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Deutsche Zockerei beim Klimagipfel war zynisch

Nachricht von Eva Bulling-Schröter,

Eva Bulling-Schröter, Vorsitzende des Umweltausschusses berichtet Tag für Tag von ihrem Aufenthalt in Kopenhagen während des Klimagipfels.

Dienstag, der 15. Dezember 2009

Der der Chef des deutschen Forums Umwelt und Entwicklung, Jürgen Maier, der gestern nach sechs Stunden aufgegeben hatte, erhält heute nach fünf Stunden in der Kälte seine Akkreditierung und damit Einlass. Die Wut ist im in die Stirn gebrannt. Alle sehnen sich nach dem netten und hervorragend organisierten UN-Klima-Gipfel in Poznan vor einem Jahr zurück.

Mich rettet der Diplomatenpass. In einer Stunde bin ich akkreditiert. Wir eilen sofort zum Treffen der deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen (NGOs) mit den für Klimaschutz verantwortlichen Abgeordneten der Fraktionen des Bundestages. Unterwegs bekomme ich ein "Corbon Cake" von einer Umweltorganisation, die kritisch zum Treibhausgas-Emissionshandel steht.

Die NGO-Vertreter teilen uns ihre Sorge mit, dass der Gipfel zu Scheitern droht. Die Gründe: Die USA und China blockieren, die EU pokert. Leider muss ich nach 10 Minuten die Versammlung verlassen. Umweltminister Röttgen bittet mich als Vorsitzende des Umweltausschusses neben ihm und der parlamentarischen Staatssekretärin Katarina Reiche im Plenarsaal Platz zu nehmen. Es reden unter anderem Prinz Charles, der UN-Generalsekretär, Ban Ki-moon, die kenianische Friedens-Nobelpreisträgerin Wangari Maathai und die dänische Umweltministerin und Präsidentin der UN-Klimakonferenz Connie Hedegaard.

Ungefähr zeitgleich wird vor dem Konferenzgelände der deutsche Umweltaktivist Tadzio Müller von dänischen Zivilpolizisten beim Verlassen des Bella Centers verhaftet. Einmal mehr macht die dänische Polizei von den extra anlässlich der Konferenz verschärften Sicherheitsgesetzen (bekannt als "Lümmel-Gesetze") Gebrauch. Vorbeugende Verhaftungen von fast 1000 Demonstranten gab es schon am Samstag. Mit dem Festsetzen eines der führenden Köpfe des Protestes ohne erkennbaren Grund hat die Eskalation gegen die KritikerInnen des Klimagipfels nun eine neue Stufe erreicht. Das ist eine Einschränkung der Demonstrationsfreiheit und Schande für den Gipfel.

Mittwoch, der 16.12.09

Heute früh gibt es wieder einmal einen anderen Weg zum Konferenzgelände. Die Polizei hat den alten geschlossen - die Sicherheitsvorkehrungen wurden noch einmal verschärft. Schon bei der Anfahrt des Busses gegen Sieben können wir erleben, wie auf einer Brücke am Rande der Innenstadt eine Polizeisperre sämtliche Autos kontrolliert. Der Grund: Für den Vormittag ist die Aktion "Reclaim Power!" der Aktivisten des internationalen Netzwerkes "Climate Justice Action" angekündigt. Sie wollen in einer angemeldeten Demonstration zum Bella Center, um sich dort symbolisch mit einer Gruppe von KonferenzteilnehmerInnen, vor allem aus dem globalen Süden, zu verbinden. Letztere sollen aus dem Konferenzcenter heraus kommen. Im Freien soll dann so etwas wie ein "Gegengipfel" abgehalten werden, bei dem die Dinge zu Sprache kommen, die bei den UN-Verhandlungen vielfach unter den Tisch fallen: Menschenrechte, globale Gerechtigkeit, die Rolle der kapitalistischen Produktion bei der Ausplünderung unseres Planeten.

Ich gehe vorerst zur Frühbesprechung der deutschen Delegation, wo die Details der schwierigen und sehr komplexen Verhandlungen besprochen werden. Die einzelnen VerhandlerInnen aus dem Umweltministerium, die für Deutschland in den Arbeitsgruppen sitzen, berichten vom Vortag und bereiten den kommenden Konferenztag vor. Natürlich sind die für Klimaschutz zuständigen Abgeordneten der Bundestagsfraktionen hier in erster Linie interessierte Zuhörer. So tief wie die Fachleute aus dem BMU stecken wir nicht in den letzten Einzelfragen. Ohnehin ist die politische Linie der deutschen Klimadiplomatie durch CDU-Umweltminister Norbert Röttgen vorgegeben.

