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»Dass so etwas passiert, überrascht mich nicht«

Im Wortlaut von Petra Pau,

Petra Pau zum Attentat auf Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker

Foto: REUTERS/W. Rattay

 

Von Markus Decker

Die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker ist durch Messerstiche verletzt worden. Der Grund: Fremdenhass. Auch Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau sieht sich mit Drohungen konfroniert. Was sie von dem Vorfall hält.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) wird seit längerer Zeit bedroht. Grund ist ihr Einsatz für Flüchtlinge in Berlin und gegen Rechtsextremismus unter anderem im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der im November von allen vier Fraktionen gemeinsam neu aufgelegt wird. Die 52-Jährige ist parteiübergreifend akzeptiert.

Frau Pau, was schoss Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem Angriff auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker erfahren haben?

Petra Pau: Ich bin erstens entsetzt. Und zweitens sind meine Gedanken bei ihr und den anderen vier Verletzten.

Hat Sie das Attentat überrascht? Und hat Sie überrascht, dass so etwas im als liberal geltenden Köln passiert?

Dass so etwas passiert, überrascht mich nicht. Der Vorfall als solcher hat mich natürlich überrascht. Aber wir sind im Moment in einer Situation, in der Pegida, AfD wie überhaupt Zündler aus unterschiedlichen Parteien die derzeitige Situation anheizen. Sie liefern eine Motivation.

Sie selbst sind ja mehrfach bedroht worden. Wie nehmen Sie angesichts dessen wahr, was gerade passiert ist? Steigert das die eigene Angst?

Ich als Politikerin bin bedroht worden und werde weiter bedroht. Und ich werde mich nicht einschüchtern lassen. Aber parallel dazu mache ich mir wirklich Sorgen um die vielen Menschen, die nicht als besonders geschützte Politikerinnen und Politiker unterwegs sind und jeden Tag bei ihrem Einsatz für Geflüchtete, Obdachlose und andere Menschen, die es sehr schwer haben, bedroht werden.

Seit wann gibt es denn Ihrer Einschätzung nach diese Stimmung, die das, was jetzt passiert, hervorruft oder begünstigt?

Wir hätten es alle wissen können spätestens seit der Vorstellung der Langzeitstudie von Wilhelm Heitmeyer und seinem Team von der Universität Bielefeld im Dezember 2011 unter der Überschrift „Deutsche Zustände“. Denn sein grober Befund war, dass die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft zunimmt. Das ist mehr als Rassismus. Da geht’s um Obdachlose, Homosexuelle, aber auch Demokratinnen und Demokraten, die nicht in das Weltbild von Menschenfeinden passen.

Sein zweiter Befund lautete: Die Akzeptanz von Gewalt zur Lösung von Problemen nimmt zu – bei der Gruppe der über 60-Jährigen überproportional. Nun ziehen sie nicht los und lösen ihre Probleme mit Gewalt. Aber sie akzeptieren, dass andere das tun. Mein Eindruck ist, dass sich das seit dem vergangenen Herbst mit Pegida öffentlich ausprägt.

Was sollte man dagegen tun?

Zuallererst brauchen wir ein Bündnis der Demokratinnen und Demokraten, die öffentlich dagegen auftreten und sich nicht verleiten lassen, populistisch Stimmungen nachzugeben. Und als Obfrau im nächsten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages sage ich, wir brauchen eine konsequente Verfolgung jedweder Menschenfeindlichkeit im Ansatz.

Sind neue Gesetze erforderlich?

Nein. Die Umsetzung der geltenden Gesetze reicht aus.

 

Berliner Zeitung, 17. Oktober 2015