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Gerhard Trabert © picture alliance/dpa|Boris RoesslerFoto: picture alliance/dpa|Boris Roessler

»Armut wird einfach zu wenig gesehen«

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Am 13. Februar tritt die 17. Bundesversammlung zusammen, um den Bundespräsidenten zu wählen. Der amtierende Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bewirbt sich um eine zweite Amtszeit. Während SPD, FDP, Grüne und CDU/CSU seine Kandidatur unterstützen, wollen die Fraktion und die Partei DIE LINKE eine soziale Alternative bieten und haben einen Gegenkandidaten aufgestellt, der für mehr soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität wirbt.

Gerhard Trabert ist parteilos und Professor für Sozialmedizin. Er versorgt u. a. mit seinem Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ obdachlose und nicht krankenversicherte Menschen. Im Gespräch mit Sandy Stachel, der stellvertretenden Pressesprecherin der Fraktion, erzählt der engagierte Allgemein- und Notfallmediziner, wie er seine Kandidatur dazu nutzen möchte, insbesondere die drängenden Themen soziale Gerechtigkeit und die Bekämpfung von Armut mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

„Ein Bundespräsident ist der Vertreter der Bevölkerung und muss insbesondere ein Vertreter der Menschen sein, die hier am Rande und ausgegrenzt leben“, erklärt Trabert. „Ich sehe die Kandidatur als Chance, das Thema soziale Ungleichheit, für das ich seit 30 Jahren stehe, in die politische und öffentliche Diskussion zu bringen. Ich möchte in den Fokus rücken, dass es in unserer Gesellschaft zunehmend Armut gibt und diese nicht wirklich bekämpft, sondern eher Reichtum stabilisiert und gemehrt wird.“

„Die Bundesregierung hat auf die Corona-Pandemie nicht ausreichend reagiert“

Er habe das Angebot der LINKEN mit sehr viel Demut entgegengenommen, berichtet er. Sollte er gewählte werden, würde er wesentlich intensiver den Kontakt zu von Armut betroffenen Menschen suchen als der amtierende Bundespräsident: „Ich würde von Ausgrenzung und Armut betroffene Menschen zu mir einladen und von ihnen als die Kompetenten für ihre Lebenssituation erfahren wollen, was dringend geändert werden muss.“

Die Bundesregierung habe auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie für arme Menschen nicht ausreichend reagiert, sagt er: „Alle Wohlfahrtsverbände und die nationale Armutskonferenz haben gefordert, dass von Einkommensarmut betroffene Menschen pro Monat 100 Euro mehr bekommen müssen, um all die neuen Herausforderungen kompensieren zu können, das ist nicht geschehen. Mehr als 40 Prozent aller Alleinerziehenden, in aller Regel Mütter, sind von Einkommensarmut betroffen. Wenn man sich vergegenwärtigt, was es auch für sie bedeutet, wenn der Kindergarten, der Kinderhort oder die Schule geschlossen war, und die- oder derjenige dann noch arbeiten wollte – all das hat man nicht berücksichtigt. Und das ist wieder kennzeichnend für die Politik in meinen Augen: Armut wird einfach zu wenig gesehen und entsprechend strukturell agiert, um die Situation der Menschen zu verbessern.“

„Ich bekomme durch die Arbeit auch viel geschenkt“

Der Allgemein- und Notfallmediziner berichtet auch von seiner Arbeit mit seinem Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“, mit dem er obdachlose und nicht krankenversicherte Menschen vor Ort aufsucht und versorgt: „Wohnungslose Menschen sind die Spitze des Armutseisberges in dieser Gesellschaft und da wollte ich etwas entgegensetzen. Die Corona-Pandemie war für wohnungslose Menschen wirklich eine Katastrophe. Sie konnten ja nicht in ihr Zuhause gehen, denn sie haben kein Zuhause. Dann wurden teilweise in den Kommunen die öffentlichen Toiletten zugeschlossen, sodass sie keinen Zugang mehr zu Toiletten und Wasser hatten. Auch Teestuben und Tafeln hatten geschlossen. Und wir haben versucht, die Versorgung aufrechtzuerhalten. Die Menschen haben uns das auch immer wieder gespiegelt: Danke, dass ihr für uns weiter da seid. Denn scheinbar werden wir vergessen.“

Gerhard Trabert betont, sein engagierter Einsatz für Obdachlose und Menschen auf der Flucht sei für ihn aber nicht nur ein Geben. „Ich bekomme durch die Arbeit und diese authentische Form der Begegnung auch viel geschenkt“, berichtet er und freut sich schon auf die Zeit nach der Präsidentschaftswahl, wenn der Medien-Trubel um ihn endet: „Also ich mache das mit Leidenschaft, mit Überzeugung und bin hochmotiviert. Aber ich freue mich auch darauf, wieder in Ruhe ‚Arztmobil‘ zu fahren und mehr Zeit für die Menschen zu haben, die mir so am Herzen liegen. Für Mitte März ist auch eine Reise nach Afghanistan geplant. Die Situation dort ist momentan katastrophal. Viele Kinder hungern, die Gesundheitsversorgung ist nur noch rudimentär vorhanden und da möchten wir unbedingt etwas tun.“