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Der Euro am Abgrund

Periodika,

Der Umgang mit der Staatsschuldenkrise einiger Euro-Länder gefährdet die europäische Währung. Die Bundesregierung ist daran maßgeblich beteiligt.

Seit nunmehr fast eineinhalb Jahren tobt im Währungsgebiet des Euro eine Staatsschuldenkrise. Erst war Griechenland, dann Irland nicht mehr in der Lage, am Finanzmarkt Kredite zu akzeptablen Konditionen aufzunehmen, um die alten, aufgelaufenen Schulden zu bedienen. In anderen Ländern, vornehmlich Portugal, Spanien und Belgien drohten ähnliche Zustände. Nach viel zu langem Zögern etablierte die Europäische Union (EU) – unter maßgeblicher Beteiligung der Euro-Länder – einen Rettungsfonds.


Dieser Rettungsfonds gewährte den Problemländern eine Zwischenfinanzierung zu hohen Zinsen. Den betroffenen Ländern wurden Sparmaßnahmen aufgezwungen, die es unwahrscheinlich machen, dass sie sich bald von der Konjunkturkrise erholen. Dass sie dem Staatsbankrott entgehen können, wird immer unwahrscheinlicher. Kurzum, die Europäische Union hat sich in einer Krise der Staatsschulden verheddert.


Die politischen Institutionen und Akteure sind auf ein Management der Krise nicht vorbereitet. Die Vertragstexte der EU erweisen sich als Hindernis und wurden im ersten Anlauf über den Haufen geworfen. Die von der deutschen Regierung vorangetriebene längerfristige Lösung dürfte das Problem eher verschlimmern. So hetzt die politische Führung Europas den Ereignissen hinterher und lässt sich vom Finanzmarkt vorführen.


Rätselhafte Politik der Bundesregierung


Die Staatsschuldenkrise ist eine unmittelbare Folge der im Jahr 2007 einsetzenden Finanz- und Bankenkrise. Denn die Steuereinnahmen gingen zurück. Viele Regierungen haben mit Ausgabenprogrammen den Wirtschaftseinbruch abgemildert und schließlich erhebliche öffentliche Mittel in den Bankenapparat gepumpt. Den stärksten Anstieg der Staatsdefizite wiesen in den Jahren 2009 und 2010 Länder mit großer Bankendichte auf sowie Länder, die sehr aktive Konjunkturprogramme auf den Weg gebracht hatten. Deshalb stiegen die Staatsdefizite der USA und Großbritanniens, beide bekanntlich keine Euro-Länder, besonders drastisch.


Obwohl der griechische Staat nicht viel höher verschuldet ist als die USA, ist eine Pleite Griechenlands im Kalkül realistisch rechnender Anleger viel wahrscheinlicher als eine der USA. Letztere könnten ohne Weiteres ihre Steuereinnahmen deutlich erhöhen, sollte der politische Wille dazu da sein. In Griechenland ist das weniger sicher. Deshalb genießen die USA viel niedrigere Zinsen als Griechenland. Und weil sie viel niedrigere Zinsen genießen, ist ihr Konkurs, objektiv betrachtet, ziemlich unwahrscheinlich, jedenfalls weit weniger wahrscheinlich als der Griechenlands.
 

Die Zinsen steigen, wenn man knapp bei Kasse ist


Das ist ungerecht. Aber Kapitalismus und der Finanzmarkt haben mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Am wenigsten gerecht ist es, dass die Zinsen just dann steigen, wenn man es als Schuldner am wenigsten brauchen kann, wenn man nämlich ohnehin knapp bei Kasse ist und Geld leihen muss, um alte Schulden zu bezahlen.


Seit Griechenland im Herbst 2009 ins Visier der Finanzmärkte geriet, stiegen die Zinsen für langfristige griechische Staatsanleihen von unter fünf auf über zwölf Prozent deutlich an. Im Kalkül, ob der Konkurs wahrscheinlich ist oder abgewendet werden kann, spielt die Zinshöhe die entscheidende Rolle. Selbst unter den günstigsten Annahmen über die künftige Höhe der Steuereinnahmen und staatlichen Ausgaben wachsen wegen der hohen Zinsen die zu bedienenden Schulden. Die Lage wird aussichtslos.


Als die Zinsen für Griechenland nach oben kletterten, hätte beherztes Eingreifen am Finanzmarkt dem Spuk sehr schnell ein Ende bereiten können. Beispielsweise hätten verschiedene EU-Staaten, einzeln oder gemeinsam, Griechenland einen Kredit oder auch nur eine Garantie gewähren können. So wie die Regierung Helmut Schmidt in den 1970er Jahren einmal Italien einen Milliardenkredit gewährte oder zehn Jahre später die Regierung Helmut Kohl der damals noch existierenden DDR. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) hätte frühzeitig griechische Staatsanleihen kaufen, damit ihren Preis stabilisieren und, was dasselbe ist, damit die Zinsen für griechische Staatsanleihen niedrig halten können.
 

Warum es nicht geschah, ist nicht bekannt. Als Erklärung wurde angeboten, dass weder ein Beistandskredit durch eines oder mehrere Euro-Länder noch der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB nach den EU-Verträgen rechtlich zulässig sei. Warum, so muss man sich fragen, geschieht dies nun dennoch, aber zu einem Zeitpunkt und zu Konditionen, die Griechenland nicht mehr helfen?