Klar ist aber, die Verhandlungen werden immer schwieriger, sie sind festgefahren: Das Misstrauen zwischen Industriestaaten sowie Entwicklungs- und Schwellenländern ist zu groß. Zudem sind bei den Treibhausgasemissionen die Minderungsvorschläge der Industrieländer, insbesondere der USA, aber auch Europas, gemessen an ihrer Verantwortung für den Klimawandel viel zu gering. Kein Wunder, dass sich Länder wie China oder Indien mit rechtlich verbindlichen Zusagen zu Emissionsbegrenzungen zurück halten. Rechnet man alle auf dem Tisch liegenden Vorschläge zusammen, so würde das Kyoto-Nachfolge-Abkommen - wenn es denn eines gäbe - auf eine Erderwärmung von 3,5 Grad über vorindustriellen Werten hinauslaufen. Damit würde das Klima in ein Chaos stürzen. Deshalb, und wegen der schwachen Finanzangebote des Nordens an den globalen Süden, sind die zahllosen Proteste auf und um den Klimagipfel vollkommen verständlich. Warum sollen etwa die Inselstaaten ihren Untergang beschließen? Warum afrikanische Länder die Versteppung ihrer Felder?

Dazu kommt, dass einige Verhandlungen hinter dem Rücken von etlichen Entwicklungsländern gelaufen sein sollen. Als in der Nacht zu Mittwoch ein neues Verhandlungspapier der dänischen Präsidentschaft bekannt wird, platzt einigen Delegierten, die dies offenbar zum ersten Mal sehen, der Kragen: Es kommt am Vormittag zu einem Eklat im Plenum. Sprecher der Gruppe G77 mit mehr als 130 Mitgliedern erklärten, man fühle sich übergangen. Die Verhandlungen gehen zwar anschließend weiter, aber das angestrebte Klimaabkommen rückt immer weiter in die Ferne.

Am Vormittag schließe ich mich der Protestgruppe von Umwelt- und Entwicklungsverbänden an, die - von Delegierten aus Lateinamerika angeführt - mit Sprechchören und Trommeln aus dem Bella Center auszieht. Zu der geplanten Vereinigung mit den Aktivisten vom Climate Justice Action kommt es jedoch nicht. Die Polizei versperrt uns den Weg zur Demonstration jenseits des Zauns des Konferenzgebäudes. Das Eindringen der DemonstrantInnen auf das Konferenzgelände wiederum verhindert die Polizei - teilweise mit brutaler Gewalt.

Pfefferspray und Schlagstöcken werden gegen friedliche Demonstranten eingesetzt, auch gegen Medienvertreter und sogar akkreditierte Tagungsteilnehmer. Das ist unverhältnismäßig und zeugt von einem fragwürdigen Demokratieverständnis der dänischen Polizei. Nachdem hunderte von Aktivisten in den vergangenen Tagen vorübergehend "vorbeugend" und meist ohne konkrete Verdachtsmomente festgenommen wurden, ist dies eine neue Eskalationsstufe. Dazu gehört die ebenfalls "vorbeugende" Festnahme ohne Anlass des deutschen Umweltaktivisten des Netzwerkes Climate Justice Action, Tadzio Müller, durch Zivilpolizisten am Vortag. Einer der führenden Köpfe des Protestes gegen den UN-Klimagipfel soll offensichtlich kalt gestellt werden. Ich fordere nachmittags in einer Presseerklärung die sofortige Freilassung Tadzios, der übrigens als Politikwissenschaftler schon öfter für die Rosa-Luxemburg-Stiftung gearbeitet hat.

Am Abend wird bekannt, dass sein Arrest um drei Tage verlängert wird. Bei dem Haftprüfungstermin seien auch Protokolle von abgehörten Handygesprächen und SMS-Nachrichten vorgelegt worden, ist in einer Presseerklärung des Netzwerkes von Climate Justice Action zu lesen. Bereits in den vergangenen Tagen hätten sich vor allem bei deutschen Aktivisten die Anzeichen gehäuft, dass ihre Telefone überwacht werden. "Zudem wurde ein Aktivist ständig von Zivilpolizisten verfolgt", berichtet einer von ihnen. Dänemark ist, was das Demokratieverständnis angeht, auf keinem guten Weg.

