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Bergbau an der Saar - am Ende?

Periodika,

Nach dem schweren Grubenbeben im Februar 2008 steht der Steinkohlebergbau im Saarland vor dem Aus. 10000 Arbeitsplätze sind bedroht.

»Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt…« Unter den Klängen des Steigermarsches, der heimlichen Landeshymne des Saarlandes, betritt Oskar Lafontaine an einem späten Nachmittag Anfang Mai die Werkstatt auf dem Gelände der »Industriekultur Saar« in Göttelborn. Dicht gedrängt applaudieren ihm etwa 200 Menschen, die hören möchten, was der Partei- und Fraktionsvorsitzende der LINKEN und langjährige Ministerpräsident des Saarlandes auf dem ehemaligen Grubenareal - heute ein Freilichtmuseum - ihnen sagen will. Überragt wird das Gelände vom ehemals höchsten Förderturm Europas, dem Schacht IV, im Volksmund liebevoll »Weißer Riese« genannt.

»Wir befinden uns hier an einem traditionellen Ort«, erinnert Oskar Lafontaine, »der eng verbunden ist mit der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Saarlandes. Und es macht mich traurig, dass die Tradition unseres Landes zu Ende geht.« Er sei zornig darüber, dass sich der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) an die Spitze der Bergbaugegner gestellt habe und nicht wisse, wie man 5000 Arbeitsplätze im Bergbau und etwa 5000 Arbeitsplätze aus der Bergbauzulieferindustrie retten könne. Jetzt sollen saarländische Bergleute ins nordrhein-westfälische Ibbenbüren geschickt werden. »Ich will meinen Ehrgeiz einsetzen, dass die Bergleute nicht dorthin müssen«, ruft er den Zuhörern zu. »Lieber schicken wir den Müller nach Ibbenbüren.« Tosender Applaus.

Die Türen des Saales sind offen, die Rede Oskar Lafontaines wird mit einem Lautsprecher nach draußen übertragen. Es ist ein warmer Frühlingstag - an einem Grillstand steht Karl-Heinz Mohr und hört dem bekanntesten Politiker des Saarlandes zu. Er ist seit 1983 Bergmann und hat 16 Jahre lang unter Tage gearbeitet. Bis Oktober 1999, ein Monat, den er nie vergessen wird. »Mein Freund hatte einen tödlichen Unfall in der Grube, das war ein Schock für mich«, spricht er leise. »Ich konnte unten nicht mehr schaffen.« Die Ruhrkohle AG (RAG) habe ihm dann einen neuen Arbeitsplatz als Maschinenführer zur Verfügung gestellt. »Dabei war ich so gerne Bergmann. Es war mein Traumberuf.«

Das stolze Symbol der Zukunft - der Weiße Riese

Die Grube Göttelborn wurde 1887 eröffnet, war einer der wichtigsten saarländischen Grubenstandorte und wurde stetig modernisiert. Im Jahr 1951 arbeiteten dort über 4300 Menschen, man förderte fast zwei Millionen Tonnen Koh-le. Am 15. Januar 1990 begann der Bau des höchsten Bergbauförderturms weltweit: 90 Meter ragt er nun stolz weithin sichtbar in die Höhe. Hier sollte die gesamte Rohkohle gehoben werden, aber er wurde auch konzipiert, um als zentraler Seilfahrtsschacht zur Personenbeförderung, als Versorgungsschacht für Material und als Frischwetterschacht genutzt zu werden. Viereinhalb Jahre später, im Oktober 1994, feierte man die Fertigstellung des Fördergerüstes. Die Konstruktion ist eine bauliche und handwerkliche Glanzleistung, teilweise mussten mit Hilfe eines Spezialkrans die knapp 110 Tonnen schweren Stahlträger aufgestellt werden. Die Göttelborner sind stolz auf ihr neues Wahrzeichen, auf ihren »Weißen Riesen«.

Karl-Heinz Mohr blickt auf den Boden und erinnert sich. »Wir waren sieben Kinder zu Hause, hatten nie viel Geld. Ich wollte endlich selber etwas verdienen und kam 1983 zur »Grub«. Das war das Beste, was einem passieren konnte«, schwärmt er. Man habe gut verdient, der Job sei gesichert gewesen, und diese Kameradschaft, die er erleben durfte, gebe es in keinem anderen Beruf. »Drei Jahre Lehre, dann hatte ich den Hauerschein. So nennen wir den Facharbei-terbrief.« Knapp 1000 Auszubildende seien jährlich eingestellt worden. Das Geschäft lief gut. Bis zum Jahr 2000.

