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Das Debakel von Kopenhagen

Im Wortlaut von Eva Bulling-Schröter,

Der Klimagipfel in Kopenhagen ist gescheitert. Statt eines neuen Klimaschutzabkommens wurde ein unverbindliches, völlig unzureichendes Abschlussdokument „zur Kenntnis genommen“. Trotz der Anreise von über hundert Staatschefs endete der Gipfel mit einem klimapolitischen Desaster.

Der Auftrag der Klimakonferenz von Bali im Jahr 2007 war eindeutig. In der „Bali Roadmap“ verpflichteten sich die Staatenvertreter, bis Ende 2009 ein neues international verbindliches Klimaschutzabkommen zu verabschieden. Nur so könnte gewährleistet bleiben, dass dieser Vertrag nach der Zustimmung der nationalen Parlamente rechtzeitig zum Ende der ersten Phase des Kyoto-Protolls (2008-2012) in Kraft trete. Das neue Abkommen solle neue Verpflichtungen für die Senkung des Klimagas-Ausstoßes in Industrieländern enthalten, Finanztransfers für Entwicklungsländer zum Umgang mit dem Klimawandel bereitstellen und im Gegenzug auch von Schwellen- und Entwicklungsländern einen höheren Beitrag zum Klimaschutz verlangen.

Seit Bali traf sich die Klimadiplomatie mehrmals jährlich, zuletzt quasi im Monatsrhythmus. Vorzeigbare Fortschritte blieben aber Fehlanzeige. Bereits im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2009 wurde sich daher vom eigentlich alternativlosen Zeitplan verabschiedet. Nun sollte in Kopenhagen kein abschließender Vertrag, immerhin sollten aber die wichtigsten Eckpunkte für einen solchen Vertrag rechtlich verbindlich beschlossen werden. Doch auch dazu hätte es des politischen Willens aller Akteure gebraucht - und den gab es in Kopenhagen offensichtlich nicht. Selbst der Versuch, den Staatschefs eine unverbindliche politische Erklärung mit auf den Heimweg zu geben, scheiterte kläglich. Der sog. „Copenhagen Accord“ - von einer Runde von 30 Staatschefs im Hinterzimmer vereinbart - wurde von einigen Ländern wie Bolivien, Sudan, Venezuela und dem kleinen Inselstaat Tuvalu als klimapolitisch unzureichend abgelehnt. Aufgrund des Konsensprinzips bei den UN-Klimaverhandlungen konnte er damit nicht verabschiedet werden. Um Obama, Merkel & Co., die die Abschlusserklärung ausgehandelt hatten, nicht völlig vor den Kopf zu stoßen, einigte sich das Plenum der Klima-Verhandlungen darauf, den „Copenhagen Accord“ zur Kenntnis zu nehmen.

Der »Copenhagen Accord«

Ergebnis des größten UN-Klimagipfels aller Zeiten ist damit eine nicht verabschiedete Erklärung ohne jegliche Verbindlichkeit. Was aber nicht weiter schlimm ist, da sich im „Copenhagen Accord“ eh kaum substanzielle Vereinbarungen befinden. Viele Beobachter der Verhandlungen waren sich darin einig, dass der „Copenhagen Accord“ kaum das Papier wert sei, auf dem er steht.

Um zwei Beispiele zu geben. Erstens, die gerade von Seiten der deutschen Bundesregierung hervorgehobene Einigung auf das Ziel, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Temperaturen zu begrenzen. Selbst wenn man ausblendet, dass ausgehend von der Gruppe der kleinen Inselstaaten (AOSIS) sich viele Länder im Vorfeld von Kopenhagen einem 1,5-Grad-Ziel angeschlossen haben, bleibt die Einigung auf das 2-Grad-Ziel schlicht folgenlos und nichtssagend. Denn es werden eben nicht die dafür notwendigen Minderungsziele benannt. Im Gegenteil: dort, wo die Abschlusserklärung konkret wird, steht sie im direkten Widerspruch zum 2-Grad-Ziel. Keine neuen Minderungspflichten für den Klimagas-Ausstoß der Industrieländer, nur eine leere Länderliste im Anhang der Erklärung. Selbst die in einem Entwurf enthaltene Zielsetzung einer 80-prozentigen Reduzierung der Industrieländeremissionen bis Mitte dieses Jahrhunderts taucht nicht mehr auf.

