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Dem IS nicht durch überzogene Gesetzgebung in die Hände spielen!

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,

 

Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

 

Nach den Anschlägen von Paris rufen sogenannte Sicherheitspolitiker wieder nach verschärften Gesetzen und fordern eine intensivere, internationale Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei. Im Zentrum der Diskussion steht derzeit der mutmaßliche Drahtzieher der Pariser Anschläge, Abdelhamid Abaaoud.

"Bundespolizei ließ Abaaoud in Türkei" reisen, titeln die Medien aufgeregt und suggerieren damit, die deutschen Sicherheitsbehörden hätten versagt. Tatsächlich wurde der Mann Anfang 2014 von der Bundespolizei am Flughafen Köln/Bonn kontrolliert und befragt. Die belgischen Behörden hatten darum gebeten, über die Reiseziele des Mannes informiert zu werden, und dem kam die Bundespolizei nach, ganz ohne Fluggastdatenspeicherung übrigens, die jetzt reflexhaft wieder gefordert wird. Dass Abaaoud sich eineinhalb Jahre später als mutmaßlicher Chefplaner des schlimmsten Attentates in Frankreich seit dem Krieg entpuppt, ändert nichts daran, dass die Bundespolizei damals weder Grund noch Berechtigung hatte, ihn festzusetzen, denn es lagen weder Haftbefehl noch Reiseverbot vor.

Massenüberwachung in Frankreich konnte Anschlag nicht verhindern

In Frankreich haben Geheimdienste und Polizeien schon längst mehr Vollmachten als in Deutschland. Die Vorratsdatenspeicherung gibt es dort schon. Die nationale und internationale Telekommunikation wird nach Kräften abgehört, nichts bleibt dort wirklich geheim. Genützt hat es nichts – ein Argument dafür, nun die deutschen Geheimdienste aufzurüsten, ist das nicht gerade. Auch die Absage des Länderspiels gegen die Niederlande rechtfertigt keine Stärkung des Verfassungsschutzes. Bis jetzt jedenfalls ist völlig unklar, ob es in Hannover tatsächlich konkrete Anschlagsplanungen gegeben hat. Bekannt ist nur, dass ein ausländischer Geheimdienst Informationen übermittelt hat. Ob das mehr waren als bloße Gerüchte, weiß bislang keiner, der Innenminister beschränkt sich darauf, orakelhafte Sprüche abzusondern, Informationen aber teilt er nicht mit.

Kann man gar nichts machen? Doch – aber dafür braucht es keine Verschärfung bestehender Gesetze. Gegen die sogegannten Djihad-Reisenden etwa, die den "Islamischen Staat" (IS) unterstützen, kann man heute schon mit Reiseverboten oder Passentzug vorgehen. Auch im Schengener Informationssystem werden sie mittlerweile ausgeschrieben. Aber für EU-Bürger gilt nun mal das Prinzip der Reisefreiheit. Eine Gesetzesverschärfung, die Festnahmen auf einen vagen Verdacht hin stützt, wäre ein Anschlag auf unsere freiheitliche Grundordnung. Damit würden wir der Terrorbande des IS in ihrem Kampf gegen Freiheit und Bürgerrechte nur in die Hände spielen.

Es braucht keine Aufstockung der Geheimdienste oder neue Gesetze

Das Bundeskriminalamt zählt im Moment 420 sogenannte "Gefährder", dazu zählen auch solche, die sich in Syrien oder dem Irak dem "Islamischen Staat" angeschlossen hatten – mutmaßlich. Wenn es ihnen nachgewiesen wird, können sie nach geltender Rechtslage abgeurteilt werden. Ein bloßer Verdacht reicht aber nicht. Damit müssen wir uns abfinden, einfach weil es zum Wesen eines Rechtsstaates gehört. Was man machen kann, ist, solche Personen gezielt zu beobachten. Hier hat es offenbar ein Defizit gegeben.

Das könnte damit zu tun haben, dass die Geheimdienste nicht zu wenig, sondern zu viele Informationen speichern: Wer alles abhört, kommt mit dem Auswerten irgendwann nicht mehr hinterher. Da wäre es nur vernünftig, Schwerpunkte zu setzen und sich, beispielsweise, auf die bekannten Syrien-"Reisenden" zu konzentrieren. Dafür braucht es aber keine Aufstockung von Geheimdiensten oder gar der Bundeswehr, auch keine neuen Gesetze. Das ist vielmehr eine Aufgabe für die Polizei, die in die Lage versetzt werden muss, ihr auch nachzukommen. Noch wichtiger sind freilich: Prävention – und die Einstellung der quasi-kolonialen Kriege, die die Industriestaaten überall auf der Welt führen oder durch ihre Rüstungsexporte ermöglichen. Denn damit werden die Attentäter von morgen herangezüchtet.

linksfraktion.de, 20. November 2015