Zum Hauptinhalt springen

Beckstein ahnte braune Motive

Im Wortlaut,

Ex-Innenminister vor dem Untersuchungsausschuss zum NSU-Terrorismus

Von René Heilig

Gestern traf sich der Bundestags-Untersuchungsausschuss zur rechtsextremistischen NSU-Mordserie zur 17. Sitzung. Kernfrage: Wer hat warum bei den Ermittlungen so kläglich versagt? Mit dem Zeugen Dr. Günther Beckstein (CSU), damals Innenminister Bayerns, näherte man sich der politischen Verantwortungsebene.

16 gut gefüllte Aktenordner hat die Bayerische Landesregierung dem Berliner Untersuchungsausschuss übermittelt. Die Sammlung beginnt mit einer Seite der »Nürnberger Nachrichten« vom 12. September 2000. Berichtet wird über den Mord an dem Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek, der am 9. September erschossen worden war. Motiv unklar.

Am linken Zeitungsrand ist zu lesen: »In meiner Nachbarschaft!« Über dem Artikel ist notiert: »IC: Bitte mir genau berichten. Ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?« Geschrieben hat das Günther Beckstein, Bayerns Innenminister, der bei Simsek ab und an wohl Blumen gekauft hatte.

Mit dem Vermerk »eilt« weist ein Kriminaloberkommissar der zuständigen Direktion Nürnberg Ende September darauf hin, »dass derzeit keine Anhaltspunkte für einen ausländerfeindlichen Hintergrund der Tat vorliegen«. Doch auch kein anderes Motiv ist erkennbar. Raubmord scheidet mit Sicherheit aus, da man beim Opfer 7000 D-Mark gefunden hat. Da zwei Waffen verwendet wurden – eine, so fanden Experten des Bundeskriminalamtes heraus, war eine Ceska 7,65 Millimeter – gingen die Ermittler von zwei Tätern aus. Daher, so schrieb ein Kriminaloberrat, »könnte das Motiv im persönlichen oder geschäftlichen Umfeld zu suchen sein«. Diese Informationen leitete das Dezernat IC5, das für Polizeiangelegenheiten zuständig ist, an die Ministeriumsspitze weiter.

Wie unbedacht! Denn der Innenminister, der nicht zu jenen Unionspolitikern gehörte, die Rechtsterrorismus als Fiktion abtaten, hatte den richtigen »Riecher«. Der Mord an dem türkischen Blumenhändler Simsek war der (vermutlich) erste, den die sogenannte Zwickauer Zelle des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) verübte. Als Opfer folgten sieben Landleute, ein griechischer Kleinhändler und eine Polizistin.

Noch mehrmals fragte Beckstein nach möglichen politischen Hintergründen der Mordserie. Doch obwohl die Spuren, denen man in die Organisierte Kriminalität folgte, im Nichts endeten, ließ man rechtsextremistische Mordmotive weitgehend unbeachtet.

Mag sein, dass Kriminalpolizisten so »betriebsblind« sind. Doch was ist mit dem Verfassungsschutz? Wie aktiv Rechtsextremisten damals gerade im südlichsten Freistaat agierten, war weithin bekannt. Die »Wehrsportgruppe Hoffmann« füllte Zeitungsseiten und wurde mit dem noch immer nicht geklärten Anschlag auf das Oktoberfest 1980 in Verbindung gebracht. Ende 2001 wurde aus den Splittergruppen – da waren schon drei weitere Morde in der NSU-Serie verübt worden – die »Kameradschaft Süd« gegründet.

Unter ihrem Chef Martin Wiese plante die Politgang 2003 einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Kulturzentrums am Münchner Sankt-Jakobs-Platz. Wiese wurde mit acht Spießgesellen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Planung eines Sprengstoffanschlags verurteilt. Die »Kameradschaft Süd« wurde verboten. Beckstein sprach damals von einer »Braunen Armee Fraktion«.

Bevor Beckstein gestern als Zeuge aussagte, war der zuständige bayerische Verfassungsschützer Edgar Hegler geladen. Er könne nicht so genau sagen, ob es einen Hinweis oder einen Auftrag aus dem Innenministerium gegeben habe, sicher sei er jedoch, dass man spätestens seit dem zweiten Mord »die eigenen Zugänge in die rechtsextremistische Szene« genutzt habe, um zu ergründen, ob die Morde möglicherweise politisch motiviert sind.

Man kann Beckstein sicher nicht unterstellen, dass er sich als oberster Dienstherr nicht um den Fortgang der Ermittlungen gekümmert hätte. Immer wieder hat er nach dem Stand der Nachforschungen gefragt, eigene Fragen in die Ermittlungen eingebracht und darauf gedrungen, in alle Richtungen zu ermitteln. Auch in Richtung Rechtsextremismus.

Doch so sehr Beckstein als Minister Ermittlungen in alle Richtungen gefordert hat, so sehr betonte er gestern, dass es einfach keine Chance gegeben hätte, den rechtsextremistischen Tätern auf die Spur zu kommen.

neues deutschland, 25. Mai 2012