Im Text findet sich lediglich der Aufruf, die Industrieländer sollten bis Ende Januar 2010 freiwillige Minderungsziele für das Jahr 2020 an das UN-Klimasekretariat melden. Dafür wird offensichtlich selbst das bislang übliche Basisjahr 1990 zum Vergleich der Minderungsziele fallen gelassen. Jedes Land darf sich nun ein beliebiges Referenzjahr aussuchen, gegenüber dem das versprochene Minderungsziel in möglichst rosigem Licht erscheint. Um ein Beispiel zu geben. Das von Präsident Obama für das Jahr 2020 angekündigte Ziel einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen der USA um 17 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005 schrumpft auf mickrige vier Prozent, wenn man es dem bislang üblichen Vergleichsjahr 1990 gegenüberstellt.

Zweitens, die angekündigten Finanztransfers in Richtung Entwicklungsländer, um sie bei der Anpassung an den Klimawandel und beim Klimaschutz zu unterstützen. In den Jahren 2010 bis 2012 sollen Industrieländer 30 Mrd. US-Dollar als „prompt start“-Finanzierung aufbringen. In einem Entwurf des „Copenhagen Accord“ waren noch konkrete Summen genannt, die von Seiten der EU, Japan und USA versprochen wurden. Kein Wort mehr dazu in der zur Kenntnis genommenen Abschlusserklärung. Auch für die ab dem Jahr 2020 in Aussicht gestellten 100 Mrd. US-Dollar jährlich bleibt die lästige, aber entscheidende Frage unbeantwortet: wer zahlt’s?

Erst aber bei der konkreten Zuweisung von Finanzierungsbeiträgen an einzelne Länder wird sich zeigen, wie ernst es die Industriestaaten mit dem Versprechen der 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr meinen. Oder ob es wie viele, ähnliche Versprechungen aus anderen politischen Erklärungen auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt wird. Man erinnere sich nur an die über die letzten drei Jahrzehnte zu verschiedenen Anlässen immer wiederholte Zielsetzung der Industrieländer, mindestens 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts als Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen.

Verwundert lässt einen der letzte Absatz des „Copenhagen Accord“ zurück. Dessen Umsetzung solle 2015 bewertet werden. Haben die Staaten nun alle Zuversicht aufgegeben, bis 2015 dieses Blatt Papier durch einen rechtlich verbindlichen Vertrag zu ersetzen? Findet sich deswegen keinerlei Frist für die Verhandlung eines neuen Abkommens im „Copenhagen Accord“? Und was soll eigentlich im Jahr 2015 bewertet werden, strebt doch die inhaltliche Substanz der Erklärung gen Null?

Gründe des Scheiterns

Unter dem Strich lagen in Kopenhagen Minderungsangebote auf dem Tisch, die im besten Fall zu einer Erwärmung von 3,5 Grad geführt hätten. Kein Wunder, dass dabei einige Länder nicht mitspielen wollten. Warum soll der Inselstaat Tuvalu seinen Untergang beschließen? Warum Nicaragua seine Versteppung?

Von vielen Ländern wurde auch die wenig transparente Verhandlungsführung der dänischen Konferenzpräsidentschaft kritisiert. Hinterzimmer-Diplomatie unter Einbezug einer kleinen Gruppe von Industriestaaten sowie Schwellen- und Entwicklungsländern war in Kopenhagen groß angesagt. Mit einer demokratischen Entscheidungsfindung hat dies wenig zu tun. Und so waren die abseits stehenden, vermeintlich weniger bedeutsamen Länder letztlich nicht mehr bereit, das Verhandlungsergebnis des Clubs der großen Dreißig einfach nur abzunicken. Schon einmal scheiterte eine Klimakonferenz im Jahr 2000 im niederländischen Den Haag aufgrund ähnlicher Fehler der Verhandlungsleitung. Man wundert sich, wie kurz das institutionelle Gedächtnis der UN-Klimaverhandlungen reicht.

