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Der Drehtürschwindel

Im Wortlaut,

Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft bergen ein Demokratieproblem

 

Von Uwe Kalbe

Als Drehtüreffekt wird der Wechsel von Entscheidungsträgern zwischen Politik und Wirtschaft bezeichnet. Von Schwindel ist dabei noch nicht die Rede gewesen. Sollte es aber.

Abgeordnete vor allem der FDP bemühen gern das Argument, ein wenig wirtschaftlicher Sachverstand könne der Politik nicht schaden. Wer wollte dem widersprechen? Und was wäre folgerichtiger, dann nicht nur einen hohen Anteil von Wirtschaftsvertretern in den Parlamenten zu fordern, sondern auch die umgekehrte Richtung des Seitenwechsels als wünschenswert zu empfinden?

Im geplanten Wechsel des Staatsministers im Bundeskanzleramt Eckart von Klaeden (CDU) auf den Sessel des Cheflobbyisten von Daimler kann deshalb kein Koalitionspolitiker etwas Schlechtes sehen. Anders die SPD, die es ein »Unding« nennt, dass ab sofort ein Lobbyist des Autokonzerns Daimler am Kabinettstisch sitze. Und anders als die LINKE, die von »nachgelagerter Bestechung« spricht. Von Klaeden will zum Jahresende zu Daimler wechseln, sein Regierungsamt aber bis zur Bundestagswahl behalten.

Seitenwechsel zwischen Politik und Wirtschaft sind kein Privileg der CDU der FDP. Gern werden sie mit dem Begriff des Drehtüreffekts beschrieben. Die Drehtür – ein Scharnier, das verbindet und für Durchlässigkeit sorgt, ohne Zeitverzug. So mag sich jetzt FDP-Generalsekretär Patrick Döring gar als Rächer der Enterbten fühlen, wenn er meint, vor Berufsverboten für Politikern warnen zu müssen. Für Politiker, die wie von Klaeden zu Daimler wechseln, zu Bilfinger wie der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch, zur Ruhrkohle wie Ex-Wirtschaftsminister Werner Müller oder zu VW wie der ehemalige Regierungssprecher Thomas Steg.

Die Liste ist schier endlos. Als Gerhard Schröder kurz nach der Vereidigung seiner Nachfolgerin Angela Merkel als Kanzlerin bekanntgab, in die Spitze des Aufsichtrates der deutsch-russischen Ostsee-Gaspipeline-Gesellschaft zu wechseln, blieb sogar dem damaligen Generalsekretär der Liberalen Dirk Niebel die Spucke weg. Schließlich hatte Schröder als Kanzler das Pipelineprojekt gefördert. Sogar für Niebel war ein »Hauch von Korruption« spürbar.

Zwei für die Wirtschaft unbezahlbare Ressourcen bringen Politiker mit, wenn sie die Seiten wechseln: »erstens detaillierte Kenntnisse über interne Abläufe in politischen Prozessen und zweitens noch warme Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern«. Deshalb seien sie in der Wirtschaft so beliebt, stellt die Initiative LobbyControl in einer Studie fest. Sie fordert eine Kommission, die solche Wechsel von Regierungsmitgliedern drei Jahre lang auf Unbedenklichkeit prüfen soll. Die Bedenklichkeit fängt schon weiter unten an. Allein der Ehemaligen-Hausausweis, den Abgeordnete nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag erhalten, gibt ihnen die Möglichkeit, das Erkalten von Kontakten hinauszuzögern und weiterhin Einfluss zu nehmen.

Die Behauptung, es gehe schließlich um den Austausch von Sachverstand, wenn Lobbyisten in Ministerien sitzen, wenn Wirtschaftskanzleien an Gesetzentwürfen schreiben oder Politiker in Wirtschaftspositionen gelangen und dort dem Standort Deutschland auf die Sprünge helfen, ist zumindest eine Verkürzung, wenn nicht eine Lüge. Weil Politik und Wirtschaft keinen Interessenausgleich untereinander zu managen haben, sondern völlig unterschiedlichen Zwecken dienen. Personelle Verflechtungen schaffen anderswo Benachteiligung. Ehemalige Politiker »schaffen für eine sehr begrenzte Interessengruppe einen besonderen, privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsprozessen und -arenen«, so LobbyControl.

Die Organisation weist zudem darauf hin, dass es vor allem finanzstarke Akteure seien, die Spitzenpolitikern attraktive Jobs bieten können. Die bestehenden Machtstrukturen würden so verfestigt und verstärkt. Zudem schaffe die Aussicht auf lukrative Jobs nach dem Ende der Politikerkarriere den Anreiz, politische Entscheidungen zu Gunsten möglicher späterer Arbeitgeber zu treffen – »oder zumindest sie nicht gegen sich aufzubringen«.

Verwandtenaffäre und Amigo-System in Bayern, Geburtstagsempfänge der Bundeskanzlerin für Bankgrößen wie Josef Ackermann und rotierende Drehtüren zwischen Politik und Wirtschaft bilden ein System, das in der Benachteiligung von Unterprivilegierten sein Gleichgewicht findet. Den Auftrag einer demokratischen Willensbildung, wie das Grundgesetz ihn den Parteien und damit der Politik zuweist, verfälscht dieses System, deren fester Bestandteil der Drehtüreffekt ist, bis zur Unkenntlichkeit. Schwindel kann einen erfassen, von Schwindel kann man getrost auch sprechen, wenn unter solchen Bedingungen Entscheidungen gefällt werden.

neues deutschland, 31. Mai 2013