Zum Hauptinhalt springen

»Der Widerstand muss bleiben«

Interview der Woche von Klaus Ernst,

 

US-Präsident Obama besucht am Sonnabend die Hannover-Messe, um gemeinsam mit Bundeskanzlerin Merkel für das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zu werben. Zahlreiche Initiativen und Verbände haben zu einer Großdemonstration gegen das Abkommen aufgerufen. Klaus Ernst, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, hält den Widerstand für dringend notwendig: "Die Abgeordneten müssen merken: Der politische Preis für eine Zustimmung zu TTIP und CETA ist hoch, zu hoch", sagt er im Interview der Woche.

 

Am kommenden Wochenende kommt Barack Obama nach Hannover, insbesondere um das Freihandelsabkommen TTIP voran zu bringen. Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr, will er das Abkommen noch während seiner Amtszeit schließen. Werden jetzt Nägel mit Köpfen gemacht?

Am Freitag erst kam die Meldung, dass der US-Botschafter in Deutschland von einer Einigung noch unter Obama ausgeht. Schaut man aber in die Protokolle zu den Verhandlungsrunden, wird klar, dass bei vielen zentralen Themen noch sehr gegensätzliche Positionen vorliegen. So zum Beispiel bei der öffentlichen Beschaffung: Die „Buy America“-Klausel in den USA erlaubt gar keine Öffnung für ausländische Unternehmen. Die EU besteht dennoch auf den Zugang zum US-Beschaffungsmarkt. Und TTIP light, also ein Abkommen ohne die strittigen Themen, wird abgelehnt. Fazit: Der Widerstand muss bleiben – aber sollte eine Seite nicht komplett ihre Position aufgeben, wird TTIP kaum so schnell nicht unter Dach und Fach sein.

In Hannover wird Obama von voraussichtlich mehreren zehntausend Demonstrierenden empfangen werden, die gegen die Abkommen TTIP und CETA mobil machen. Auch DIE LINKE ruft zur Teilnahme daran auf. Warum ist der Protest jetzt so wichtig?

CETA ist fertig verhandelt. Die EU-Kommission geht nach wie vor davon aus, dass die europäische Ebene CETA alleine in Kraft setzen kann. Und die Bundesregierung beabsichtigt, einer vorläufigen Anwendung von CETA zuzustimmen. Das bedeutet, dass ohne entsprechende Verabschiedung eines Ratifizierungsgesetzes im Deutschen Bundestag CETA in Kraft treten würde. Das muss verhindert werden! Es ist dreist, wie Merkel und Gabriel den großen Widerstand gegen TTIP und CETA einfach ignorieren und Gabriel die Kritik vieler SPD-Mitglieder. The show must go on. Obama und Merkel werden bei der Eröffnung der Hannover-Messe für TTIP werben. Das werden wir ihnen vermasseln!

Sie haben vergangene Woche darauf aufmerksam gemacht, dass die Bundesregierung CETA faktisch schon beschlossen hat und die Zustimmung des Bundestages jetzt letztlich nur noch reine Formsache sei. Ist da jetzt wirklich schon alles gelaufen, oder gibt es noch Möglichkeiten, das Abkommen zu verhindern?

Das letzte Wort zur vorläufigen Anwendung ist sicher noch nicht gesprochen. Die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Anwendung ist sehr zweifelhaft. Ein Gutachten im Auftrag von Foodwatch arbeitet zum einen die Abgrenzungsproblematik zwischen EU-Zuständigkeiten und nationalen Zuständigkeiten heraus. Bei der vorläufigen Anwendung dürfen nur die EU-Teile in Kraft gesetzt werden, doch diese Grenzen sind kaum zu ziehen! Zum anderen hält das Gutachten die Umgehung der Parlamente – nur der Rat muss zustimmen – für „verfassungsrechtlich und demokratiepolitisch unakzeptabel“, denn „das rechtliche Ergebnis einer vorläufigen Anwendung ist annähernd gleich zur endgültigen Anwendung nach ordnungsgemäßer Ratifikation“.

So gut wie alle aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten von Donald Trump bis Bernie Sanders lehnen die Abkommen ab. Wer hat jetzt noch Interesse daran, TTIP und CETA durchzusetzen – und weshalb?

Daran wird es deutlich: TTIP ist kein Abkommen im Sinne der Bürger – weder der europäischen noch der US-amerikanischen. Es ist ein Abkommen im Sinne der europäischen und amerikanischen Großkonzerne. Deshalb traut sich auch keiner der Kandidaten in den USA, für TTIP Partei zu ergreifen. Wären in Deutschland dieses Jahr Bundestagswahlen, würde sich der Diskurs innerhalb der Großen Koalition sicher auch gegen TTIP und CETA verschieben. Denn die Abkommen sind ein Verlierer-Thema.

Gleichzeitig dient die Haltung der US-Kandidaten auch dazu, die deutschen und europäischen Handlanger der Großindustrie dazu zu bringen, noch weiter auf die USA zuzugehen, um bloß das gesamte Abkommen nicht zu gefährden.

Welche Möglichkeiten gibt es auf der parlamentarischen Ebene, die Verhandlungen zu stoppen? Welche Möglichkeiten hat die Zivilgesellschaft?

Die Zivilgesellschaft muss den Druck aufrechterhalten. Die Abgeordneten müssen merken: Der politische Preis für eine Zustimmung zu TTIP und CETA ist hoch, zu hoch. Peter Ramsauer von der CSU beispielsweise äußerte sich im Rahmen einer Ausschuss-Reise sehr irritiert und besorgt über Anti-TTIP-Proteste in seinem Wahlkreis Traunstein - getragen von seiner Wählerklientel.

Wir als Fraktion versuchen, den Protest ins Parlament zu tragen.

Angesichts der Ignoranz von Merkel und Gabriel müssen wir am Ende aber wohl hoffen, dass entweder Frankreich bzw. ein Referendum in den Niederlanden TTIP und CETA scheitern lassen oder Verfassungsklagen die Abkommen stoppen.

 

linksfraktion.de, 19. April 2016