Zum Hauptinhalt springen

"Barack Obama ist nicht Gott"

Im Wortlaut von Wolfgang Neskovic,

US-Drohnenkrieg in Pakistan

SPIEGEL ONLINE: Im Oktober 2010 sind erstmals auch drei Islamisten aus Deutschland durch US- Drohnen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet getötet worden. Mindestens einer von ihnen war deutscher Staatsangehöriger. Hat die Bundesregierung alles getan, um hierüber ausreichend zu informieren?

Neskovic: Nein. Im Gegenteil. Sie hat alles unternommen, den Sachverhalt zu verschleiern und hat dabei sogar das Informationsrecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages verletzt. Wenn deutsche Staatsbürger im Ausland hingerichtet werden, und anders kann man die gezielten Tötungen durch die USA nicht nennen, muss die Bundesregierung sowohl die Öffentlichkeit als auch das Parlament hierüber umfassend unterrichten. Bisher hat sich die Regierung jedoch nicht einmal überzeugend dazu geäußert, ob sie an dieser Hinrichtungsaktion – in welcher Form auch immer – beteiligt war.

Wieso glauben Sie, dass die Regierung mehr Informationen hat?

Die Regierung hat uns Parlamentariern bei mehrfachen Nachfragen immer wieder erklärt, sie habe keine "belastbaren Informationen" über die Toten. Bei der angeblich vorzüglichen und immer wieder gepriesenen Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes und der amerikanischen Geheimdienste erscheint es allerdings nicht im Ansatz glaubhaft, wenn die Regierung erklärt: "Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts."

Was muss die Regierung aus ihrer Sicht tun?

Zuerst einmal brauchen wir als Bundestag alle wichtigen Informationen über den Fall. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob es sich bei den Getöteten tatsächlich um Terroristen handelte. Vielmehr muss der tödliche Drohnenangriff strafrechtlich und politisch vollständig aufgearbeitet werden. Die USA müssen Stellung beziehen, ob sie tatsächlich die aus Deutschland stammenden Personen getötet haben. Dabei muss für die Bundesregierung klar sein: Sie darf solche Angriffe auf deutsche Staatsbürger weder akzeptieren, noch befördern. Dazu muss auch die Frage geklärt werden, ob deutsche Stellen im Vorfeld hierzu Informationen an die USA geliefert haben.

Wie meinen sie das?

Die Deutschen machen sich bei Hinrichtungsaktionen der USA mitschuldig, wenn sie im Wissen um die geplanten Tötungen weiterhin bei der Zusammenarbeit der Fahnder Informationen über deutsche Islamisten zum Beispiel an die USA liefern. Das kann nicht nur politische, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen haben.

Die Problematik ist bekannt, die Bundeswehr hat dafür eine Lösung gefunden: So werden Personen in Afghanistan nur mit dem Verweis, dass sie lediglich gefangen genommen und nicht getötet werden sollen, auf Ziellisten der Nato vermerkt.

Das bisherige Vorgehen der USA zeigt, dass sie sich nicht an solche Hinweise halten. Deutschen Stellen dürfen deshalb auch keine Benennungen vornehmen, die nur auf eine Festnahme zielen. Angesichts des Verhaltens der USA verfolgt der Festnahme-Hinweis in den Ziellisten lediglich das untaugliche Ziel, sich rechtlich ein Alibi zu verschaffen.

Wie beurteilen Sie den Drohnenkrieg der USA in Pakistan juristisch?

Solche Angriffe geschehen im rechtsfreien Raum. Das Völkerrecht enthält keine Rechtsgrundlage für die Tötung vermeintlicher Terroristen außerhalb einer Gefechtssituation. Bei Pakistan hat zudem kein Land des Westens bislang offiziell verlautbart, dass es sich um ein Kriegsgebiet oder um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts handelt. US-Präsident Barack Obama ist nicht Gott, der frei über Leben und Tod entscheiden kann. Er führt sich jedoch wie ein alttestamentarischer Gott auf, der mit Feuer und Schwefel nach eigenem Gutdünken Menschen tötet.

Unzweifelhaft ist Waziristan ein wahrerer Tummelplatz für Terroristen von al-Qaida, der Taliban und anderen Gruppen. Was wäre im Kampf gegen diese Personen die rechtsstaatliche Alternative zu den gezielten Angriffen aus der Luft?

Gezielte Tötungen von vermeintlichen Terroristen gleichen einem Todesurteil ohne Gerichtsverfahren. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist nach deutschem Recht ein Straftatbestand, der mit hohen Freiheitsstrafen belegt wird, nicht jedoch mit der Todesstrafe. Die Todesstrafe ist nach unserem Grundgesetz abgeschafft. Kein Geheimdienst hat die Lizenz zum Töten. Zivilisten, die einer Straftat verdächtig sind, werden verhaftet, von einem Anwalt vertreten, vor Gericht gestellt und gegebenenfalls schuldig gesprochen.

Warum halten die USA sich nicht an solche rechtsstaatlichen Grundsätze?

 Amerikanische Allmachtphantasien hindern sie an der Wahrnehmung rechtsstaatlicher Grundsätze. Allerdings hat eine Anhörung in einem amerikanischen Kongressausschuss unlängst rechtsstaatliche Skrupel reanimiert. Dabei fiel zum Beispiel die Widersinnigkeit auf, dass die Geheimdienste erst eine Gerichtsanordnung erwirken müssen, um Telefonanrufe von vermeintlichen Terroristen abhören zu dürfen, aber keinerlei Rechtsprüfung notwendig sein soll, um sie zu töten. Außerdem ist bei der Anhörung deutlich geworden, dass das behauptete Recht auf gezielte Tötungen auch Nachteile für die amerikanische Sicherheit haben kann.

Welche wären das?

Regierungstreue Rechtsexperten der Obama-Regierung sind der Auffassung, dass die USA überall auf der Welt das Recht hätten, Menschen, die sie für Terroristen halten, gezielt zu töten. Dieses vermeintliche Recht könnten dann auch andere Staaten für sich in Anspruch nehmen. Die Folge wäre: Der Globus würde zur allgemeinen Kampfzone. Wenn man das zu Ende denkt, kommt man zu aberwitzigen Szenarien: Amerikanische Drohnen über dem Brandenburger Tor, nordkoreanische Drohnen über Washington.

Die Regierung Obama argumentiert mit ihren Sicherheitsinteressen, die wichtiger seien als rechtliche Zweifel.

Wenn Staaten, die sich vom Terror bedroht sehen, sich das Recht herausnehmen, weltweit auf Verdächtige zu schießen, lösen sich nicht nur die Grenzen des Rechts, sondern auch die Grenzen der Staaten auf. Kein Gericht kann mehr überprüfen, was über Tod und Leben der Bürger entscheidet. Ob einer sterben muss, entscheidet in vertrauter Heimlichkeit die "Internationale der Geheimdienste".

Die USA werden ihren Drohnenkrieg trotz aller Kritik wohl dennoch fortführen.

Das mag sein, doch insbesondere juristischer Gegendruck kann sich neben dem politischen immer auszahlen. Die Ermittlungen der italienischen Justiz wegen Kidnapping haben die CIA bei Verschleppungen merklich zurückhaltender werden lassen. Deshalb muss auch die deutsche Justiz endlich ihre rechtsstaatlichen Zähne zeigen und den Fall zügig aufklären. Soweit die Bundesanwaltschaft zuständig ist, trägt hierfür die liberale Justizministerin die politische Verantwortung.

Das Interview führten Matthias Gebauer und John Goetz

Spiegel Online, 3. Dezember 2010