Das Rätsel wird noch größer, wenn man sich vor Augen hält, dass die in Deutschland residierenden Unternehmen erhebliche Vorteile aus der Existenz des Euro ziehen. Für sie wurde das Euro-Gebiet zum Heimatmarkt. Absatz und Gewinn wurden kalkulierbar. Wenn Daimler Autos in Italien, Spanien oder Finnland verkauft, muss die Firma nicht damit rechnen, dass eine plötzliche Abwertung von Lira, Pesete oder Finnmark entweder den Absatz oder die Gewinnmarge oder gar beides unter Druck setzt.


Aus diesen Gründen haben alle Bundesregierungen daran gearbeitet, in Europa zunächst ein System fester Wechselkurse und dann eine volle Währungsunion herzustellen. Die Unternehmen, ihre Manager und Lobbyisten und auch ihre Regierung müssten eigentlich alles tun, um den Erhalt des einheitlichen Währungsraumes auch in den Zeiten der Finanzkrise zu bewahren.

 

Währungsunion in Gefahr


Doch es geschieht fast das genaue Gegenteil. In der öffentlichen Diskussion wird so getan, als sei der Euro ein Zugeständnis der Deutschen an die armen europäischen Nachbarn. Deren Finanzprobleme werden als Ergebnis fehlender Spartugend, mangelnder Disziplin oder, noch schlimmer, zu hoher Ausgaben für Bildung, Infrastruktur und Soziales dargestellt.
Die Bundesregierung lässt sich nur widerstrebend auf gemeinsame Rettungsprogramme mit den anderen Euro-Ländern ein. Sie hält so lange wie möglich an der Fiktion fest, diese Staaten könnten sich durch Sparsamkeit aus der Misere befreien. Sie verzögert, behindert und vermeidet so gut es geht jeden Grad höherer Gemeinsamkeit der Eurostaaten bei ihrer Refinanzierung am Finanzmarkt. Damit gefährdet sie das Projekt Währungsunion.
Dieses Risiko nimmt die Regierung augenscheinlich in Kauf, um ausschließlich deutschen Unternehmen die Vorteile aus der Währungsunion zukommen zu lassen. Dies gelingt nur dann, so das Kalkül, wenn einerseits die in Deutschland restriktive Lohn- und Wirtschaftspolitik in allen Euro-Ländern durchgesetzt werden kann und andererseits von den Konkurrenzvorteilen, die Deutschland aufgrund seiner Größe auf dem Finanzmarkt genießt, nichts an die EU-Partner abgegeben wird.


In der Praxis bedeutet das zum einen, dass den Staaten, die Finanzhilfe brauchen, eine noch rigidere Sparpolitik verordnet wird, als sie der Internationale Währungsfonds (IWF) traditionell zahlungsunfähigen Entwicklungsländern verordnet. Zum anderen darf der Zinsvorteil, den der deutsche Staat als Schuldner auf dem Finanzmarkt genießt, unter keinen Umständen an die Euro-Partner weitergegeben werden. So bestand die Bundesregierung bei der Vergabe der Hilfskredite auf möglichst hohe Zinsen. Mit dieser Politik erhöht sie die Wahrscheinlichkeit, dass der Euro die große Finanzkrise nicht überlebt.

 

Was ist der Rettungsfonds?
Einige Euro-Staaten erhalten neue Kredite nur noch zu sehr hohen Zinsen. Um ihnen zu helfen, haben die anderen Länder vorübergehend einen 750-Milliarden-Euro-Rettungsfonds geschaffen. Dieser bietet
den notleidenden Staaten günstigere Kredite an. Sie können so ihre Schulden bei Banken bezahlen. Ab dem Jahr 2013 soll der Rettungsfonds eine dauerhafte Einrichtung werden.


Wie beteiligt sich Deutschland?
Deutschland beteiligt sich am Rettungsfonds voraussichtlich mit rund 190 Milliarden Euro. Davon sollen fast 22 Milliarden Euro als Bareinlagen gezahlt werden.


Zu welchen Bedingungen werden die Kredite vergeben?
Länder, die Kredite aus dem Fonds erhalten, müssen sich zu Kürzungsprogrammen und zum Verkauf von öffentlichem Eigentum verpflichten.


Welche Rolle spielen Banken?
Banken leihen sich billiges Geld bei der Europäischen Zentralbank und verleihen es zu Wucherzinsen weiter. Zudem erzielen sie mit Spekulationen gegen Euro-Länder hohe Profite.
 

Was sind Lohnstückkosten?
Die Lohnstückkosten zeigen, wie viel Lohn in einem Produkt steckt. Wenn ein Arbeiter mit einem Stundenlohn von zehn Euro in einer Stunde fünf Maschinen produziert, dann stecken zwei Euro Lohn in jeder Maschine.


Welche Bedeutung haben sie?
Die Lohnstückkosten bestimmen die Preise. Je niedriger die Lohnstückkosten sind, desto mehr Produkte kann ein Unternehmen verkaufen. Sind in Deutschland die Lohnstückkosten niedriger als in Griechenland, exportiert Deutschland mehr Produkte dorthin, als es importiert.
 

Was ist eine Leistungsbilanz?
Eine Leistungsbilanz misst, wie viele Waren und Dienstleistungen ins Ausland verkauft und von dort eingekauft werden. Exportiert ein Land weniger Waren und Dienstleistungen, als es importiert, spricht man von einer negativen Leistungsbilanz.