Das gilt auch für die Konferenz selbst, hier allerdings gesteuert durch die Konferenzleitung unter dänischem Vorsitz. Am Dienstag und Mittwoch wurde die Anzahl der akkreditierten Observer, die tatsächlich Einlass bekommen, deutlich reduziert. Tausende müssen draußen bleiben. Selbst die, die zusätzlich zur Akkreditierung den begehrten limitierten zweiten Ausweis haben, welcher eigentlich den Zugang gewährleisten sollte. Unter denen, die nicht reinkommen sind beispielsweise NGO-VertreterInnen von Friends of the Earth, dem auch der BUND angehört. Es kommt überall zu spontanen Sitzstreiks wegen des chaotischen und undemokratischen Einlassregimes. Doch es wird noch ärger kommen: Am Donnerstag sollen nur noch um die 300, und am Freitag sogar nur noch 90 Observer zugelassen werden.

Am Nachmittag bin ich von den Protesten vor den Toren wieder zurück im Bella Center. Ein Treffen der deutschen Parlamentariergruppe mit einer Abgeordneten-Delegation aus Guatemala steht auf dem Programm. Die Mittelamerikaner erklären uns, dass ihr Land zu den zehn vom Klimawandel verwundbarsten Staaten gehört. Sorgen bereitet ihnen die zunehmende Trockenheit. Das größte Problem sei aber die fortscheitende Entwaldung. Deshalb hätte Guatemala größtes Interesse an den internationalen Waldschutzfonds, über die in Kopenhagen verhandelt wird. Der Wald soll "in Wert gesetzt" werden, indem verminderte Abholzung oder Wiederaufforstung über internationale Gelder honoriert werden. Dies soll ein ökonomisches Interesse am Waldschutz schaffen, wo administrative Regelungen versagen. Das unter dem Kürzel "REDD" debattierte System ist sehr umstritten und gilt als missbrauchsanfällig. Die Guatemalteken wollen in Kürze ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, um rechtliche Vorraussetzungen für die Etablierung von REDD zu schaffen. Dabei sollen auch die Rechte der indigenen Völker am Wald verankert werden.

Nach dem Gespräch schaue ich mir an einem großen Monitor in der Haupthalle einige Plenarreden an. Unter anderem die von Hugo Chavez. Er ist sicher nicht unumstritten, hier aber einer der wenigen Staatschefs, die auf den Punkt bringen, was auch zahllose NGOs, vor allem aus dem Süden, skandieren: Die Erderwärmung ist nicht nur Politikversagen. Es ist auch der Kapitalismus als System, der die Erde zerstört. Da hat er Recht. Welche Rolle aber Venezuela als wichtiges Erdölexport-Land im internationalen Klimaschutz spielen soll, bleibt ein wenig unklar.

Abends um sechs gehen wir zur täglichen Verleihung des "Fossil of the Day" durch die internationalen Umweltorganisations-Netzwerke Avaaz und CAN. Diese an Kabarett erinnernde Vorstellung ist unter Journalisten und Gipfelteilnehmern sehr beliebt, wegen ihres Unterhaltungswertes vor ernstem Hintergrund. Ausgezeichnet werden nämlich immer jene Länder oder Ländergruppen, welche am laufenden Konferenztag am meisten gegen Fortschritte im Klimaschutz agiert haben.

Auf dem Weg aus dem zur Vergabe des Preises kommen wir im zentralen Teil des Konferenzgebäudes an 50 Jugendlichen aus verschiedenen Ländern vorbei. Sie haben sich zu einem Sit-In niedergelassen und verlesen die Namen der Unterzeichner der Kampagne "Die Welt braucht ein echtes Abkommen". Das ist eine von vielen kleinen Protestaktionen gegen die schleppenden Verhandlungen, die seit Tagen im Bella Center stattfinden.

Am Mittwochabend bekommt beim "Fossil of the Day" die so genannte "Umbrella-Gruppe" den zweiten Platz. Diese Gruppe unter dem symbolischen Dach eines Regenschirms besteht aus den USA, Japan, Kanada, Australien, Neuseeland, Island, Norwegen und der Russischen Föderation. Sie ist klimapolitische eine Bremserallianz. Es ist seit Jahren die Koalition derjenigen Länder, die wenig oder nichts machen wollen, um die Erderwärmung zu stoppen.

