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»Das ist ein Dammbruch«

Im Wortlaut von Kirsten Tackmann,

Mit der neuen Bundesregierung droht eine Rolle rückwärts bei der Agrar- und Verbraucherpolitik. Ein Gespräch mit Kirsten Tackmann

Kirsten Tackmann ist agrar- und verbraucherpoltische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

Der neue Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Horst Seehofer(CSU) hat für sein Ressort eine radikale Kehrtwende angekündigt und diesen Worten auch bereits Taten folgen lassen. Bedeutet beispielsweise die Zulassung von drei neuen Genmaissorten einen Dammbruch bei der Gentechnikpolitik?
Ja, das ist ein Dammbruch. Ich halte das auch auch deswegen für höchst bedenklich, weil 80 Prozent der Verbraucher gentechnisch veränderte Nahrungsmittel ablehnen. Und das nicht nur in Deutschland. In der Schweiz ist der kommerzielle Anbau solcher Pflanzen sogar durch eine Volksabstimmung verboten worden. Bei dem Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen handelt es sich um eine Risikotechnologie, deren Folgen irreversibel und nicht abschätzbar sind. Es gibt genügend warnende Studien aus dem In- und Ausland, und nichts hätte dagegen gesprochen, diese ernsthaft zu prüfen, statt die Zulassung dieser Sorten als quasi erste Amtshandlung vorzunehmen.

Wie könnte die von Herrn Seehofer angekündigte sogenannte Gleichbehandlung von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft aussehen, und was würde das für die Biobetriebe nach Ihrer Einschätzung bedeuten?
Generell bin ich der Meinung, daß man biologisch und konventionell arbeitende Betriebe nicht gegeneinander ausspielen sollte. Entscheidend sollte sein, daß Landwirtschaft ressourcenschonend und somit nachhaltig betrieben wird. Natürlich spielt die ökologische Landwirtschaft dabei eine wichtige Rolle. Doch auch konventionelle Betriebe könnten wesentlich naturnäher wirtschaften, wenn es die politischen Rahmenbedingungen zulassen. Dazu müßte gehören, daß die Arbeiten der Landwirte, die sie für den Erhalt von Kulturlandschaften leisten, als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anerkannt und bezahlt werden, wie es beispielsweise in der Schweiz der Fall ist.

Davon ist bei Seehofer aber nicht die Rede?
Wir müssen wohl abwarten, welche Taten seinen Worten folgen werden. Da ist ja auch ein bißchen Säbelrasseln dabei. Das war bei seiner Vorgängerin Renate Künast - von der anderen Seite aus gesehen - auch manchmal so. Ich plädiere für ein faires Miteinander ökologischer und konventioneller Landwirtschaft, statt die Bauern gegeneinander auszuspielen.

Auch im Verbraucherschutz ist Seehofer bereits vorgeprescht, indem er ein umfassendes Auskunftsrecht der Verbraucher gegenüber Betrieben kategorisch ausgeschlossen hat und statt dessen auf Eigenkontrollen und Selbstverpflichtungen der Wirtschaft setzt.
Das halte ich für problematisch. genauso wie Seehofers Tendenz, die Akteure von Lebensmittelskandalen als schwarze Schafe zu verniedlichen. Ich glaube, daß es sich beipielsweise bei dem Gammelfleisch nur um die Spitze des Eisberges gehandelt hat. Man muß die Industrie konsequent in Haftung nehmen. Ich sehe nicht ein, daß die Verbraucher intensivere staatlichen Kontrollen über Steuern bezahlen müssen und die Hintermänner krimineller Machenschaften glimpflich davonkommen.

Was plant die Linkspartei an eigenständigen Initiativen zur Agrar und Verbraucherpolitik?
Uns ist wichtig, daß man den ländlichen Raum nicht nur als Wirtschafts- und Siedlungsraum versteht, wie es im Koalitionsvertrag beschrieben ist. Man muß ihn auch als sozialen Raum verstehen. Es gilt zu verhindern, daß die Bevölkerung ländlicher Räume vergreist, verarmt und verdummt. Ich glaube, solche Befürchtungen sind nicht untertrieben, zumindest in Ostdeutschland. Wir brauchen Perspektiven für diese Regionen und vor allem Arbeitsplätze. Wenn man dann wie Herr Seehofer, die Förderung sich positiv entwickelnde Bereiche wie zum Beispiel Biokraftstoffe zur Disposition stellt, dann ist das ein falsches Signal.

Können Sie sich vorstellen, beim Verbraucherschutz auf der Basis des alten Gesetzentwurfes für ein Verbraucherinformationsgesetz aus dem Hause von Frau Künast zu agieren?
Zumindest sind da einige Aspekte drin, die wir teilen. Lückenlose Information ist mit Sicherheit notwendig. Allerdings darf es keine finanziellen Hürden bei der Erlangung dieser Informationen geben. Was ich allerdings für ebenso wichtig halte, ist die Prävention, damit Mißstände wie im Lebensmittelsektor gar nicht erst entstehen. Generell müssen wir darauf dringen, daß Lebensmittel einen besonderen Status gegenüber anderen Industriewaren erhalten.

Interview: Rainer Balcerowiak

junge Welt, 20. Dezember 2005