaten geächtet wird. Wer durch Drohung oder die Förderung gewaltsamer Umstürze andere Staaten unter Druck setzt, gefährdet den Weltfrieden. Auch das immer stärker angewandte Instrument der UN-Militärmissionen, versehen mit einem Kampfmandat nach Kapitel VII, trägt erheblich zu einer Militarisierung der UNO bei. Deutschland muss seinen Beitrag dazu leisten, die Vereinten Nationen auf ihre ursprüngliche Verpflichtung der Charta zurückzubringen. Dazu gehört insbesondere das dort verankerte Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen.

Die Erwartungen sind hoch: Ab heute hat die Bundesregierung die historische Chance, den Geist der Gründungsmütter und -väter, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, im Sicherheitsrat zu stärken, indem sie einen globalen Waffenstillstand aktiv unterstützt und neue Initiativen für die globale atomare Rüstungskontrolle anstößt. Der Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag wäre dafür ein erster Schritt in diese Richtung.

Am Freitag (03.07.2020) wird der Antrag der Linksfraktion „Deutschen Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat für aktive Friedenspolitik nutzen“ [PDF] im Bundestag debattiert.