Platz eins erhält heute einmal mehr die USA. Die Amerikaner wehren sich auch unter Obama gegen die Einbeziehung des Landes mit dem größten Pro-Kopf-Emissionen in ein verbindliches Abkommen. Dafür fordert die Regierung umso energischer Verpflichtungen zu Emissionsbegrenzungen bei Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese krude Haltung ist einer der Hauptgründe für das drohende Scheitern des Gipfels, das immer wahrscheinlicher wird.

Am Abend treffen wir uns bei einem Spanier in der Kopenhagener Altstadt erstmals mit Sabine Wils, unserer Umweltfrau in der Gruppe der Linken im Europaparlament. Auch für solche Treffen ist so eine Konferenz manchmal hilfreich: Sabine ist meist in Brüssel, Strassburg oder Hamburg, ich bin in Berlin, Ingolstadt und ganz Bayern unterwegs. Da kommen solche Gelegenheiten ganz gut.

Donnerstag, der 17. Dezember 2009

Kopenhagen hat sich über Nacht in eine weiße Winterlandschaft verwandelt. Das ist romantisch, sorgt aber dafür, dass sich morgens mein Bus zum Bella Center arg verspätet. Dort ist es nun spürbar leerer auf den Gängen - die meisten akkreditierten NGO-VertreterInnen sind ja von der Konferenzleitung ausgesperrt. Nur 300 von ihnen dürfen noch in den Komplex. Viele NGOs haben sich in eine Nebenhalle des Klimaforums gleich neben dem Hauptbahnhof eingemietet, das ja den Alternativgipfel der Zivilgesellschaft beherbergt.

Im Konferenzzentrum und in der Stadt gibt es aber jede Menge sehr spezieller "NGOs", die genug Geld haben, trotz aller Restriktionen präsent zu bleiben. Die großen Konzerne dieser Welt leisten fleißige Lobbyarbeit. Unter dem Motto "Hopenhagen" ist der Rathausplatz Kopenhagens voll gestellt mit Pavillons solcher Unternehmen, wie Siemens und Vattenfall, die deren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung dieser Erde überschaubar ist. Greenwashing ist in der ganzen Stadt präsent. Etwa mit Präsentationen von schweren BMW- oder Hummer-Karrossen oder Rennwagen mit Elektro- bzw. Wasserstoffantrieb. Selbst Brad Pitt mit einem kupfernen Infokasten "Is saving Planet Earth". Auch im Konferenzgelände selbst gibt es solche Business-Bereiche. So stellt etwa Google eine neue Version von "Google Earth" in einer Multimedia-Kabine vor, in der sich müde Delegierte, von mannsgroßen Leinwänden umgeben, 3-D in ihre Heimatländer zoomen.

Beim morgendlichen Briefing erläutert und Nicole Wilke, die Chefin der deutschen Delegation bei der Weltklimakonferenz, den letzten Stand der Verhandlungen. In der Nacht waren diese ausgesetzt. Die G-77, also die Gruppe der 130 Entwicklungs- und Schwellenländer, hatten sich geweigert, über einen vorgelegten dänischen Text zu verhandeln, an dessen Erarbeitung die meisten dieser Staaten nicht beteiligt waren.

Im Laufe des Tages glauben nur noch wenige, dass der Klimagipfel zu einem substantiellen Erfolg führen wird. Dänemark gibt seinen unglücklichen Vorstoß für einen neuen Entwurf des Klimaschutzabkommens dann auch auf. Die 193 Staaten sollten sich auf bestehende UN-Texte vom Freitag zuvor stützen, die zentrale Ziele zur Bekämpfung der globalen Erwärmung skizzierten, so der dänische Ministerpräsident und neue Leiter der Weltklimakonferenz, Rasmussen.

Ob bei dem vorliegenden Sammelsurium an alternativen Vorschlägen jedoch wenigstens jene verbindlichen COP-Entscheidungen heraus springen werden, die Umweltverbände als Mindestziel der Konferenz ansehen, bleibt fraglich. Auf deren Basis sollte dann im nächsten Jahr ein ratifizierungsfähiger Rechtstext erarbeitet werden. Doch der Prozess stockt. Vor allem, weil die USA und China sich gegenseitig blockieren. Ein ratifizierungsfähiges Abkommen bereits in Kopenhagen zu verabschieden, gilt ohnehin als längst ausgeschlossen.

