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»Demokratische Haltungen entstehen nicht von allein«

Interview der Woche von Gesine Lötzsch,

Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei und haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, appelliert an ihre Politiker-Kollegen, Respekt und Toleranz, die vielfach eingefordert werden, selbst vorzuleben. Der Bundesregierung wirft sie vor, durch Kürzungen bei Programmen gegen Rechts an der falschen Stelle zu sparen. Sie erläutert die Auswirkungen des schwarz-gelben Haushaltsentwurfs für 2012 und zeigt konkrete Alternativen auf.

Norwegen ist durch zwei fürchterliche Anschläge erschüttert worden. Ein Rechtsextremer, der gegen Islamismus und Kultur-Marxismus kämpfen wollte, hat fast hundert Menschen ermordet. Brauchen wir jetzt strengere Sicherheitsgesetze?

Gesine Lötzsch: Wir Linken trauern mit dem norwegischen Volk. Seit vielen Jahren habe ich enge Beziehungen zu Skandinavien, in Norwegen insbesondere zu unserer Schwesterpartei, der Sozialistischen Linkspartei. Als ich im vergangenen Jahr Oslo besuchte, war ich von dieser demokratischen und offenen Gesellschaft sehr beeindruckt. Darum verstehe ich auch sehr gut, dass die Norweger sagen, sie lassen sich diese demokratische und offene Gesellschaft von niemandem zerstören.
Aber auch in Skandinavien gibt es leider Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus. Darum kam der Täter auch nicht "aus dem Nichts". Die Schlussfolgerung kann nur sein, diesen Nährboden auszutrocknen, sich mit rechtsextremistischem Gedankengut offensiv auseinander zu setzen und die Gesellschaft stark zu machen. Wenn deutsche Politiker jetzt nach Vorratsdatenspeicherung rufen, nenne ich das Trittbrettfahrerei der besonderen Art.

Die extreme Rechte ist die eine Seite. Was ist aber mit rechten Tendenzen in der Mitte unserer Gesellschaft?

Solche schrecklichen Taten, wie am 22. Juli in Norwegen geschehen, sind das extreme Ausmaß radikaler und rechtsextremer Einstellungen. Allerdings gibt es bis in die so genannte Mitte der Gesellschaft hinein latente, aber auch offen rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen. Sie äußern sich häufig in scheinbaren Kleinigkeiten im Alltag, bilden aber den Humus für extremes Gedankengut bis hin zu Gewalttaten, schlimmstenfalls bis hin zu mehrfachem Mord. Darum sind alle Politiker besonders gefordert zu bedenken, ob sie mit ihren Äußerungen Ansatzpunkte für solches Verhalten bieten können. Respekt und Toleranz, die vielfach eingefordert werden, müssen Politiker selbst vorleben. Dazu gehört auch, in öffentlichen Debatten - zum Beispiel im Bundestag - andere Meinungen nicht durch Niederbrüllen diskreditieren zu wollen.

Wie bewerten Sie, dass die Bundesregierung die Programme zur Bekämpfung des Rechtsextremismus im nächsten Haushalt kürzen will?

Demokratische Haltungen entstehen nicht von allein. Sie müssen erarbeitet werden. Der Bund sieht bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus 2 Millionen Euro und damit sieben Prozent weniger vor als 2011. Die Bundesregierung kürzt damit eindeutig an der falschen Stelle. Insbesondere nach den schrecklichen Ereignissen in Norwegen sollte sie diese Entscheidung umgehend rückgängig machen.

Die Bundesregierung hat den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr vorgestellt. Auf welche Konsequenzen müssen sich die Bürgerinnen und Bürger noch einstellen?

Der Haushalt bedeutet Sekt für die Banken und die Versicherungswirtschaft und Selters für das Volk. Unter dem Vorwand der so genannten Schuldenbremse werden soziale Leistungen und Leistungen, die Menschen in Arbeit bringen sollen, gekürzt. Die Folge davon ist, dass Steuern und Sozialbeiträge in den Kassen fehlen. Bis 2014 soll im so genannten Eingliederungstitel – daraus werden Wege aus der Arbeitslosigkeit finanziert - 16 Milliarden Euro gekürzt werden. Dazu gehört auch der Gründungszuschuss für Selbstständige. Hier sollen 5 Milliarden Euro wegfallen.
Häufig wird beim Thema Mindestlohn gefragt: Wie soll der Staat das denn bezahlen? Das Gegenteil ist richtig. Durch – die wirklich überfällige – Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns könnte der Bundeshaushalt selbst nach Einschätzung der Bundesregierung um mindestens drei Milliarden Euro entlastet werden.
Der Bundesrechnungshof hält Einsparungen bei den Fahrzeugen der Bundeswehr in Milliardenhöhe für möglich. Es könnten nach diesen Berechnungen mehr als 40 000 Fahrzeuge ausgesondert werden.

