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»Das Parlament darf sich das nicht bieten lassen«

Im Wortlaut von Petra Pau,

 

Petra Pau, MdB der LINKEN und Vizepräsidentin des Bundestags, hat sich im Interview mit dem Deutschlandfunk gegen den Einsatz eines Ermittlungsbeauftragten in der NSA-Affäre – so wie es die Bundesregierung plant – ausgesprochen. Das Parlament müsse vollständigen Einblick in alle Akten haben, sagte sie. DIE LINKE sei bereit, dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen.

 

Das Interview in voller Länge:


Christiane Kaess: Nicht die Parlamentarier - so berichteten gestern Medien - sollen Einblick in die sogenannte Selektorenliste erhalten, also in die Suchbegriffe, nach denen der BND für die NSA unter anderem auch europäische Ziele ausgespäht haben soll, sondern ein extra dafür ausgewählter Ermittler. Kanzleramtsminister Peter Altmaier soll dies laut dem Rechercheverbund aus Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR wichtigen Vertretern der SPD und der Union vorgeschlagen haben. Die Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten wird also immer wahrscheinlicher. Zwar gebe es noch keine Entscheidung, hieß es gestern in Berlin aus Koalitionskreisen. In den Regierungsfraktionen wird eine Prüfung der geheimen Selektorenliste durch einen solchen externen und zur Vertraulichkeit verpflichteten und unabhängigen Beauftragten aber für sinnvoll gehalten. Am Telefon ist jetzt Petra Pau von den Linken. Sie ist Vizepräsidentin des Bundestages. Guten Morgen, Frau Pau.

Petra Pau: Guten Morgen.

Frau Pau, glauben Sie noch, dass die Parlamentarier doch Einblick in diese Liste bekommen könnten?

Ich halte das für zwingend notwendig und das Konstrukt, welches hier gewählt wird, verkehrt das sinnvolle Instrument eines Sonderermittlers, welches wir in den vergangenen Legislaturperioden ins Gesetz über die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse aufgenommen haben, genau in sein Gegenteil.

Aber Sie sagen es gerade: Der Ermittlungsbeauftragte ist durchaus als Mittel für einen Untersuchungsausschuss vorgesehen. Was sollte also daran falsch sein?

Wissen Sie, wir haben im NSU-Untersuchungsausschuss, also der Ausschuss, der diese furchtbare Nazi-Mord- und Raubserie untersucht hat, einen Ermittlungsbeauftragten eingesetzt, um die Flut von Akten zu sichten. Aber erstens hat der Untersuchungsausschuss ihn eingesetzt. Zweitens war dieser Ermittlungsbeauftragte uns gegenüber vollständig auskunftspflichtig. Und drittens war es uns möglich, jede Akte, die wir ansehen wollten, selbst anzusehen. Das heißt, er hat für uns nur etwas gesichtet, was wir selbst nicht geschafft haben. Heute steht in Rede, dass ein Sonderermittler für den Ausschuss Einblick nimmt und der Vertraulichkeit verpflichtet ist. Das ist das Gegenteil von Öffentlichkeit und Aufklärung.

Aber das Parlament soll diesen Beauftragten vorschlagen und dann erst entscheidet die Regierung. Trauen Sie denn dem Parlament nicht zu, dass es eine geeignete Person aussuchen würde?

Das Parlament ist dazu in der Lage. Aber wo kommen wir denn da hin, dass die Regierung, die vom Parlament kontrolliert wird, entscheidet, wer sie kontrolliert? Wo kommen wir denn da hin!

Aber die Weichen, Frau Pau, stellt doch das Parlament.

Ja, aber es ist dann nicht mehr Herr über den Inhalt seiner Ermittlungen. Das Parlament muss, wenn es einen Sonderermittler einsetzt, den vollständigen Einblick in alles haben, was dieser sieht, und nicht die Regierung.

Aber das wäre ja auch durchaus möglich oder vorstellbar, dass der Untersuchungsausschuss die Fragen formuliert für den Ermittler. Trauen Sie das den Abgeordneten nicht zu, dass die die guten Fragen an den Ermittler weitergeben würden?

Natürlich sind die Abgeordneten in der Lage, Fragen zu formulieren. Aber wenn Antworten kommen, müssen sie in der Lage sein, auch zu prüfen in den Unterlagen, ob tatsächlich alle Aspekte hier geprüft wurden, und genau das soll ja hier ausgeschlossen werden. Der Sonderermittler soll sozusagen allein diesen Einblick haben.

Das ist wirklich das Gegenteil von parlamentarischer Kontrolle und nur ein Versteckspiel, und die Bundesregierung wäre gut beraten, dieses jetzt aufzugeben. Ich sage ganz deutlich: Die Oppositionsfraktionen sind auch in der Lage, in Karlsruhe diese merkwürdige Praxis überprüfen zu lassen.

SPD klar gemacht hat, wenn es einen Sonderermittler geben sollte, dann erwartet man sich umfassende Informationen von ihm, und wenn das nicht reicht, was er dem Ausschuss liefert, dann kann der Ausschuss ja durchaus noch mal nachhaken, und es geht ja um den Erkenntnisgewinn. Der muss ja nicht unbedingt geschmälert werden durch einen Sonderermittler.

Es geht hier ja nicht um Nachhaken, sondern ein Blick ins Untersuchungsausschuss-Gesetz macht da schlauer. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss ist nun mal das schärfste Instrument zur Kontrolle von Regierungshandeln und Handeln der ihr unterstellten Behörden, und das heißt, die Abgeordneten müssen jeder Zeit die Möglichkeit haben, sich auch selbst davon zu überzeugen, was ist.

