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Nahaufnahme einer Hand eines Rollstuhlfahrers © iStockphoto.com/Minerva Studio

Ausgrenzung stoppen!

Nachricht von Katrin Werner,

Kleine Anfrage zum Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigung und den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf

 

Im Januar 2017 verabschiedete das Bundeskabinett den „Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen 2016“ [Drs. 18/10940, PDF]. In diesem wird die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen in unterschiedlichen Lebensbereichen dargestellt. Zusammengefasst kommt der Bericht zu folgendem Ergebnis: Es existieren immer noch deutlich ungleiche Bildungschancen. Die Auswirkungen davon auf die Teilhabechancen in anderen Lebensbereichen, wie z.B. dem der Arbeit sind verheerend. So ist die Arbeitslosenquote in Bezug auf Menschen mit anerkannten Schwerbehinderungen zwar seit dem Jahr 2008 um 1,3 Prozent auf 13,4 Prozent im Jahr 2015 gesunken, sie liegt im Jahr 2015 jedoch mit 5 Prozentpunkten Abstand deutlich über der allgemeinen Arbeitslosenquote.

Eines der erschreckendsten Ergebnisse des Teilhabeberichts 2016 ist das hohe Armutsrisiko von Menschen mit Beeinträchtigungen, das mit 20 Prozent im Jahr 2013 deutlich höher ist, als das von Menschen ohne Beeinträchtigungen (13,4 Prozent). 

Bezüglich der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der Gesundheitsversorgung für Menschen mit Beeinträchtigung stellt der Bericht einige Mängel fest: Nur 21 Prozent der Praxen sind ebenerdig oder mit einem Aufzug erreichbar. Lediglich drei Prozent verfügen über eine barrierefreie Toilette und nur ein Prozent der Praxen hat Orientierungshilfen für Menschen mit Sehbehinderungen installiert. Barrierefreie hausärztliche Praxen sind in Deutschland nicht flächendeckend wohnortnah erreichbar. Insbesondere in ländlichen Gebieten ist in einem Radius von 20 km häufig keine oder nur eine barrierefreie Praxis erreichbar. 

Menschen mit Beeinträchtigungen sind häufiger von personeller und institutioneller Gewalt betroffen als Menschen ohne Beeinträchtigungen. Besonders Mädchen und Frauen mit Beeinträchtigungen sind im Vergleich zur weiblichen Durchschnittsbevölkerung deutlich häufiger von schwerer körperlicher und sexualisierter Gewalt betroffen.

Leider verfügt der Teilhabebericht über keine Informationen, inwieweit Menschen mit Beeinträchtigungen ihren Wohnort selbstbestimmt wählen können. Dies ist nicht nur in Hinblick auf Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), in dem das Recht auf selbstbestimmte Wahl des Wohnortes festgeschrieben ist, sondern auch hinsichtlich des kürzlich vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Bundesteilhabegesetzes (BTHG) eine kritische Erkenntnislücke.

Katrin Werner, behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, wollte nun in einer Kleinen Anfrage Auskunft von der Bundesregierung zu deren politischer Einschätzung und zu Konsequenzen. Zur Antwort der Bundesregierung erklärt sie:

“Das enorm gestiegene Armutsrisiko von Menschen mit Behinderungen ist sehr besorgniserregend. Die Bundesregierung verharmlost diese Entwicklung indem sie in der Kleinen Anfrage darauf hinweist, dass aus der Größe des Armutsrisikos keine Rückschlüsse auf individuelle Bedürftigkeit gezogen werden könnten. Menschen mit Beeinträchtigungen sind jedoch aufgrund ihrer finanziellen Lage in vielen Lebensbereichen ausgeschlossen und ausgegrenzt. Diese Entwicklung muss gestoppt werden, statt sie schönzureden.

Das Problem liegt hier viel tiefer. Menschen mit Behinderungen sind häufig vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, weil dieser nicht inklusiv und barrierefrei gestaltet ist. Sie haben zudem schlechtere Chancen auf eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt, weil sie häufiger von guter Bildung ausgeschlossen sind und daher schlechtere Bildungsabschlüsse haben. Wir müssen also endlich einen inklusiven Arbeitsmarkt und ein inklusives Bildungssystem schaffen in dem alle von Anfang an gemeinsam und voneinander lernen. Nur so  wird das Armutsrisiko zu verringern sein.

Die Zahl der Menschen in stationären Einrichtungen ist mit fast 200.000 besorgniserregend hoch. Solange es gesetzlich möglich ist, Menschen aus Kostengründen in Heime zu stecken wird sich daran nichts ändern. Diese Möglichkeit muss abgeschafft werden, um das Selbstbestimmungsrecht der Menschen zu wahren. Es muss vielmehr darum gehen, diese Zahl zu senken und andere Formen des Wohnens zu fördern und zu entwickeln.

2013 waren 8 Prozent der freiheitsentziehenden Maßnahmen, die in stationären Einrichtungen durchgeführt wurden, nicht genehmigt. Die Bundesregierung sieht darin kein großes Problem, da in der überwiegenden Zahl der Fälle die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden. Die Zahl ist erschreckend und hier muss dringend gehandelt werden. 

Es ist auch erstaunlich, wie die Bundesregierung konsequent menschenrechtliche Verpflichtungen und die Kritik und Empfehlungen des zuständigen UN-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen bezüglich des Betreuungsrechts ignoriert. Es ist zu begrüßen, dass zwei Studien in Auftrag gegeben werden, um einen möglichen Überarbeitungsbedarf zu prüfen. Leider ist angesichts der Auffassung der Regierung, dass das geltende Betreuungsrecht ein System unterstützender Entscheidungsfindung gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention darstelle und somit mit dieser vereinbar sei, nur mit geringen Anpassungen zu rechnen. Der UN-Ausschuss nimmt eine völlig gegenteilige Haltung ein und kritisiert eine Unvereinbarkeit des Instruments der rechtlichen Betreuung mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Es wird endlich Zeit, alle Formen der ersetzenden Entscheidung abzuschaffen und ein System der unterstützten Entscheidung zu errichten. 

Auch ist die Regierung weiterhin nicht bereit einzusehen, dass eine Verpflichtung privater Anbieter und Unternehmen zur Barrierefreiheit die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen an Tourismus, Kultur, Freizeit, Sport und Gesundheit verbessern kann. Anstatt unserer Forderung „Private zur Barrierefreiheit verpflichten“ zu unterstützen, lehnt die Regierung dies weiterhin ab. Stattdessen setzt sie ausschließlich auf Engagement und die Bereitschaft der Akteure. Das ist richtig und gut, reicht aber bei weitem nicht aus.

Auch bei den Maßnahmen zur Erhöhung der Wahlbeteiligung von Menschen mit Beeinträchtigung sieht es nicht viel besser aus. Anstatt alle Wahlräume in Deutschland barrierefrei zu gestalten, werden Wähler mit Beeinträchtigung bei nicht zugänglichen Wahllokalen auf die Briefwahl aufmerksam gemacht. Die Regierung hat sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können.”