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ARD-Sommerinterview mit Oskar Lafontaine

Im Wortlaut von Oskar Lafontaine,

Kein Politiker sorgte in den letzten Monaten für so viel Gesprächsstoff, für so viele unterschiedliche Urteile über seine Person, kein Politiker spitzt politische Sachverhalte so gnadenlos zu, hat eine neue Partei im Eiltempo auf den dritten Platz in der Parteienlandschaft katapultiert wie Oskar Lafontaine. Seine Positionen sind umstritten, seine Äußerungen oft populistisch. Er kämpft gegen seine alte Partei, dessen Vorsitzender er einmal war, um sich dann Knall auf Fall von ihr zu verabschieden. Doch an Lafontaines Kurs gegen seine alte Partei gibt es jetzt auch erste warnende Stimmen innerhalb der Linken. Was treibt diesen Oskar Lafontaine an? Rache an der SPD oder der ehrliche Wunsch nach linker Politik? Dazu und zu weiteren aktuellen Fragen jetzt Oskar Lafontaine im ARD-Sommerinterview. An der Saarschleife haben Joachim Wagner und Ulrich Deppendorf den Vorsitzenden der Linken getroffen.

Ulrich Deppendorf: Herr Lafontaine, wir stehen hier an dieser wunderschönen Saarschleife - man muss ja auch mal was Positives über das Saarland sagen - vor zehn Jahren hat es hier fast ein kleines Familientreffen gegeben: Gerhard Schröder und Sie, nebst Begleitung - hier ist das Foto - was fühlen und denken Sie, wenn Sie das jetzt heute sehen?

Oskar Lafontaine: Dass die Saarschleife immer noch sehr schön ist und ein wirkliches Bild von unserem Land gibt. Zweitens, dass dieses Familientreffen leider nicht glücklich zu Ende gegangen ist.

Joachim Wagner: Wie zerrüttet ist eigentlich Ihr Verhältnis zur SPD? Sie haben unlängst den Vize-Kanzler Müntefering "Großmaul" genannt und den SPD-Parteivorsitzenden Beck einen "Mann mit intellektuellen Defiziten". Ist das nicht ein bisschen unter der Gürtellinie?

Lafontaine: Nun, ich bin von der SPD jahrelang maßlos beschimpft worden und bei Müntefering war es so, dass er nun zum wiederholten Male gesagt hat, ich würde nicht Verantwortung tragen wollen. Da musste ich ihn doch darauf hinweisen, dass ich viel länger Verantwortung getragen habe in Regierungsämtern als er. Daher dieses etwas harte Wort. Zu Beck habe ich gesagt, dass er ein ratloser Stratege ist. Das ist etwas anderes. Damit meine ich, dass er keinen Weg findet, die SPD aus der jetzigen Situation zu befreien. Er möchte jetzt den Mindestlohn mit der FDP durchsetzen - in Zukunft. Und jeder weiß, dass das ein vergebliches Unterfangen ist.

Wagner: Woher wissen Sie, dass er das mit der FDP durchsetzen wollte?

Lafontaine: Das erklärt er immer wieder.

Wagner: Er denkt über Koalition langfristig nach.

Lafontaine: Ja sicher, aber er will doch den Mindestlohn durchsetzen und mit der CDU kriegt er ihn nicht durch. Also will er ihn jetzt mit der FDP durchsetzen.

Wagner: Ist das ein indirektes Angebot der Linkspartei, das mit ihnen zu machen?

Lafontaine: Wir haben immer wieder gesagt, wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn, wir wollen eine armutsfeste Rente. Wir wollen längeres Arbeitslosengeld und wir wollen die Truppen aus Afghanistan zurückziehen. Und jeder, der bereit ist, mit uns diese politischen Inhalte zu verwirklichen, ist ein denkbarer Partner, auch in einer Regierung.

Deppendorf: Sie werfen der SPD nun vor, die Rentenversicherung zerstört zu haben, die Arbeitslosenversicherung zerstört zu haben und die Krankenversicherung beschädigt zu haben. Jetzt kommen wir mal zur Arbeitslosenversicherung: Dort gibt es im Moment Überschüsse, fast 26 Milliarden. Das passt ja dann doch nicht ganz zusammen mit Ihrem Vorwurf.

