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Corona: Lehren für die Forschung

Im Wortlaut von Petra Sitte,

Der Wettlauf um Impfstoffe gegen Covid-19 hat sehr unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Die einen bejubeln die Geschwindigkeit, mit der diese entwickelt wurden. Andere kritisieren, dass die Impfstoffe nicht langzeit-getestet wurden, bevor sie auf den Markt kamen, und dass eine Handvoll Pharmakonzerne scheinbar Preis und Verfügbarkeit der Medikamente bestimmen. Manche Verschwörungstheorien gehen sogar noch weiter, aber wir sollten ruhig davon ausgehen, dass keine Nanochips geimpft werden.

Die Impfstoffentwicklung hat mehrere Lehren und Forderungen der LINKEN bestätigt:

Erstens: Wenn etwas wirklich schnell breitflächig verfügbar sein soll, überlasse es nicht dem Markt. Regierungen sind eingesprungen, haben Geld, klare Aufträge und Abnahmegarantien gegeben, und so konnten binnen kurzer Zeit Impfstoffe entwickelt und produziert werden.

Zweitens: Öffentliches Geld – öffentliches Gut. In Deutschland und der EU haben die Regierungen es versäumt, ihre Fördermittel an Mitspracherechte zu knüpfen. Milliarden Euro wurden sehr schnell an Pharmaunternehmen ausgehändigt. Die Umsätze und Aktienkurse mancher Unternehmen sind deshalb durch die Decke gegangen. Aber der Staat hat sich weder die Patentrechte gesichert noch die Unternehmen verpflichtet, die Impfstoffe zum Herstellungspreis zu verkaufen. Und immer wieder kommt es zu Lieferengpässen. Das darf inmitten einer Pandemie mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft nicht passieren.

Die Pandemie hat drittens gezeigt, welches Misstrauen entsteht, wenn private Geldgeber und Sponsoren die Forschungspolitik internationaler Einrichtungen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beeinflussen. Die WHO, die Patentämter, der TÜV und alle anderen Stellen, die für die Öffentlichkeit Forschung, Erprobung und Zulassungen erledigen, müssen transparent öffentlich finanziert und der Einflussnahme privater Stiftungen und Unternehmen entzogen werden.  

Und schließlich hat sich gezeigt, dass Kooperation – zwischen Forschenden, Unternehmen und Staaten – schneller zum Erfolg führt als die Konkurrenz aller gegen alle. Um die Pandemie in den Griff zu bekommen, wird noch viel weltweite Zusammenarbeit nötig sein, denn es haben längst noch nicht alle Länder auf der Welt Aussicht auf Versorgung mit Impfstoffen. Solange das so ist, kann sich der Virus immer wieder über den Erdball verbreiten.

Pharmaunternehmen orientieren sich an Gewinnerwartungen

Private Pharmaunternehmen sind ihren Eigentümern und deren Renditeansprüchen verpflichtet. Das hat Auswirkungen darauf, wie und wo sie ihre Produkte vermarkten und wem sie diese zu welchen Preisen zur Verfügung stellen. Es hat Auswirkungen darauf, auf welchen Gebieten sie Forschung finanzieren. Diese ist im Medikamentenbereich grundsätzlich sehr kostspielig und stellt riskante Investitionen dar, denn niemand kann garantieren, dass sie zu anwendbaren und daher profitabel verkäuflichen Produkten führt.

Private Forschung konzentriert sich deshalb auf verbreitete Krankheiten in den Industrieländern. Die Forschung an langfristigen globalen Gesundheitsgefährdungen, aber auch an eher seltenen Krankheiten, die sich manchmal plötzlich ausbreiten, muss bzw. müsste dahingegen öffentlich finanziert werden. Corona-Viren gibt es seit langer Zeit.

Auch die Forschung zu Antibiotikaresistenzen verlieren Antibiotika bedürfen eines deutlich höheren öffentlichen Engagements. Die Wirkung von Antibiotika in der Humanmedizin nimmt seit vielen Jahren ab, weil Krankheitserreger Resistenzen gegen die gängigen Rezepturen entwickelt haben. Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, so genannte Zoonosen, werden voraussichtlich zu wachsenden Gefahren, weil durch die Ausbreitung menschlicher Siedlungsgebiete Menschen und Tierarten aufeinander treffen, die bislang getrennt gelebt hatten. Zusätzlich führt die Massentierhaltung zu einer Übermedikamentierung von Schlachtvieh, in dessen Fleisch sich Medikamentenrückstände und Giftstoffe ansammeln, die dann in menschlichen Mägen und mit menschlichen Ausscheidungen im Abwasser landen, dort jedoch nur durch eine weitere Filterstufe in Wasserwerken abgeschieden werden können. Die Forschung an derartigen Problemen ist zeitaufwendig, kostspielig und mit Unsicherheiten belastet. Hier muss die öffentliche Forschungsförderung langfristige Schwerpunkte legen, die sowohl auf neue Arzneimittel als auch auf die Vermeidung von Gesundheitsgefährdungen zielen.

Verlässlich finanzierte und kooperative Forschung ist notwendig

Die Corona-Pandemie, die auf mehrere vergleichbare Krisen ihrer Art in den vergangenen Jahren gefolgt ist, sollte als deutliche Erinnerung daran dienen, dass auch in der Forschung Menschen vor Profiten zählen müssen. Schnelle Reaktionen auf Epidemieausbrüche werden auch künftig mitunter nötig sein, aber möglich sind sie nur, wenn sie auf breit angelegter, verlässlich finanzierter und kooperativer Forschung aufbauen können.