Wenn jetzt nicht die Europäische Union endlich einen großen Sprung nach vorn macht, ist die Konferenz gescheitert. Die kommende Nacht wird darum die Nacht der langen Messer. Jetzt müssen die Staaten nicht Positionen verteidigen, sondern auch welche aufgeben - also auf die andere Seite spürbar zugehen. Die EU könnten hier als Konferenzretter in die Geschichte eingehen, wenn sie ihre Minderungsziele für Treibhausgasemissionen genauso heraufschraubt, wie die finanziellen Zusagen für die Entwicklungsländer. 30 Prozent Minderung bis 2020 gegenüber 1990, besser sogar 40 Prozent, müssten drin sein. Sie sollte klarstellen, dass deutlich erhöhte Finanztransfers an den globalen Süden für Klimaschutz und Anpassung zusätzlich zur Entwicklungshilfe erfolgen werden. Es muss frisches Geld, und kein recyceln alter Versprechen sein. Doch bei dem Chaos der Konferenz fällt es schwer, Optimistin zu bleiben.

Um elf Uhr soll die Konferenz weitergehen. Derweil gibt der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen eine Pressekonferenz, auf der allerdings wenig Neues zu erfahren ist. Unter anderem erklärt er dort, dass es Länder gebe, denen auf der Konferenz "die strategische Orientierung fehle", zum Beispiel Venezuela. Das sehe ich ein wenig anders. Denn im Gegensatz zu Röttgen halte ich es durchaus für angebracht, wenn Präsident Hugo Chavez in Kopenhagen den Industriestaaten, und insbesondere der weiterhin arroganten Supermacht USA, anständig einheizt.

Im Laufe des Tages haben wir mehre Treffen mit Parlamentarierdelegationen anderer Staaten: Mit Mexiko, Finnland und Südafrika. Auf dem Weg zu den Mexikanern treffe ich die Berliner Umweltsenatorin der LINKEN, Katrin Lompscher. Sie ist als Vertreterin des Bundesrates angereist und nutzt die Gelegenheit, um sich mit anderen Bürgermeistern aus Großstädten dieser Welt zu treffen.

Die Mexikaner empfangen uns außerordentlich herzlich. Sie interessieren sich für die Details der deutschen Position in den Klimaverhandlungen und erklären, dass das Land vor allem im Süden sehr unter der Zunahme von Hurrikans und den damit verbundenen Überschwemmungen leidet. Die Klimaflüchtlinge im eigenen Land seien nicht nur eine menschliche Tragödie. Infolge der klimabedingten Migration und damit entstehender neuer Armut entstünden sozialen Verwerfungen, die mittlerweile auch ein Sicherheitsproblem in dem ohnehin von hoher Kriminalität geplagten Land darstellten.

Auch für die Mexikaner ist Waldschutz ein großes Thema. Zwölf Prozent des Landes sind Nationalparks, aber hier wie anderswo drohe Abholzung. Darum sei die Regierung daran an den internationalen Waldschutzfonds interessiert, die im Zusammenhang mit REDD interessiert (siehe Bericht von gestern). Zudem solle mehr für die Umweltbildung der Bevölkerung getan werden.

Mit den Finnländern tauschen wir unsere Positionen zu den Verhandlungszielen aus. Auch sie sind der Meinung, dass diese viel ambitionierter sein müssten, als das was bislang auf dem Tisch liegt. Am Ende machen sie den Vorschlag, die Umweltausschüsse beider Länder sollten sich treffen, um sich über die ökologischen Probleme des Ostseeraums auszutauschen. Vielleicht wäre ja Rostock ein geeigneter Ort dafür. Ich werde das mal in der nächsten Obleute-Besprechung vor der kommenden Umweltausschusssitzung vorschlagen.

Die Südafrikaner diskutieren mit uns deutschen Abgeordneten über die Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen im globalen Süden. Allerdings ist das Treffen nur sehr kurz, weil die Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem UN-Plenum beginnt. Leider ist diese Rede enttäuschend. Denn Frau Merkel bringt nichts mit nach Kopenhagen, was nicht schon in den ergangenen Tagen bekannt gewesen wäre. Viele hatten eigentlich erwartet, dass sich die ehemalige Bundesumweltministerin nicht die Chance entgehen lässt, mit einem mutigen Vorschlag zu Minderungszielen oder zur Finanzierung die Verhandlungen aus der Sackgasse zu führen. Schließlich ist sie mit der Materie vertraut wie nur wenige Regierungschefs dieser Welt und betont ständig die Vorreiterrolle Deutschlands in der globalen Klimapolitik.

