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DDR ist Geschichte, aktuelle Politik zählt

Interview der Woche von Petra Pau,

Petra Pau, wiedergewählte Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, beschreibt, wie sie die Überparteilichkeit des Amtes mit politischem Engagement unter einen Hut bringt. Eine der ersten Initiativen wird ein Gesetzentwurf für Arbeitnehmerdatenschutz sein. Der 9.November steht nicht nur für 20 Jahre Mauerfall, sondern erinnert an die Revolution 1918 und die NS-Pogromnacht. Wir sollten alles im Blick behalten.

Zunächst herzlichen Glückwunsch zur Wiederwahl als Vizepräsidentin des 17. Deutschen Bundestages.

Danke!

Sie übernehmen diese Funktion jetzt zum zweiten Mal.
Was ist für Sie das Reizvolle an dieser Aufgabe?

Als Vize-Präsidentin werde ich von Leuten gefragt, zu Veranstaltungen eingeladen oder um Meinungen gebeten, weit über das übliche Spektrum hinaus, das mir als Links-Politikerin bislang offen steht. Das ist spannend, es weitet den Horizont und das eröffnet neue Perspektiven.

Das Amt der Vizepräsidentin ist überparteilich, zugleich agieren Sie als Innenpolitikerin der LINKEN. Wie lässt sich beides vereinbaren?

Man darf die Rollen nicht verwechseln. Als Vize-Präsidentin repräsentiere ich den Bundestag und damit alle Fraktionen. Als Abgeordnete habe ich natürlich klare linke Positionen. Manchmal verlangt die Trennung Geschick, manchmal löst sich die Spannung auch ganz einfach. Bin ich als Vizepräsidentin unterwegs, zum Beispiel auf internationalen Konferenzen, so wissen doch fast alle Teilnehmer: Die ist von der Linken.

Eine der ersten Bundestagsanträge, die Sie mit initiieren, gilt dem Arbeitnehmerdatenschutz. Was erwarten Sie dazu von der neuen Koalition?

Das wird erhellend. Die CDU/CSU hatte bisher nie allzu viel für einen besseren Datenschutz übrig, obwohl der überfällig ist, wie die anhaltenden Skandale zeigen. Anders die FDP, die war bislang verlässlich engagiert, wenn es um Datenschutz geht. Und da gibt es noch ein Schmankerl. Zwei Vize-Präsidenten klagen beim Bundesverfassungsgericht gegen die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten, mein Kollege Otto Solms von der FDP und ich.

In einer vielbeachteten Bundestagsrede zum Thema Grund- und Bürgerrechte gab es lautstarke Zwischenrufe. Ihnen wurde als DDR-Bürgerin quasi abgesprochen, die Bundesregierung gerade in dieser Frage zu kritisieren...

Die Debatte, mehr noch die Zwischenrufe der CDU/CSU und der SPD, waren in der Tat heftig. Deshalb habe ich mein Manuskript beiseite gelegt. Ich habe dann erklärt, dass ich einmal ignoriert hatte, wie Bürgerrechte erdrückt wurden, und dass ich gerade deshalb nicht ein zweites Mal zusehen werde, wenn das wieder geschieht. Die ganze Rede kann man übrigens bei YouTube nachvollziehen.

Gelingt es Ihnen, Menschen argumentativ zu erreichen, die die Schablone LINKE = SED = Stasi fest im Kopf haben?

Zuweilen ja, aber es ist schwer, weil auch viele Medien von früh bis abends versuchen, solche Klischees zu verfestigen. Für Parteien, die Geheimdienste aufrüsten, die Bundeswehr in Kriege schicken und mit der Verfassung zuweilen auf Kriegsfuß stehen, ist die DDR natürlich eine große Ablenkungs-Versuchung. Nur: Die DDR ist Geschichte, die aktuelle Politik indes zählt.

Was bedeutet Ihnen der 9. November, zwanzig Jahre nach dem Mauerfall?

Der Zufall wollte es, dass auf den 9. November in der Geschichte Deutschlands unterschiedlichste historische Ereignisse fielen: 1918 eine Revolution im Kaiserreich, 1939 die NS-Pogromnacht gegen Jüdinnen und Juden, 1989 die Öffnung der Grenze der DDR zur BRD. Wir sollten alles im Blick behalten, sonst wird es ahistorisch und Geschichte verkommt zur Biermeile.

Trotzdem nachgefragt: 20 Jahre Mauerfall?

Aus heutiger Sicht besiegelte dieser 9. November das Ende der DDR. Sie implodierte, wie das gesamte »sozialistische System sowjetischer Prägung«. Zu recht! Gleichwohl halte ich die Fokussierung auf den 9. November 1989 für falsch. Sie adelt letztlich sogar ein Mitglied des SED-Politbüros. Schabowski meinte damals auf einer Pressekonferenz, die Grenzen seien ab sofort offen. Mit dieser simplen Replik wird der Erfolg einer mutigen Bürgerrechtsbewegung jemandem zu Gute geschrieben, der mit alledem nichts Gutes zu tun hatte.

Sie sprechen aus persönlichen Erfahrungen, die allerdings viele Mitglieder der neuen LINKEN so nicht haben. Diese werden dennoch in eine DDR-Schablone gepresst...

...was absurd ist und nur den Wirrsinn illustriert, der in manchen Parteizentralen noch immer herrscht. Was haben über 20 Prozent der Wählerinnen und Wähler im Saarland oder 14 Prozent in Bremen mit der SED zu tun? Null-Komma-Nichts! Sie alle haben ganz andere Alltagssorgen und Hoffnungen. Und mit Verlaub: Ich wurde in meinem Wahlkreis mit 47,7 Prozent direkt in den Bundestag gewählt. Nicht für damals, sondern für heute und morgen.

www.linksfraktion.de, 2. November 2009