Ein Sonderermittler wäre nur ein Helfer, um bestimmte Vorgänge vorzusortieren, aber die Bundesregierung hat ja sehr deutlich gemacht, dass sie das so nicht will, sondern dass sie ihn als Ersatz für tatsächliche Untersuchungen will, und das darf sich das Parlament nicht bieten lassen. Das sage ich auch den Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen, die im Moment die Koalition tragen.

Das sind die Vertreter der Union im Untersuchungsausschuss, die zum Beispiel überhaupt keinen Affront in diesem Vorschlag des Sonderermittlers sehen. Machen die denn ihren Job nicht gut?

Ich kann überhaupt nicht einschätzen, wie die Kollegen ihr Selbstverständnis im Moment definieren. Aber der Verzicht auf eigenständige Einsicht macht mich schon ein wenig besorgt.

Für Sie ein falsches Selbstverständnis als Parlamentarier?

Ich halte das für völlig falsch und ich habe auch anderes erlebt. Wir haben im NSU-Untersuchungsausschuss wirklich bei allen Differenzen, die es in der Sache gab, parteiübergreifend genau ein solches Selbstverständnis gehabt, dass wir tatsächlich die Bundesregierung, die ihr entsprechend nachgeordneten Behörden kontrollieren und ein Sonderermittler tatsächlich für uns jemand war, der uns unterstützt hat, mit dem wir aber vertrauensvoll in jeder Woche das Gespräch gesucht haben und der uns sehr wertvolle Hinweise gegeben hat, welche Akten wir tatsächlich selbst einsehen, und genau das will die Bundesregierung im Moment verhindern und offensichtlich wollen einige Kolleginnen und Kollegen tatsächlich darauf verzichten, sich selbst ein Bild zu machen.

Jetzt wollen Sie das - Sie haben es schon gesagt - vom Bundesverfassungsgericht prüfen lassen. Haben Sie denn schon eine juristische Einschätzung, dass ein Sonderermittler nicht rechtens sein könnte?

Ein Sonderermittler ist immer rechtens. Die Frage ist sein Auftrag, seine Befugnisse und wie der Ausschuss dann selbst Einblick nimmt, und die Bundesregierung hat ja sehr deutlich gemacht, dass sie die Selektorenliste eben nicht dem Parlament, sondern nur diesem Ermittler zur Verfügung stellen will.

Und da sind Sie sich sicher, dass das Bundesverfassungsgericht Ihre Linie vertreten wird?

Ich bin mir sehr, sehr sicher, dass das Bundesverfassungsgericht wieder den gesetzmäßigen Zustand anmahnen wird.

Frau Pau, kurz zum Schluss noch zu einem anderen Thema. Es hat offenbar eine Vorentscheidung in der Linken gegeben, auf Fraktionschef Gysi sollen seine Stellvertreter Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch folgen. Wird der Vorstand tatsächlich diese Empfehlung geben und ist das eine gute?

Erstens bin ich keine Hellseherin. Zweitens kenne ich keine solche Vorentscheidung. Fest steht: In der nächsten Woche werden die Parteivorsitzenden, so wie es unsere Geschäftsordnung vorsieht, einen Vorschlag... [Telefonverbindung gestört], ...dass es wahrscheinlich tatsächlich eine Doppelspitze sein wird.

Jetzt hatten wir eine kleine Unterbrechung. Ich frage da noch mal nach. Ist kein Problem, wir gehen einfach noch mal auf das Thema ein. Der Parteivorsitzende Bernd Riexinger und Katja Kipping, die haben ja, sollte es dazu kommen, das Duo Wagenknecht-Kipping schon als gute Lösung bezeichnet. Deswegen noch mal die Frage an Sie: Ist das für Sie auch aus Ihrer Sicht eine gute Lösung?

Sie werden mich nicht dazu verführen, heute früh über Namen zu reden. Aber fest steht für mich, dass die beiden Parteivorsitzenden in der nächsten Woche einen Vorschlag für eine Doppelspitze machen werden, und dann wird sich die Fraktion dazu verhalten.

Wir müssen ja nicht noch weiter spekulieren, aber es stehen ja zwei Namen im Raum. Und die Frage doch noch zu Sahra Wagenknecht: Sie hat ja im März gesagt, sie stehe nicht zur Verfügung. Davor hatten die Linken-Abgeordneten für die Griechenland-Hilfe der Bundesregierung gestimmt und Wagenknecht war dagegen. Wäre das eine gute Voraussetzung für die Führung einer Fraktion, die oft tief gespalten ist?

Es gibt immer wieder mal Meinungsverschiedenheiten und jeder Abgeordnete, jede Abgeordnete ist erst einmal frei in ihren Entscheidungen. Und ich gehe davon aus, wenn es einen solchen Vorschlag gibt, dass Frau Wagenknecht sich natürlich auch dazu erklärt, ob sie erstens dazu bereit ist, und zweitens, wie sie sich solche Leitungstätigkeit und Konsenssuche vorstellt. Das werde ich jetzt nicht hier heute mit Ihnen und den Hörerinnen und Hörern austragen, so interessant die Frage ist, sondern das müssen wir erst mal in der Fraktion besprechen.

... sagt Petra Pau von den Linken. Sie ist Vizepräsidentin des Bundstages. Danke für das Gespräch heute Morgen.

Ja bitte.

 

Deutschlandfunk.de, 11. Juni 2015