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Dietmar Bartsch am Rednerpult des Bundestag, dahinter verschwommen Kanzlerin Merkel in roter Jacke © Soeren Stache/dpaFoto: Soeren Stache/dpa

»Den Wechsel gibt es nur mit uns«

Im Wortlaut von Dietmar Bartsch, Nordkurier,

Die Parole „Merkel muss weg!“ hört man im Wahlkampf üblicherweise nur von Rechtsaußen. Doch auch Linke-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch würde die Kanzlerschaft von Angela Merkel am liebsten sofort beenden. Warum er der Großen Koalition in der Flüchtlingskrise ein Staatsversagen vorwirft, erklärt er im Interview mit Jürgen Mladek und Gabriel Kords.

 

Das große Thema der Linken ist die soziale Gerechtigkeit. Doch darüber ist in diesem Wahlkampf vor allem im Zusammenhang mit dem Sozialdemokraten Martin Schulz gesprochen worden. Was haben Sie gedacht, als er im Januar verkündet hat, er wolle das zum Kernthema seines Wahlkampfs machen?

Dietmar Bartsch: Ganz ehrlich: Da habe ich mich sehr gefreut. Ich habe gedacht, das ist jetzt eine Riesenchance für unser Land. Vielen Bürgern ging es auch so: Als Martin Schulz das postuliert hat, ging kurzzeitig ein Fenster auf, durch das eine andere Politik und andere Mehrheitsverhältnisse möglich erschienen. Die SPD ist durch die Decke geschossen. Der Linken hat das damals übrigens kaum geschadet, sondern anderen. Die Möglichkeiten für Mitte-Links und einen Politikwechsel waren damals da. Aber Martin Schulz hat nicht geliefert. Die SPD hat Glaubwürdigkeitsprobleme ohne Ende. Man kann nicht in 15 der vergangenen 19 Jahre regieren und dann so tun, als könne man nichts dafür, dass der soziale Zusammenhalt in Deutschland gefährdet ist.

Immerhin gibt es inzwischen den Mindestlohn.

Das ist gut, er ist aber zu niedrig und das ändert nichts daran, dass gerade diese Bundesregierung fast keines ihrer sozialpolitischen Ziele erreicht hat. Schauen Sie doch in den Koalitionsvertrag! Ein Beispiel: Da steht das Recht auf Rück- kehr von Teilzeit in Vollzeit drin, aber die Koalitionsparteien haben das nicht hinbekommen.

Sie haben gut reden – Sie haben ja nie mitregiert.

Im Bund nicht, aber wir regieren gerade in drei Ländern erfolgreich. Außerdem stellen wir hier im Nordosten eine Landrätin, Bürgermeister, den Sozialsenator in Rostock. Ich bleibe dabei: Die Sozialdemokraten haben ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Es gab jetzt vier Jahre eine rot-rot-grüne Mehrheit im Bundestag. Mit der hätte man vieles für mehr soziale Gerechtigkeit tun können. Aber die SPD hat sich das nur einmal bei der Ehe für Alle getraut. Ich verrate Ihnen auch warum: Den Wechsel in der Politik, den wollen nur wir. Darum empfehle ich nachdrücklich, unsere Partei zu wählen. Wenn die Linke bei dieser Wahl stärker wird, dann wird sich im nächsten Koalitionsvertrag auch etwas von unseren Themen wiederfinden – egal wer dann regiert. Denn die wollen alle nicht, dass wir noch stärker werden. Wenn wir zulegen, müssen die etwas von uns übernehmen.

Das klingt für uns jetzt aber irgendwie schon nach der Logik einer Protestpartei, die gar nicht mitregieren will.

Ich sage noch einmal: Wir sind bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Bis zur Wahl haben wir genau drei Ziele: Erstens zweistellig zu werden, zweitens dritte Kraft im Bundestag zu bleiben und drittens einen Politikwechsel herbeizuführen. Der Politikwechsel in unserem Land ist ganz bestimmt nicht an uns gescheitert. Nur bei uns kann man ganz sicher sein, anders als bei SPD, Grünen und FDP: Wir werden die Kanzlerschaft von Angela Merkel nicht verlängern. Versprochen!

Das verspricht sonst nur die AfD. Wie unangenehm ist das für Sie?

Das hat nichts mit unangenehm zu tun. Wir stehen der AfD in zentralen Fragen diametral gegenüber. Nehmen Sie die Rentenpolitik: Die AfD hat einfach mal gar kein Konzept. Oder bei der Finanzpolitik. Die AfD will die Superreichen nicht belasten, eher entlasten. Sie will den Benachteiligten einreden, dass es noch Schwächere gibt, die die eigentliche Ursache für alle Probleme wären. Und in Mecklenburg-Vorpommern ist gerade sichtbar geworden: Wer die AfD gewählt hat, hat auch Typen wie Herrn Arppe in den Landtag gewählt. Solche Leute kandidieren auch bei der Bundestagswahl für diese Truppe. Darum sage ich: Es gibt eine soziale Alternative für Deutschland, und das ist die Linke. Mal abgesehen von allen Problemen: War die DDR sozial gerecht? Vergleiche helfen in dieser Frage kaum weiter. Klar kann man sagen: Die Kinderbetreuung war besser, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es gab keine Arbeitslosigkeit, aber eine ineffektive Wirtschaft. Das Niveau sozialer Gerechtigkeit war viel zu niedrig. Der Staatssozialismus ist zu Recht gescheitert. Natürlich müssen wir uns der Vergangenheit weiter stellen, gerade wir als Linke. Aber worauf es mir ankommt: Im heutigen Deutschland müsste und muss das Niveau sozialer Gerechtigkeit sehr viel höher sein, als es ist. Das wollen wir schaffen.