Am Abend kreisen unaufhörlich Hubschrauber über der Stadt. Blaulicht und Sirenen erfüllen die Hauptstraßen. Die Polizei ist nervös, denn die meisten der 119 Regierungschefs reisen heute zum so genannten "High Level Segment" an, morgen kommt US-Präsident Barack Obama. Ob er Schwung in die festgefahrenen Verhandlungen bringt?

Freitag, der 18. Dezember 2009

Heute ist mein letzter Tag in Kopenhagen. Es soll eigentlich auch der letzte Tag der UN-Konferenz sein. Am frühen Nachmittag geht mein Flug nach München. Ein letztes Mal geht’s ins Bella Center am Rand Kopenhagens. Die Frühbesprechung der Delegation bestätigt noch einmal, was alle schon wissen: Die Konferenz ist kurz vor ihrem Ende festgefahren. Es gehen Gerüchte, sie werde um einen Tag verlängert.

Am Morgen folgen 30 Aktivisten einem Aufruf der Berliner "Klimapiraten", sich vor dem Bella Center den Kopf kahl zu scheren - als Zeichen der Scham über das Versagen der Staaten bei dieser Mammutkonferenz.

Versagen trotz hektischer Diplomatie: Kurz vor Mitternacht hatte sich eine ausgewählte Runde von 25 Regierungschefs zu einer Grundsatzdebatte getroffen und ihre Minister beauftragt, eine politische Abschlusserklärung vorzubereiten.

Hallo? Eine "Erklärung"? Dies wäre ja schon das Eingeständnis des Scheiterns. Schließlich war das Mindestziel eine "Entscheidung" der Konferenz. Diese im Völkerrecht "decision" genante rechtliche Institution hat einen deutlich höheren Verbindlichkeitsgrad als eine "Erklärung", von denen es jede Menge folgenloser gibt. Eine Entscheidung würde die Staaten verpflichten, auf Grundlage der entschiedenen Punkte ratifizierungsfähige Rechtstexte zu machen. Eine Erklärung ist hingegen politische Prosa, alsbald frei zur Entsorgung.

Jedenfalls hat die dänische Cop-Präsidentschaft im Auftrag der Minister gegen drei Uhr in der früh einen solchen Text vorgelegt, was - die armen Dänen, nach all dem Schmach der Chaos-Konferenz - wieder mal gründlich schief ging. Das Ding wurde von den Ministern sofort begraben. Der deutsche Umweltminister formulierte diplomatisch, dieser Text habe "nicht das geleistet habe, was er hätte leisten müssen".

Mahnende und dramatische Worte dann mittags bei denn Ansprachen der nach Lage der Dinge "wichtigsten Führer" dieser Welt. Wirklich Neues sagen aber weder der am Morgen angereiste US-Präsident Barack Obama, noch die Präsidenten von China, Indien, Russland oder Brasilien.

Am Vormittag trommelt Obama die Kerngruppe von mittlerweile 30 Staaten noch einmal zusammen. Als Ergebnis soll es nun eine 12-Punke-Erklärung geben. Was da drin steht habe ich jedoch vor dem Abflug nicht mehr erfahren. Und ob es die G-77, also die Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer, akzeptieren steht ohnehin in den Sternen.

Allerdings braucht man wohl keine Glaskugel: Von einem erfolgreichen Abschluss im Sinne einer zielführenden und gerechten internationalen Klimaschutzpolitik dürfte das Ergebnis jedoch weit entfernt sein. Und das ist tatsächlich eine Schande, angesichts der dramatischen Folgen der Erderwärmung, unter denen insbesondere die Ärmsten dieser Welt zu leiden haben.

Doch genug der Mutmaßungen. Warten wir den Samstag ab. Mit meinen Mitarbeitern werde ich am Wochenende das Ergebnis der UN-Klimakonferenz auswerten.

Samstag, der 19. Dezember 2009 - Das totale Scheitern der Mammut-Konferenz

Seit gestern Abend bin ich wieder in Ingolstadt. Meine Mitarbeiter sind heute noch bis zum Mittag in Kopenhagen. Über den Tag telefonieren wir mehrmals, um uns darüber auszutauschen, was in den letzten Stunden der UN-Klimakonferenz passiert ist. Letzte Recherchen vor Ort, Tickermeldungen und der im Internet verfügbare Entwurf einer Abschlusserklärung helfen dabei.

