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Anhörungssaal des Bundestages © DBT/Lichtblick/Achim MeldeFoto: DBT/Lichtblick/Achim Melde

»Das türkische Volk wird dieses autoritäre Regime bald abwerfen«

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„Als ich im Dezember zu 27 Jahren Haft verurteilt wurde, weil ich über die illegalen Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes berichtet hatte, beantragte die türkische Regierung bei Interpol einen Haftbefehl gegen mich, was von der Institution abgelehnt wurde. Dieser Journalist, der nichts anderes getan hat, als das Recht auf Wahrheit zu verteidigen, und dem man vorwarf, ein Terrorist zu sein, spricht jetzt im Ausschuss für Menschenrechte im Bundestag. Ironisch, aber ein perfektes Beispiel für das, was wir gerade erleben. Wir sind dabei, ein Land vor den Augen der Welt zu verlieren“, sagte Can Dündar, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Juni 2021 zur Menschenrechtslage in der Türkei. Die Anhörung fand auf Antrag der Fraktion DIE LINKE. statt.

Zwar zeigten sich alle geladenen Expertinnen und Experten alarmiert über die ihrer gemeinsamen Auffassung nach zunehmende Unterdrückung von Opposition und Zivilgesellschaft in der Türkei. Klare Worte für die türkische Regierungspolitik fand Can Dündar, der auf Einladung der Fraktion DIE LINKE. als Experte an der Anhörung teilnahm. Er fokussierte die politische Debatte auf brisante Bereiche der völkerrechtswidrigen Außenpolitik der türkischen Regierung, illegale Waffenlieferungen nach Syrien und Irak, deep-state Strukturen und nicht zuletzt machte er die Verantwortung der Europäischen Union und der deutschen Bundesregierung in Bezug auf die türkische Regierungspolitik am Beispiel des sog. EU-Türkei-Deals zum Gegenstand der Anhörung. Hierbei prangerte er insbesondere das Vorgehen des deutschen Außenministers, Heiko Maas, an, dessen Äußerungen in Bezug auf den Flüchtlingsdeal mit der Türkei sich vielmehr wie Äußerungen der türkischen Regierungspartei AKP anhörten.

Żaklin Nastić, menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., fokussierte in ihrem Beitrag auf die Verwicklungen zwischen Politik, Mafia und organisierter Kriminalität angesichts der Berichte um illegale Ölgeschäfte der Regierung Erdoğans mit dem Islamischen Staat und der al-kaida in Syrien. Sie erkundigte sich nach Erkenntnissen in Bezug auf die Waffenlieferungen der türkischen Regierung an Terrorgruppen in Syrien und Irak und nahm Bezug auf die Verfolgung kritischer Presseberichterstattung, auch vor dem Hintergrund der Enthüllungen durch den Mafia-Paten Sedat Peker.
Im Lichte eines erneuten Verbotsverfahrens gegen die Oppositionspartei HDP, unzähligen inhaftierten HDP-Politikerinnen und Politikern, wie Demirtaş und Yüksekdağ und des kurz zuvor begangenen Anschlags auf ein HDP-Büro in Izmir, bei dem eine junge HDP-Mitarbeiterin von einem türkischen Faschisten getötet wurde, zeigte die Anhörung die massive Verfolgung der politischen Opposition auf.

Michel Brandt, Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, betonte, dass sich der EU-Türkei-Deal zum fünften Mal jährt und diese fünf Jahre geprägt seien von Duldungen der unzähligen Menschenrechtsverletzungen und einer massiven Abschottungspolitik der EU. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass Erdoğan mit seiner Entscheidung zum Austritt aus der Istanbul-Konvention den islamistischen Kreisen in der Türkei entgegengekommen sei und es für den Umgang der deutschen Bundesregierung mit dem NATO-Partner Türkei offenbar nicht von Relevanz sei, dass dieser aus einem internationalen Abkommen zum Schutz von Frauen vor Gewalt austritt.

Can Dündar verlieh der Enttäuschung vieler Menschen in der Türkei großen Ausdruck. Darüber, dass die deutsche Bundesregierung von Angela Merkel sich an die Seite von Erdoğan stellt, statt auf die Seite der demokratischen Kräfte in der Türkei. Er wies dabei auf die Interessen westlicher Regierungen und Konzerne hin, die auch auf dem Rücken der türkischen Bevölkerung schamlos geopolitische und wirtschaftliche Interessen durchsetzten.

„Und die NATO ist durchaus bereit, mit Ankara zu kooperieren […]. Die Türkei wird also betrachtet als; ein unverzichtbarer militärischer Partner, ein unverzichtbarer Wirtschaftsmarkt, ein profitabler Waffenkäufer, ein warmes Tourismusziel. Aber nicht als ein Land, dessen Volk eine demokratische, säkulare, moderne, friedliche politische Ordnung verdient hat. Ich kann Ihnen versichern, dass das türkische Volk dieses autoritäre Regime bald abwerfen wird und es ihm gelingen wird, wieder eine menschenrechtskonforme Demokratie herzustellen. Dies wird nicht dank der Unterstützung der westlichen Regierungen geschehen, sondern trotz einiger von ihnen...“.