Ein Kommentar von Alexander Ulrich, Mitglied des Deutschen Bundestages Fraktion DIE LINKE und Obmann im EU-Ausschuss des Bundestages
In Berlin haben sich die Parteispitzen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen auf einen Kompromiß geeinigt. Die Regierung wollte den Europäischen Fiskalpakt unbedingt noch vor der Sommerpause durch das Parlament pauken. Nachdem auch der Länderrat von Bündnis 90/Die Grünen zugestimmt hat und mit den Bundesländern ein Deal eingetütet wurde, dürfte das bei der Abstimmung am Freitag (29. Juni) voraussichtlich gelingen. Der Weg dorthin war mühsam. Die Regierung braucht im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit und ist deswegen auf Stimmen der Opposition angewiesen. SPD und Grüne haben nichts dagegen, hier behilflich zu sein. Allerdings, so heißt es, wollte man keine reine Sparpolitik akzeptieren. Stattdessen sollten auch Wachstumsimpulse gesetzt und die Einnahmen der Staaten erhöht werden. Entsprechende Zugeständnisse seitens der Regierung wollte man im Kuhhandel gegen die Stimmen für den Fiskalpakt durchsetzten. Diese Strategie hatte von Anfang an einen Haken. SPD und Grüne haben zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Erwägung gezogen, den Pakt abzulehnen. Eine solche Möglichkeit wird von den Parteispitzen – vollkommen unabhängig von seinen Inhalten – als antieuropäisch interpretiert. Und da man proeuropäisch ist, stand die Zustimmung nie ernsthaft in Frage. Zumindest so lange man in den Verhandlungen sein Gesicht einigermaßen wahren konnte. Das wusste und weiß natürlich auch die Regierung. Deswegen ging es weniger um Zugeständnisse, sondern darum, SPD und Grüne mit erhobenem Haupt aus dem Verhandlungsraum schreiten zu lassen. Eine solche Lösung wurde nun gefunden: Die Regierung erneuert ihr Lippenbekenntnis zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer und sagt zu, dies auch zu wollen, wenn nicht die ganze EU mitmacht. Zudem gibt es ein paar Beschlüsse, die man als Wachstumsimpulse verkaufen kann. Im Wesentlichen hat die Regierung zugesagt, sich dafür einzusetzen, dass ohnehin vorhandene EU-Gelder für Investitionen in Wachstum und Beschäftigung effizienter eingesetzt werden sollen. Zusätzliche Mittel soll es nur in sehr geringem Umfang geben. Abgerundet wird das Ganze durch ein sogenanntes Sofortprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Enthalten sind vor allem ein paar Zugeständnisse. So will sich die Bundesregierung in der EU für dieses und jenes einsetzten, es brauche zudem bessere Anreize für Unternehmen, Jugendliche auszubilden. Insgesamt ist der »Verhandlungserfolg« von SPD und Grünen das, was zu erwarten war – ein schlechter Witz.
Die Argumentationslogik beider Oppositionsparteien ist dabei genauso fragwürdig wie die Strategie. Eine Zustimmung zum Fiskalpakt ist nicht proeuropäisch. Der Pakt bedeutet einen heftigen Angriff auf soziale Rechte in ganz Europa. 25 von 27 Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, würden damit zu weitreichenden Ausgabenkürzungen gezwungen werden. Das bedeutet Sozialabbau mit Verfassungsrang. Was aber ist an einem solchen Vertragswerk proeuropäisch, das die Lebensbedingungen der Menschen europaweit nachhaltig verschlechtert? DIE LINKE ist die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die den Fiskalpakt konsequent ablehnt. Das ist nicht der Fall, weil wir die Punkte, die SPD und Grüne in die Debatte eingebracht haben, für unwichtig halten. Natürlich wollen wir eine Besteuerung der Finanzmärkte, eine wachstumsorientierte Krisenpolitik und eine Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit. Aber selbst wenn auf diesen wichtigen Politikfeldern ernsthafte Maßnahmen in einem Kuhhandel gegen die Zustimmung zum Fiskalpakt durchgesetzt werden könnten, würden wir uns darauf nicht einlassen. Die Demokratie ist unverkäuflich. Sie kann nicht zum Gegenstand politischer Verhandlungen gemacht werden. Genau das ist aber in den Verhandlungen zwischen den anderen im Bundestag vertretenen Parteien geschehen, denn der Fiskalpakt bedeutet eine weitreichende Beschneidung der Rechte der Parlamente in Europa.
Die Europäische Kommission würde befugt werden, gegenüber Ländern, die gegen die Schuldenkriterien verstoßen, also nach aktuellem Stand 25 von 27, konkrete wirtschafts- und sozialpolitische Vorgaben zu machen und diese mit finanziellen Sanktionierungsrechten durchzusetzen. Wesentliche Politikfelder würden zumindest teilweise dem demokratischen Prozeß entzogen werden. Und zwar dauerhaft, denn der Pakt impliziert eine Art »Ewigkeitsklausel«. Das ist antidemokratisch und zumindest im Sinne eines demokratischen, sozialen Europas auch antieuropäisch. SPD und Grüne haben seit Hartz IV und Agenda 2010 offenbar wenig gelernt. Mit ihrer Zustimmung zum Fiskalpakt verabschieden sie sich endgültig von der Idee einer sozialen EU und einer Politik im Interesse der Menschen. DIE LINKE wird weiter gegen den Fiskalpakt kämpfen. Er markiert einen Angriff auf soziale und demokratische Rechte und ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Deswegen wird die Partei Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben. Quelle: junge Welt, 27. Juni 2012