Zum Hauptinhalt springen

Der 21. Tag der Einheit und die Geschichte des Fahrers von Herrn Gauck

Kolumne von Lukrezia Jochimsen,

Von Lukrezia Jochimsen, kulturpolitsche Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
 

Gleichzeitigkeit kann sehr aufklärerisch sein. Was am 3. Oktober los ist, wissen wir alle. Dass aber drei Tage vorher, am 30. September der Bundestag das neueste Stasi-Unterlagen-Gesetz verabschiedet, die 8. Novellierung, wissen nur Wenige!   Und nur Wenige wissen auch, dass in diesem Fall "der Bundestag verabschiedet" ein irreführender Satz ist. Denn es sind die Koalitionsfraktionen, die hier ein neues Gesetz machen. Allein. Gegen die Stimmen der SPD und Linken – ja, so etwas gibt es! – und bei Enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gleichzeitigkeit.   1991 schuf der Bundestag – ausgehend von einem Volkskammerbeschluss – das erste Gesetz über den Umgang mit den Stasi-Unterlagen, setzte eine große Behörde und den Behördenchef Joachim Gauck ein und regelte Überprüfungen für 15 Jahre. In einer emotionalen Bundestagsdebatte gab es damals schon Stimmen, denen diese lange Frist unverhältnismäßig, ja "unbarmherzig“ erschien, so Burkhard Hirsch, der große Rechtspolitiker der FDP. Aber das Gesetz wurde mit großer Mehrheit – auch die PDS stimmte zu – verabschiedet.   Und von diesem Moment an gab es eine doppelmoralische Vorgehensweise. Es gab die "schlechten IM" und die "guten IM". Die "schlechten IM" wurden durch die Behörde entlarvt, die Überprüfung der von der Stasi über sie angelegten Akten machte das möglich. Für diese Arbeit aber benutzte man die "guten IM", angestellt in der Behörde selbst. Wenn es damals im Stasi-Unterlagen-Gesetz eine Klausel gegeben hätte, dass in der neuen Behörde keinerlei belastete Beamte oder Angestellte arbeiten dürften – wer hätte das nicht als selbstverständlich angesehen? Aber nein: Diese Klausel gab es nicht, denn die Behörde "brauchte" ehemalige IM wegen ihres vielfältigen "Fachwissens".   Zum Beispiel brauchte der neu installierte Behördenchef einen Fahrer, "der sich auskannte in Ost-Berlin und dem Geflecht früherer Dienststellen und Behörden der DDR“. Der beste Mann, der sich vorstellte, hatte für das MfS gearbeitet und machte auch keinen Hehl daraus. Es gab eine Rückfrage in Bonn, im Innenministerium – und die Sache ging klar. Für Jahre. Der Fahrer von Joachim Gauck war ein sachkundiger Mitarbeiter und blieb das auch nach dem Weggang seines Chefs. Als Marianne Birthler die Behörde übernahm, arbeitete er im Fahrerpool - wie ursprünglich hunderte "gute IM".    Heute - im Jahre 2011 - befindet er sich in Altersteilzeit. Über 40 Kollegen hat er, alles ältere Herren, die demnächst in den Ruhestand gehen werden. Das heißt nein: Denn extra für sie wurde jetzt das aktuelle Stasi-Unterlagen-Gesetz geschaffen. Mit ihm hat der neue Behördenchef, Roland Jahn, die legale Möglichkeit einer Versetzung jener Menschen, die über 20 Jahre von der Behörde gebraucht, benutzt, ausgenutzt worden sind, die er aber als "Schlag ins Gesicht der Opfer“ empfindet, obwohl sie sich in all dieser Zeit nichts zuschulden haben kommen lassen. Ein Einheits-Gesetz? Ein Vereinigungs-Gesetz? Ein Aussöhnungsgesetz im Jahr 2011?   Wir feiern am 3. Oktober – übrigens in Bonn – die Deutsche Einheit, wie passend. Und wir haben neue gesetzliche Regelungen: Das Stasi-Unterlagen-Gesetz gilt jetzt bis 2019 – Behörde und Behördenchef inklusive! Die Überprüfungen werden wieder ausgedehnt, statt eingestellt – und die Behörde soll endlich "IM-frei" werden – nach 21 Jahren!   Welch ein Erfolg für den Rechtsfrieden im vereinten Land – welch eine Gleichzeitigkeit.