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Bundesminister scheuen den Osten

Im Wortlaut,

Anfrage der Linksfraktion enthüllt selektives Reiseverhalten der Kabinettsmitglieder Gröhe und Nahles 

Der Bundesgesundheitsminister und die Bundesarbeitsministerin haben ein Ost-Defizit. Ein dem »nd« vorliegendes Dokument zeigt, dass sie ihre Dienstreisen fast ausschließlich in den Westen führten.   Von Fabian Lambeck   Dienstreisen von Politikern waren schon öfter mal Gegenstand von handfesten oder vermeintlichen Skandalen. So musste sich der damalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle 2010 gegen Vorwürfe wehren, er würde Freunde und Familienmitglieder bei Dienstreisen ins Ausland begünstigen. Andere wie Cem Özdemir (Grüne) oder Gregor Gysi (LINKE) nutzten dienstlich erworbene Bonusmeilen, um sie für Privatflüge einzusetzen. Wenig bekannt war bislang über die Ziele von Dienstreisen im Inland. Der Ost-Koordinator der Linksfraktion, Roland Claus, wollte nun genauer wissen, wie oft die Kabinettsmitglieder im ersten Halbjahr jeweils den Osten und den Westen besuchten. Die Antwort aus dem Bundesinnenministerium, die »neues deutschland« exklusiv vorliegt, enthält einige Merkwürdigkeiten. Setzt man die Anzahl von Ost- und Westdeutschen ins Verhältnis, so ergibt sich bei rund 15 Millionen Ossis und 65 Millionen Wessis ein Wert von 1:4,3. Dieses Verhältnis spiegelt sich im Dienstreiseplan einiger Minister aber nicht wider. Etwa bei Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Von seinen 37 Dienstreisen im ersten Halbjahr gingen lediglich zwei in den Osten. Im Ministerium wiegelt man ab: Das habe die »Terminlage halt so ergeben«, sagt ein Sprecher gegenüber »nd«. Mehr will er dazu öffentlich nicht sagen. Merkwürdig: Allein im Mai war Gröhe in seinem Wahlkreis Neuss mindestens genauso oft unterwegs wie im ganzen ersten Halbjahr in Ostdeutschland. Dabei gibt es zwischen Elbe und Oder eine Menge zu tun. So ist die Lebenserwartung in den neuen Ländern niedriger und auch der Ärztemangel in den strukturschwachen Regionen wird immer spürbarer. Aber offenbar ist einem Minister im Zweifelsfall der eigene Wahlkreis doch näher als die Probleme in Fernost. Auch das Reiseverhalten von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Problemlage. Während sie 19 Mal den Westen besuchte, verirrte sich die Ministerin nur zwei Mal in den Osten. In ihrem Ministerium wollte man die entsprechende »nd«-Anfrage nur schriftlich bearbeiten. Trotz mehrmaligen Nachhakens bleibt die Pressestelle eine Antwort schuldig. Kritik am selektiven Reiseverhalten der beiden Politiker kommt von Roland Claus: »Obwohl der Osten den Berliner Regierungssitz geografisch umschließt, machen viele Kabinettsmitglieder um ihn einen großen Bogen. Es ist schon merkwürdig, wenn es für manche Bundesministerinnen und Bundesminister fast 25 Jahre nach dem Mauerfall nur so wenig Dienstliches in den ostdeutschen Ländern zu tun gibt.« Angesichts von hoher Arbeitslosigkeit und Ärztemangel sollten gerade die Arbeitsministerin und der Gesundheitsminister zeigen, »dass ihnen Einkommen und Gesundheit der Ostdeutschen nicht einerlei sind«, so Claus. Und der Rest des Kabinetts? Bei zwei von drei Ostdeutschen liegt der Reiseschwerpunkt in den neuen Ländern. Die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) absolvierte vier Reisen östlich der Elbe und nur sieben westlich davon. Noch deutlicher wird dieser Ost-Bias bei Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Die Wahl-Schwerinerin reiste 14 Mal durch die neuen und nur fünf Mal durch die alten Länder. Damit ist sie die Einzige im Kabinett Merkel, die sich öfter im Osten als im Westen sehen ließ. Über die möglichen Gründe hüllte sich auch das Presseteam der Ministerin bis Redaktionsschluss in Schweigen. Die restlichen Kabinettsmitglieder blieben weitgehend unauffällig. Lediglich einen weiteren Ausreißer verzeichnet die Liste: Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU). Dass er den Osten nur ein einziges Mal besuchte, mag man als positives Zeichen auffassen. Es gibt offenbar doch noch einen Unterschied zwischen Sahel und Saale.   neues deutschland, 17. Juli 2014