Der Schock - eine
gesamte Region erstarrt

»Ich werde das Datum nie vergessen. Am 1. September haben wir hier in Göttelborn die letzte Kohle gefördert.« Sinkende Kohlesubventionen zerschmetterten abrupt den Traum von einem Ort der Zukunft. Tausende Arbeitsplätze gingen verloren. »Ich wurde damals von Göttelborn nach Ensdorf verlegt«, sagt Mohr. »Die Arbeitsbedingungen dort waren brutal.« In Göttelborn war es knapp tausend Meter unter Tage nass und kalt, in Ensdorf dagegen ist es drückend heiß. Ende 2006 arbeiten in Deutschland noch acht Zechen, davon nur noch eine im Saarland: in Ensdorf.

Im Januar 2007 hat die Bundesregierung gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen und dem Saarland das Ende des deutschen Steinkohlebergbaus bis zum Jahr 2018 beschlossen. Es sollte anders kommen. Am 24. Februar 2008 wurde das Saarland durch das bisher schwerste Erdbeben erschüttert, das jemals durch den Bergbau ausgelöst wurde. Menschen blieben wie durch ein Wunder unverletzt, es entstand jedoch Sachschaden in unbekannter Höhe. Eine Region stand unter Schock. Der Kohleabbau wurde vorerst gestoppt, 3600 Bergleute zunächst freigestellt. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) fordert eilfertig den Ausstieg aus der Steinkohleförderung. Drei Wochen später hat man sich auf ein Ende des Bergbaus im Saarland im Jahr 2012 verständigt. Knapp fünftausend Bergleute bangen genauso um ihren Job, wie weitere Fünftausend aus der Zulieferindustrie. Bis zum Jahr 2012 will die RAG stattdessen in einem anderen Flöz Kohle fördern. Dann soll endgültig Schluss sein. Tausende Bergleute demonstrieren vor dem saarländischen Landtag - vergebens. 2200 von ihnen werden in Rente gehen, 500 müssen sich einen neuen Job suchen, 400 sollen über ein Kooperations-Modell vermittelt werden. Das heißt, sie werden zunächst ein halbes Jahr befristet bei dem neuen Unternehmen arbeiten, aber weiterhin bei der RAG beschäftigt sein. Dann folgt ein Jahres-Zeitvertrag, wobei die neue Firma zum offiziellen Arbeitgeber wird. Im Anschluss daran soll es zu einer unbefristeten Beschäftigung kommen. Die Betonung liegt auf dem Wörtchen »soll«. 1700 Saar-Bergleute werden im nordrhein-westfälischen Bergwerk Ibbenbüren beschäftigt sein. Einer von ihnen ist Karl-Heinz Mohr.

Ibbenbüren das Schreckgespenst
der Saarbergleute

»Ich habe das im vergangenen Jahr erfahren. Es kann mir passieren, dass ich schon bald nach Ibbenbüren muss«, befürchtet er. »Meine Frau geht nicht mit, unser Sohn hat nämlich in Saarbrücken nach 300 Bewerbungen seinen erträumten Ausbildungsplatz ergattert: als Landschaftsgärtner bei der Stadt Saarbrücken.« Und die 12-jährige Tochter solle nicht aus ihrem Lebensumfeld gerissen werden. »Unsere Ehe wird wohl eine Wochenendbeziehung werden.« Und klar, viele betroffene Bergleute hätten Angst, dass ihre Ehen in die Brüche gehen. »Man schwätzt nicht drüber, das Thema wird unter den Tisch gekehrt.«

Als am 4. Dezember 2008 der 42-Jährige wie 232 andere Saar-Bergleute am traditionellen Barbaratag - die heilige Barbara gilt als Schutzpatronin der Bergleute - für sein 25-jähriges Arbeitsleben vom CDU-Ministerpräsidenten Peter Müller geehrt werden soll, verweigert Karl-Heinz Mohr den Handschlag. »Wer mir das Brot nimmt, dem gebe ich doch nicht die Hand!«, erklärt er. Viele seiner Kollegen taten das gleiche. »Ich interessiere mich nicht für Politik und habe heute den Oskar zum ersten Mal gehört. Mit den Linken wusste ich nix anzufangen. Was der gesagt hat, war einfach super.«