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"Der Heilige Vater wählt uns nicht"

Im Wortlaut von Bodo Ramelow,

Linksfraktionsvize Bodo Ramelow über den Papst, Ambitionen in Thüringen und linke Sonderwege aus dem Saarland

Herr Ramelow, Sie waren kürzlich zur Audienz beim Papst, ihre familienpolitische Sprecherin im Saarland setzt sich für die Kinderbetreuung daheim ein. Ist die Linke in Wahrheit eine konservative Partei?

Nein, aber eine interessante Frage. Beim heiligen Vater war ich als religionspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Für mich als evangelischer Christ war es eine ganz spannende Erfahrung, im Vatikan viele Gespräche führen zu können. Und was die familienpolitischen Vorstellungen aus dem Saarland betrifft: Die Linke dort hat eine bestimmte Vorstellung, die offenkundig mit der Lebenssituation vieler Frauen vor allem im Westen zusammenhängt, was ich auch durchaus nachvollziehen kann. Aber das ist nicht das Lebensmodell und nicht die Erfahrung der ostdeutschen Frauen.

Zur Familie Lafontaine später. Zunächst: Haben Sie den Papst fragen können, ob er aus Gerechtigkeitsgründen auch die Linke wählen würde?

Ich fürchte, er würde die Linke nicht wählen, obwohl er ein wirklich kluger Mann ist. Ich teile seine Auffassungen nicht und lehne vieles ab. Trotzdem sehe ich, dass Benedikt XXVI. sehr stark für die Einheit der Kirche aus katholischer Sicht wirbt. Wenn man etwa vom Balkon unter dem Schlafzimmer von Benedikt auf den Petersplatz und über Rom schaut, guckt man genau auf eine russisch-orthodoxe Kirche, die gerade gebaut wird. Und zwar auf dem Gelände der russischen Botschaft. Das sind Dinge, die wir in Deutschland gar nicht mitkriegen.

Wir hatten uns schon gewundert, wozu die frühere PDS überhaupt einen religionspolitischen Sprecher braucht.

Täuschen Sie sich nicht. Viele von uns sind bibelfest. Aber richtig ist: Der Eindruck, wir seien ein rein atheistischer Verein, hat natürlich mit der Geschichte zu tun, mit der Kirchenfeindlichkeit der SED. Wir können ja nicht so tun, als hätte es das nicht gegeben und nicht auch genügend in der Kirche platzierte Horch und Guck. Anderseits: Wenn heute eine sächsische Kirchenzeitung über mich berichtet, gibt es sofort Leserbriefe, wieso man denn über so einen Typen wie mich etwas schreiben würde. Und dann muss die Redaktion immer darauf hinweisen: Der Ramelow ist erstens bekennender Christ und zweitens Mitglied der Kirche.

Zur Morgenandacht gehen Sie aber weiterhin allein?

Ich gehe zum Gebetsfrühstück - zusammen mit einer Reihe meiner Kollegen. In der Linksfraktion gibt es Abgeordnete sowohl mit evangelischem als auch mit katholischem und muslimischem Hintergrund. Wir haben querbeet alles außer einem bekennenden Juden.

Umso mehr verwundert ein nicht gerade christlicher Umgangston. Sie haben Aufbau-Ost-Minister Tiefensee gerade empfohlen, das Maul zu halten.

Das war am Ende einer Kette von Schmähungen über uns. Tiefensee, der selbst nichts zustande bringt für den Osten, hat Oskar Lafontaine auch noch dafür die Schuld gegeben. Die miese Stimmung im Osten jetzt Oskar anzulasten, ist wirklich absurd. Lafontaine scheint momentan bei der SPD schuld an allem und an jedem zu sein.

Aber Lafontaine ist doch auch in ihrer Partei höchst umstritten.

Beim Parteitag wurde er mit überwältigender Zustimmung zum Vorsitzenden gewählt. Oskar Lafontaine ist derjenige, der 2005 dafür Pate stand, dass PDS und WASG gemeinsam erfolgreich bei der Bundestagswahl angetreten sind. Ohne ihn hätte die PDS keine Chance gehabt, ihren begrenzten Bereich im Osten zu verlassen. Und jetzt stellen wir uns gesamtdeutsch auf.

Als reine Protestpartei, fürchten einige Ihrer Genossen.

Das ist doch Quatsch. Jeder, der sich ernsthaft mit Lafontaine auseinandersetzt, muss ihn messen an seiner Lebensleistung als Oberbürgermeister, Ministerpräsident, Finanzminister. Lafontaine steht nicht für Opposition, sondern für eine andere Politik. Er will regieren, um zu verändern. Ich verstehe deshalb manche bei uns nicht, die jetzt Phantomschmerzen haben, wir würden auf dem Weg rückwärts sein. Ich war wie viele Tausend andere in der neuen Linken nie in der SED und will auch nachträglich nicht in ihr gewesen sein.

Sehen Sie nicht auch die Gefahr, dass die SPD inzwischen der Hauptgegner der Linken unter Lafontaine wird?

Nein. Lafontaine kritisiert alle Parteien, die für Sozialabbau und völkerrechtswidrige Kriege verantwortlich sind. Die Linke ist Bündnispartner für eine andere Politik. Lafontaine polarisiert in diesem Prozess zwar. Aber sonst würde über uns doch gar keiner reden. In drei Bundesländern könnte die SPD heute mit uns die Regierung stellen.

In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen Anhalt?

Wenn die SPD im Bundesrat über eine gestaltungsfähige Mehrheit verfügen will, um beispielsweise einen gesetzlichen Mindestlohn durchzusetzen, wird sie nicht umhinkommen, ihr Verhältnis zur Linken zu klären. Das gilt auch und gerade für Thüringen, wo sich 2009 die Frage noch auf besondere Weise stellen wird. Ich will dort für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren, und das meine ich ernst.

Morgen reden Sie in Ihrem Parteivorstand aber erst mal über Christa Müller und ihr altmodisches Familienbild.

In einem jedenfalls hat Christa Müller recht: Für alle Kinder muss es eine Chance geben, ordentlich betreut zu werden. Dazu gehört auch ein pädagogisch gut geschultes Personal in Kindertageseinrichtungen. Dann kann jede Familie für sich entscheiden, ob das oder die natürliche Bindung zu den Eltern für das Wohl ihres Kindes besser ist. Frauen in den neuen Bundesländern denken aus ihrer DDR-Prägung Beruf und Kinderbetreuung gleichberechtigt. Die Befürchtung, mehr Kindereinrichtungen führten zu einem Zwang, die Kinder in der Krippe abzugeben, halte ich für überzogen.

Christa Müller sagt, es fühlten sch Kinder „am unwohlsten, deren Eltern beide Vollzeit arbeiten“.

Es darf natürlich nicht darum gehen, dass man Kinder einfach nur abgibt, sondern um liebevolle Betreuung und qualifizierte Bildung. Streiten würde ich aber auch mit vielen Kolleginnen meiner Partei über das erste Lebensjahr eines Kindes. Da bin ich konservativ. Ich meine, im ersten Lebensjahr gehört ein Kind tatsächlich auch körperlich zur Mutter oder zum Vater und nicht in eine Krippe. Doch dafür brauchen die Eltern Unterstützung. Ministerin von der Leyens Elterngeld war da für die Hälfte der Familien ein Rückschritt, weil der Mindestbetrag von 450 auf 300 Euro gekürzt wurde.

Das Gespräch führte Peter Heimann

Sächsische Zeitung, 24. August 2007