Wie behandelt die Bundesregierung angesichts der andauernden Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa die großen Banken und Versicherungskonzerne?

Die Bundesregierung vertritt die Interessen der großen Banken und Versicherungsagenturen. Sozial gerecht wäre es, die privaten Gläubiger, die Verursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise zu deren Lösung heranzuziehen. Wer auf freiwillige Beteiligung von privaten Gläubigern setzt, handelt nur im Auftrag der Banken. Die Spekulanten sind auch nach dem Brüsseler Krisengipfel wieder die Gewinner. Sie haben die Staatskasse in Geiselhaft genommen. Uns geht es jedoch nicht nur um die direkte Beteiligung der privaten Gläubiger, sondern generell um die Kontrolle der Banken. Die Finanztransaktionsteuer muss endlich eingeführt werden. Übrigens haben im Juli die CDU 100.000 Euro, die CSU und die FDP je 50.001 Euro von der Allianz erhalten. Eine Bank hat an die CDU 100.000 Euro gespendet, die FDP hat 60.000 Euro von der Deutschen Vermögensberatung bekommen. (Quellen: Bundestagsdrucksache 17/6585 und 17/3812)

Wie wirkt sich der Haushalt auf Länder und Kommunen aus?

Der Bund hat seine Mittel für den Städtebau seit 2010 um ein Drittel zurückgefahren. Das sind für die Länder und Kommunen in jedem Jahr 200 Millionen Euro weniger. Die Kürzung trifft in erster Linie die Kommunen. Sie erhalten nur noch geringe Unterstützung bei der Bewältigung des demographischen Wandels, der ökologischen Stadterneuerung und der sozial-integrativen Stadtentwicklungspolitik.  
Gekürzt werden laut Regierungsentwurf 53 Millionen Euro bei der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Das sind neun Prozent der bisherigen Förderung. Dazu gehören auch Maßnahmen, die regionale Wachstumskräfte stärken und zu einer Aktivierung der Menschen vor Ort führen. Ein Sonderprogramm bei der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur im Umfang von 40 Millionen Euro jährlich läuft darüber hinaus ersatzlos aus.

In Ihrer Heimatstadt Berlin sorgen sich viele Kinder und Jugendliche in den Stadtteilen Lichtenberg und in Neukölln um ihre Jugendtreffs und die Sozialstationen an den Schulen.

DIE LINKE kämpft dafür, dass die Kinder und Jugendlichen weiter ihre Treffpunkte haben. Auch darum setzen wir uns mit den Vorgaben von Finanzminister Schäuble so scharf auseinander. Die schwarz-gelbe Bundesregierung verlagert immer neue Lasten auf die Länder und Kommunen.
Streitpunkt zwischen Bund und Ländern ist zum Beispiel gegenwärtig der Steuerausfall bei der geplanten Förderung der energetischen Gebäudesanierung. Der Bund entlastet die Energiekonzerne von den Kosten des Atomausstiegs und sichert ihnen weiter Milliardengewinne. Länder und Kommunen würden nach diesem Gesetzentwurf mit fast 900 Millionen Euro jährlich belastet werden. Das wären für Berlin etwa 45 Millionen Euro, was natürlich zu entsprechenden Ausgabenkürzungen führen würde.

Welche drei Änderungen am Haushalt für das Jahr 2012 würden Sie vornehmen, wenn man Sie ließe?

Als erstes würde ich für solide Einnahmen sorgen: Vermögenssteuer, Millionärsabgabe, Finanztransaktionssteuer. Dann hätte ich auch genügend Mittel für dringend benötigte Investitionen in Krankenhäuser, in die Energiewende, in Bildungseinrichtungen. So entstehen auch sinnvolle Arbeitsplätze. Drittens würde ich die Sozialkürzungen zurücknehmen: Das heißt Elterngeld auch wieder für Arbeitslose und ein menschenwürdiger Regelsatz für Empfänger von Arbeitslosengeld II und deren Kinder.

linksfraktion.de, 1. August 2011