Entscheidend für das Scheitern der Verhandlungen aber war die mangelnde Bereitschaft der Industriestaaten mit konkreten Angeboten eine Vorreiterrolle zu übernehmen. So hat die EU und insbesondere Deutschland lieber gepokert, statt sich frühzeitig zum längst beschlossenen minus 30%-Ziel für den Klimagasausstoß im Jahr 2020 zu bekennen. Das hätte Schwung in die Verhandlungen gebracht, andere Länder mitreißen können und auch die USA unter Zugzwang gebracht. Vor allem aber hätte es Vertrauen gegenüber der Gruppe der Entwicklungsländer aufgebaut.

Umweltminister Röttgen hat die abwartende Haltung der EU und Deutschlands vor Kopenhagen offensiv als Verhandlungsstrategie verkündet. Man wolle nicht allzu schnell die Karten auf den Tisch legen. Angesichts von Millionen Menschen, deren Überleben schon heute durch den Klimawandel bedroht ist, ist diese Pokertaktik in UN-Klimaverhandlungen an Zynismus kaum noch zu überbieten.

Die Rolle der USA blieb bis zum Schluss enttäuschend. Sie führte eine Koalition der Unwilligen an. Dies zeigt sich auch daran, welchen Beitrag die größte Volkswirtschaft der Welt, die mit Abstand den größten Anteil an der Erderwärmung zu verantworten hat, bereit ist, an Finanzierungsleistungen für arme Länder zu übernehmen: Von den versprochenen 30 Milliarden zwischen 2010 und 1012 bietet sie für die Soforthilfe gerade einmal 3,6 Milliarden Dollar an. Das ist etwa ein Drittel des Betrages der EU, „und in etwa das, was die USA alle 60 Stunden für ihr Militär ausgeben“, vergleicht „Spiegel online“ pointiert.

...auch die Bürgerrechte blieben in Kopenhagen auf der Strecke

Die Bilanz des Kopenhagener Klimagipfels ist nicht nur klimapolitisch verheerend. Auch die Bürgerrechte blieben auf der Strecke. Immer wieder wurde von vollkommenen unverhältnismäßigen Übergriffen der dänischen Polizei auf den zahlreichen Demonstrationen berichtet. Der Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten, aber auch auf Medienvertreter/innen und akkreditierte Konferenzteilnehmer/innen hat kein gutes Licht auf den Gastgeber Dänemark geworfen und kann nur auf das Schärfste verurteilt werden.

Die meisten der über 1.800 „vorbeugenden“ Festnahmen während des Kopenhagener Gipfels wurden mit großer Willkür und meist ohne konkrete Verdachtsmomente vorgenommen. Verhaftete Demonstrantinnen und Demonstranten mussten teilweise stundenlang bei Minustemperaturen auf der Straße sitzen. Bei der Festnahme der drei Pressesprecher/innen des Bündnisses „Climate Justice Action“ sollte zudem offensichtlich ein politisches Exempel an Kritiker/innen des UN-Klimagipfels statuiert werden. Darauf deutet auch die Überwachung des Telefon- und SMS-Verkehrs der Aktivistinnen und Aktivisten hin, die schon Monate vor dem Gipfel einsetzte.

Kopenhagen sollte in die Geschichte eingehen. Nun wird in den Geschichtsbüchern allenfalls von einer der größten Pleiten internationaler Diplomatie die Rede sein. Vielleicht aber auch von einem Startpunkt für einen neuen Aufbruch. Die vielen Proteste in Kopenhagen - von Umweltverbänden, Kirchen und vielen linken Bündnissen - haben gezeigt, dass sich enormer Unmut gegenüber dem UN-Klimaprozess regt. In Kopenhagen wurde die Saat für eine neue Bewegung für Klimagerechtigkeit gelegt. Insofern kann das Scheitern auch eine Chance sein.

Mehr zu diesem Thema:

Kopenhagen-Tagebuch von Eva Bulling-Schröter, MdB
Interview: Deutschland und Europa haben sich verzockt
Antrag: Kehrtwende beim globalen Klimaschutz auf UN-Gipfel in Kopenhagen (PDF)
Thema: Klimapolitik