Die Nacht in Kopenhagen muss ein Fiasko gewesen sein. Das Papier, welches die selbsternannte Kerngruppe von 30 Staaten unter Führung Barack Obamas am Vorabend erarbeitet hatte, ist im Plenum zerrissen worden. Und zwar von einigen jener Länder, die nicht zu den Auserwählten zählten.

Gegen 3.15 Uhr morgens erhebt Ian Fry aus Tuvalu im großen Plenarsaal erregt die Stimme. Ein Land, 26 Quadratkilometer groß, 12.000 Einwohner, lehnt sich gegen die USA auf, gegen China, Indien, Brasilien. Der Konsens von rund 30 Staaten, an dem auch Entwicklungsländer beteiligt waren, würde für seine Nation "Den Tod" bedeuten. Das Land fürchtet unterzugehen, wenn die Erderwärmung tatsächlich jene zwei Grad erreicht, die im Kompromissentwurf der 30 als Obergrenze steht, erklärt Fry. Für Tuvalu - das hat der pazifische Inselstaat stets klar gemacht - sind 1,5 Grad Celsius das Maximale.

Fry weist anschließend das Geld zurück, das die Industrieländer dem globalen Süden für den Klimaschutz und Anpassung angeboten haben. 30 Milliarden Dollar zwischen 2010 und 2012 sollten es sein, und 100 Milliarden Dollar jährlich ab 2020. Tuvalu werde für keine Summe der Welt, und schon gar nicht für "30 Silberlinge" sein Volk und dessen Zukunft verraten.

Aber nicht nur die vom Versinken bedrohte Insel geht in Konfrontation. Der Vertreter Nicaraguas spricht von einem "Übernahmeversuch" der Kerngruppe gegen die G-192, also die Vereinten Nationen. Er fordert im Namen von acht Staaten, darunter Kuba und Ecuador, den vorläufigen Abbruch der Konferenz. Sie soll spätestens im Juni 2010 wieder zusammentreten. Venezuelas Vertreterin Claudia Salerno Caldera donnert, die Delegationen hätten nach dem Willen der Kerngruppe gerade einmal 60 Minuten Zeit gehabt, um über den in den Hinterzimmern des Kongresszentrums ausgehandelten Text nachzudenken. Sie spricht von einem "Staatsstreich" gegen die Vereinten Nationen.

Der Sudan erklärt gar, der Westen riskiere mit einer Erderwärmung von zwei Grad die "Auslöschung von Afrika". Und dies sei etwas Ähnliches wie das, "was einmal sechs Millionen Menschen" in Europa den Tod gebracht habe. Obwohl ich den Kern der Aussage verstehe, halte ich diesen Holocaust-Vergleich für eine unfassbare Entgleisung.

Das Plenum kocht, solche Zustände der offenen Auflehnung solle es noch nie bei der UN gegeben haben. Viele Regierungschefs der Kerngruppe, an die sich die erbosten Botschaften richten, sind allerdings bereits abgereist, obwohl der Text der Erklärung noch gar nicht durchs Plenum ging. Unter anderem sitzt Barack Obama schon im Flugzeug - offiziell wegen erwarteter schlechter Wetterbedingungen.

Die Konferenz wird unterbrochen und um fünf Uhr in der früh wieder einberufen. Jetzt treten einige Staaten den Äußerungen des Sudanesen und der Front der Ablehnung entgegen. Unter anderem die Vertreterin der kleinen Inselstaaten (Aosis), aber auch Australien, Ägypten, Äthiopien, Spanien, Kanada, Frankreich oder Großbritannien. Die meisten von Ihnen halten den Entwurf der Abschlusserklärung für sehr unvollkommen, aber für legitimiert. "Wir können diesen Ort nicht ohne etwas Vorzeigbares zu verlassen", sagt etwa Kevin Conrad, der Klimabotschafter von Papua-Neuguinea.

Selbstverständlich verteidigt und lobt US-Klimabotschafter Todd Stern die von Obama fast erzwungene Erklärung, es gebe Fortschritte, so beim Technologietransfer und der Finanzierung. Dann droht er den Aufsässigen, die USA könnten bei Ablehnung den UN-Klimaprozess als Ganzes in Frage zu stellen. Die Entwicklung sei "extrem störend für den Planeten und für die Gesundheit und die Existenz dieser Institution".

