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Besser als nichts ist keineswegs gut

Im Wortlaut von Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann,

 

Die Bundesregierung legt ein Gesetz zur Prävention und Gesundheitsförderung vor. Sabine Zimmermann, Leiterin des AK I Soziales, Gesundheit und Rente, und Birgit Wöllert, Obfrau im Gesundheitsausschuss, kritisieren im Interview das Gesetz als unzureichend.

 

2013 ist die schwarz-gelbe Bundesregierung mit einem Präventionsgesetz im Bundesrat gescheitert. Jetzt legt die Regierung einen neuen Entwurf vor. Wurde die Kritik der Länder aufgenommen?

Sabine Zimmermann: Leider nicht. Der Entwurf der Großen Koalition ist weitgehend identisch mit dem gescheiterten. Die SPD war 2013 in der Opposition und gehörte zu den schärfsten Kritikern. In der Regierung hat sie dem aktuellen Gesetzentwurf zwar blumige Worte hinzugefügt, die Maßnahmen und Strategien zur Gesundheitsförderung unterscheiden sich aber kaum von denen der letzten Regierung. Was lange währt, wird also nicht unbedingt gut. Immerhin ist dies der vierte Versuch einer Regierung, ein Präventionsgesetz einzubringen. Weder der rot-grünen Koalition 2004, noch der großen Koalition 2007 und auch nicht der schwarz-gelben Koalition 2013 ist das gelungen.

Was ist das Ziel eines Gesetzes zu Gesundheitsförderung und Prävention und woran muss sich erfolgreiche Gesundheitsförderung messen lassen?

Birgit Wöllert: Ziel muss sein, den Gesundheitszustand aller Menschen zu verbessern und für alle und jeden die gesunde Lebenserwartung, also die Zahl guter, gesunder Jahre im Leben zu erhöhen. Menschen mit niedrigem Sozialstatus und sozial Benachteiligte haben deutlich schlechtere Gesundheitschancen. Bereits seit der Ottawa-Charta 1986 fordert die Weltgesundheitsorganisation die Regierungen auf, „bestehende soziale Unterschiede des Gesundheitszustandes zu verringern sowie gleiche Möglichkeiten und Voraussetzungen zu schaffen, damit alle Menschen befähigt werden, ihr größtmögliches Gesundheitspotential zu verwirklichen“. Messen muss sich ein Präventionsgesetz also vor allem daran, ob es geeignet ist, soziale Ungleichheit wirksam zu verringern. Der Entwurf der Bundesregierung erfüllt diese Anforderungen nicht. Das bedeutet, die schwarz-rote Bundesregierung bleibt weit hinter internationalen Standards der Präventionspolitik zurück.

Es gibt also einen Zusammenhang zwischen Armut und Gesundheit?

Sabine Zimmermann: Fakt ist, Reichtum macht gesund und Armut macht krank. Menschen aus der unteren Einkommensschicht haben in jedem Lebensalter – von der Kindheit bis zum Tod – ein doppelt so hohes Risiko, ernsthaft krank oder zum Pflegefall zu werden als wohlhabende Menschen. Sie sterben vorzeitig: Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen der unteren und der oberen Einkommensschicht beträgt bei Frauen 8,4 Jahre, bei Männern 10,8 Jahre. Schwere Erkrankungen zeigen sich in der oberen Gruppe rund vier Jahre später – ein immenser Zugewinn an Lebensqualität!

Birgit Wöllert: Die Schere zwischen Arm und Reich in der Sterblichkeit und bei den gesunden Lebensjahren hat sich nach 10 Jahren Hartz IV und Sozialstaatsabbau deutlich vergrößert. Die Verminderung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit ist deshalb eine der zentralen politischen Herausforderungen. Die Bundesregierung packt das nicht an.

Warum scheitert die Regierung aus Union und SPD an der Aufgabe, die gesundheitliche Ungleichheit wirksam anzugehen?

Sabine Zimmermann: Mit der SPD haben wir eine Partei in der Regierung, die Hartz IV und die Agenda 2010 zu verantworten hat und dies bis heute feiert. Und unter der Führung von Merkel und Schäuble unterzieht die EU Griechenland und andere Länder einer Radikalkur, die zur Verarmung und einer dramatischen Verschlechterung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung führt. 35 Prozent der griechischen Bevölkerung ist ohne Zugang zur Gesundheitsversorgung – eine humanitäre Katastrophe. Im eigenen Land hat die große Koalition beschlossen, dass in Zukunft allein die Versicherten alle Kostensteigerungen der Krankenversicherung durch Zusatzbeiträge zu tragen haben. Auch die unsozialen Zuzahlungen bleiben. Dadurch werden insbesondere arme Menschen davon abgehalten, einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen. Insgesamt lässt auch die große Koalition keine ernsthaften Versuche erkennen, Armut und sozialer Ungleichheit wirksam etwas entgegen zu setzen. Die regierenden Parteien wollen und können nicht ran an die Grundfragen: Umverteilung von oben nach unten, soziale Gerechtigkeit schaffen.

Was schlägt die Linksfraktion vor?

Birgit Wöllert: Für uns ist klar: Niemand sollte krank werden, krank sein oder bleiben oder sogar früher sterben, weil sie oder er arm ist. DIE LINKE bringt dazu einen Antrag in die Debatte ein. Für uns ist Gesundheit ein Menschenrecht – im Sinne der WHO verstanden als das vollständige geistige, soziale und körperliche Wohlergehen der Menschen. Gesundheitsförderung und Prävention müssen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Gesunde Lebensbedingungen sind in allen Lebensbereichen in Betrieb, Stadtteil, Schule, oder Wohnen zu schaffen, statt Kampagnen zu individuellem Gesundheitsverhalten zu initiieren. Ziele müssen sein, Armut und soziale Ungleichheit zu bekämpfen, die Ressourcen der Menschen zu stärken und sie zu beteiligen. Menschen können ihr Gesundheitspotential nur dann weitestgehend entfalten, wenn sie auf die Bedingungen, die ihre Gesundheit beeinflussen, auch Einfluss nehmen können.

 

linksfraktion.de, 20. März 2015