Die Superreichen haben Sie schon angesprochen ...

Ja, wir wollen die Millionäre und Milliardäre stärker besteuern, das ist richtig. Ja, wir wollen die Reform der Erbschaftsteuer. Aber das ist nur ein Teil. Mal ein Beispiel: Wenn ich im Wahlkampf auf den Wochenmarkt in Stavenhagen gehe und da am einzigen Stand, wo’s Kaffee gibt, mit den Leuten spreche, dann interessieren die sich nicht so sehr für Milliardäre. Die fragen sich, wieso ihnen die Bundesregierung vor vier Jahren erzählt hat, dass wir bald das beste Netz haben werden in Deutschland. Aber wenn Sie heute durchs Land fahren, können Sie immer noch nicht vernünftig telefonieren, weil dauernd die Verbindung abreißt. Das habe ich heute wieder erlebt. Schnell im Internet surfen können Sie auch nicht. Manche Kitas vergammeln, Krankenhäuser machen dicht. Aber der Staat hat im ersten Halbjahr 2017 ein Plus von 18,3 Milliarden Euro gemacht. Das ist doch niemandem zu erklären! Viele Leute in Mecklenburg, Vorpommern und der Uckermark haben das Gefühl: Wir sind abgehängt. Ihr versteht uns nicht. Ich teile dieses Gefühl und will es ändern.

Gehen wir mal davon aus, die Linke wird drittstärkste Kraft, es kommt allen Widrigkeiten zum Trotz zu einem rot- rot-grünen Bündnis und Sie werden Außenminister.

(lacht) Außenminister werde ich sicher nicht.

Irgendwer muss den Job ja machen...

Ich nicht. Nehmen Sie allein mein Englisch: Das ist viel zu schlecht.

Dafür ist ihr Russisch gut.

Ja, besser als mein Englisch. Aber deshalb wird die Idee, ich würde Außenminister, auch nicht realistischer. Trotzdem die Frage: Wen würde ein linker Außenminister als erstes anrufen? Darüber sollen sich die Zuständigen Gedanken machen, wenn es so weit ist. Aber natürlich wird man sehr schnell in Moskau und Washington – oder von mir aus auch in Washington und Moskau – anrufen und das Signal geben, dass es jetzt eine veränderte deutsche Außenpolitik geben wird. Eine, die eigenständig sein wird. Selbstverständlich würden wir bestehende Verträge einhalten. Aber wir würden deutlicher in Richtung Ausgleich arbeiten, was die Welt betrifft, und damit natürlich auch, was den Osten betrifft.

Die Linke kritisiert den Umgang der deutschen Politik mit Russland. Wie kann es eigentlich sein, dass eine sozialistische Partei sich derartig an einen Mann wie Putin ranwanzt?

Dieser Eindruck ist mediengemacht. Jeder weiß, dass Russland ein turbokapitalistisches Land ist. Dort ist in wenigen Jahren eine Kaste von Milliardären entstanden, es gibt extreme soziale Ungleichheit. Das hat mit sozialistisch nichts zu tun. Unsere Fraktion hat etliche russlandkritische Anträge eingebracht, etwa gegen die Verfolgung Homosexueller. Kritischer geht’s gar nicht.

Trotzdem haben Sie ziemlich viel Verständnis für Putin.

Nein, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass die deutsche und europäische Russlandpolitik, die teilweise von den Vereinigten Staaten diktiert ist, zum Scheitern verurteilt ist. Die Sanktionen sind politisch falsch und albern. Ein Land, das im Zweiten Weltkrieg Millionen Tote zu verzeichnen hatte, die verhungert und verdurstet sind, über Sanktionen in die Knie zwingen zu wollen, das ist absurd. Ich habe in Moskau gelebt. Wer dort einmal einen 9. Mai, den Tag des Sieges, erlebt hat, der weiß, wie viel Emotion damit verbunden ist. Ich habe viele Freunde, die überhaupt nicht putinnah sind, die sagen: So, wie der Westen mit dem umgegangen ist, hat er ihm die Menschen in die Arme getrieben. Und noch etwas zum Thema: Sigmar Gabriel reist andauernd nach Russland und Horst Seehofer war auch schon häufig da, da ist von Ranwanzen nie die Rede.

Wir bleiben bei der Außenpolitik. Wie solidarisch ist die Linke eigentlich mit Flüchtlingen – man denke an manche Äußerungen ihrer Co-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht ...

Ich nehme an, da spielen Sie auf den Satz „Wer sein Gastrecht missbraucht, hat sein Gastrecht verwirkt“ an. Den hat Sahra vor anderthalb Jahren einmal gesagt und seitdem nicht wiederholt. Selbstverständlich sind wir dafür, dass geltende Gesetze von allen eingehalten werden. Das gilt für beide Seiten: Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass Geflüchtete nicht jahrelang auf ihre Bescheide warten müssen. Und wir müssen selbstverständlich durchsetzen, dass sich jeder an unsere Gesetze hält. Aber die Debatte wird in einer unerträglichen Weise geführt: weil ununterbrochen die Geflüchteten gegen die Hartz-IV-Empfänger ausgespielt werden. Das will ich nicht. Aber: Das Staatsversagen, das es in der Flüchtlingspolitik gegeben hat, darf sich nicht wiederholen.

Nordkurier,