Die Rolle der USA bleibt also bis zum Schluss enttäuschend. Sie führt eine Koalition der Unwilligen an. Dies zeigt sich auch daran, welchen Beitrag die größte Volkswirtschaft der Welt, die mit Abstand den größten Anteil an der Erderwärmung zu verantworten hat, bereit ist, an Finanzierungsleistungen für arme Länder zu übernehmen: Von den versprochenen 30 Milliarden zwischen 2010 und 1012 bietet sie für die Soforthilfe gerade einmal 3,6 Milliarden Dollar an. Das sei etwa ein Drittel des Betrages der EU, "und in etwa das, was die USA alle 60 Stunden für ihr Militär ausgeben", vergleicht "Spiegel online" pointiert.

Was die Zustimmung vieler Entwicklungsländer betrifft, so lockt wohl allein die Aussicht auf Milliarden-Transfers. Die ökologische Substanz und Verbindlichkeit der Erklärung kann es nicht sein. Nicht nur den Umweltverbänden, sondern auch jeden im Konferenzsaal dürfte klar sein: Was den Klimaschutz betrifft ist der Text eine Katastrophe.

Weil bei der UN das Einstimmigkeitsprinzip herrscht, reicht die Verweigerung der anderen Gruppe aus dem Süden, um die Erklärung zu Fall zu bringen. Um wenigstens das Gesichts zu wahren, denkt sich die Konferenzführung nun einen Trick aus: Die Erklärung wird am Vormittag vom Plenum nicht abgestimmt, sondern nur "zur Kenntnis genommen". Die Staaten sollen zu Hause selbst entscheiden, ob sie das Papier unterzeichnen. Statt eines neuen, rechtlich verbindlichen Klimaschutzabkommens haben wir also einmal mehr politische Prosa. Nicht einmal zu einer "Entscheidung" der COP hat es nicht gereicht, welche wenigstens eine gewisse Verbindlichkeit gehabt hätte (siehe Bericht von gestern).

Ganz klar. Die größte und vielleicht wichtigste UN-Klimakonferenz aller Zeiten ist grandios gescheitert. Das wäre sie übrigens auch, wenn die Staaten die Abschlusserklärung tatsächlich angenommen hätten. Denn abgesehen von den kurzfristigen Finanzzusagen (gelten wenigstens die nun überhaupt?) ist sie nicht das Papier wert, auf dem sie steht.

Und selbst wenn das Papier als Entscheidung der COP verabschiedet worden wäre: Wie bitte schön soll das im Papier enthaltene 2-Grad-Ziel erreicht und der globale Emissionsanstieg bis 2015 gebremst werden, wenn nicht mal mehr der Zeitpunkt des Abschluss eines neuen Abkommens in der Erklärung benannt ist. Dem Text zufolge sollen die Industrieländer lediglich freiwillige Minderungsziele für Treibhausgase bis Ende Januar 2010 international festschreiben. Länderverpflichtungen zu weniger Emissionen sucht man vergeblich.

Der Text kennt überhaupt keine Zahlen zur Minderung des globalen Treibhausgas-Ausstoßes. Nicht global bis zum Jahr 2020 und auch nicht als Langfrist-Ziel bis 2050. Letzteres war wenigstens in den Entwürfen zuvor enthalten; die Emissionen der Industriestaaten sollten bis Mitte des Jahrhunderts um 80 Prozent sinken. Im "Copenhagen Accord" wird dies Ziel aber nicht mehr genannt. Selbst ob die 100 Milliarden ab 2020 für den globalen Süden wirklich fließen ist unklar. Nicht nur weil die Erklärung sicher nur von einem Teil der potentiellen Geber-Staaten unterzeichnet werden wird. Die entscheidende Frage bei der Langfristfinanzierung bleibt bereits im Dokument selbst unbeantwortet: wer zahlt’s?

Die EU und Deutschland haben bis zur letzten Minute lieber gepokert, als durch eine Vorreiterrolle die anderen Länder mitzureißen - sie haben sich verzockt. Warum hat sich die EU nicht frühzeitig zum längst beschlossenen minus-30-Prozent-Ziel bekannt? Rum wollte die Bundesrepublik die Transferzahlungen an die armen Länder mit der Entwicklungshilfe verrechnen? Nein, das war keine Verhandlungsstrategie, sondern nur noch zynisch. Angesichts von Millionen Menschen, deren Überleben schon heute durch den Klimawandel bedroht ist, hätte ich einfach mehr Menschlichkeit erwartet.

Von Eva Bulling-Schröter, Vorsitzende des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages und umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, aus Kopenhagen