Lafontaine: Doch, das passt natürlich zusammen, denn die Arbeitslosenversicherung ist keine Sparbüchse, sondern eine Versicherung für Arbeitnehmer, die arbeitslos werden. Und wenn man älteren Arbeitnehmern nur zwölf Monate Arbeitslosengeld zahlt, dann ist das einfach nicht hinnehmbar. Und das kann man doch jetzt wieder rückgängig machen, nachdem das Geld wieder da ist. Das ist der Vorschlag von uns. Ich will aber einen zweiten Vorschlag machen. Das ist der Vorschlag, wenn man schon Beiträge senkt, dann nur bei den Arbeitnehmern. Denn es ist einer der großen Irrtümer der deutschen Politik, zu glauben, die Lohnnebenkosten seien Geld der Arbeitgeber. Die Arbeitgeber fragen nur, was kostet mich der Mann. Alles, was der zahlt, sind Lohnbestandteile, also auch sein Beitrag zur Arbeitslosenversicherung und zur Krankenversicherung, das sind, wenn man so will, Gelder für die Arbeitnehmer. Und wenn man die senkt, dann gibt es keinen Anlass, was jetzt wiederum leider die Mehrheit des Bundestages will, Milliardengeschenke wieder an Unternehmer zu machen. Man sollte, wenn man das senkt, entweder das Geld den Arbeitslosen geben oder nur und allein den Arbeitnehmern und dann wäre man in Deutschland in einer Situation wie in vielen anderen Ländern: Die Arbeitnehmer hätten niedrigere Beiträge als die Arbeitgeber.

Deppendorf: Herr Lafontaine, glauben Sie wirklich, dass die Arbeitgeber das mitmachen?

Lafontaine: Ja, sind die gefragt, wenn der Bundestag Gesetze macht? Sind wir schon soweit, dass die Arbeitgeber bestimmen, welche Gesetze gemacht werden?

Deppendorf: Herr Lafontaine, Sie wollen ja einen Spitzensteuersatz von 50 Prozent haben.

Lafontaine: Ja, das heißt, wir Drei müssten mehr bezahlen.

Deppendorf: Ja, das kriegen wir vielleicht noch hin.

Lafontaine: Das ist schön. Ja.

Deppendorf: Aber glauben Sie, dass zum Beispiel Unternehmen, mittelständische Unternehmen, hochqualifizierte Leute, das im Zeitalter der Globalisierung noch mitmachen?

Lafontaine: Die vielen Unternehmen, die in Deutschland in dem Einkommensteuertarif sind, die können nicht etwa in New York oder so tätig sein, beispielsweise Friseur oder so, oder auch derjenige, der hier Gebäudereinigung macht, der kann nicht in Tokio tätig sein. Das sind ja alles Betrachtungen, die nicht durchgreifen. Die vielen, die im Einkommensteuertarif sind, sind allerdings überwiegend nicht im Spitzensteuersatz, weil sie Millionen haben, also nicht Gewinne, die also sie in den Spitzensteuersatz führen. Im Übrigen haben wir neulich einen Vorschlag gemacht, der leider nicht gehört wurde: Wir haben gesagt, lasst uns doch den Steuertarif völlig verändern. Wir haben das dem Bundestag vorgeschlagen. Lasst uns doch für Facharbeiter und für Kleinunternehmen die Steuern senken. Die anderen Parteien haben stattdessen den Großunternehmen acht Milliarden geschenkt.

Wagner: Jetzt weichen Sie doch aus. Wir haben Ihnen vorgehalten, 50 Porzent für Spitzenverdiener und zwar ab zu einem versteuernden Einkommen von 60.000 Euro. Das setzt im ganzen Mittelstand an - Sie wollen den ganzen Mittelstand mit 50 Prozent besteuern. Da glauben Sie doch nicht im Ernst, dass wir diesen, sozusagen, die Auswanderung noch aufhalten können.

Deppendorf: Das bedeutet im Endeffekt noch mehr Arbeitslose.

Lafontaine: Nein, wenn Sie mir gestatten zu antworten, es ist falsch, was Sie sagen. Die große Mehrheit der kleinen Betriebe in Deutschland hat nicht einen solchen Gewinn von 60.000 zu versteuernden Einkommen. Die große Mehrheit liegt unter dem Spitzensteuersatz und wäre durch unseren Vorschlag, den wir im Bundestag eingebracht haben, entlastet. Sie können das gerne überprüfen.

Deppendorf: Aber es gibt doch auch einen Wettbewerb von hochqualifizierten Arbeitskräften. Die kommen doch nicht nach Deutschland, wenn sie hier 50 Prozent zahlen müssen und in anderen Ländern zahlen sie viel weniger.

Lafontaine: Das ist ein Irrtum. Sie zahlen in anderen Ländern nicht weniger. Es gibt eine ganze Reihe europäischer Länder, die einen Spitzensteuersatz von über 50 Prozent haben.

Wagner: Das sind die wenigsten. Großbritannien hat 40 Prozent zum Beispiel, welche denn also?

Lafontaine: In Amerika ist es so, Frankreich beispielsweise. Und selbst in Amerika ist es so, dass wir dort höhere Spitzensteuersätze haben, wenn alles zusammengenommen wird, als in Deutschland.

Deppendorf: Herr Lafontaine, kommen wir zu einem anderen Thema, das in den letzten Wochen die Schlagzeilen beherrscht. Das ist die Entwicklung in Afghanistan, zur Geiselnahme. Sind Sie immer noch für einen Rückzug?

Lafontaine: Wir sind für einen Rückzug, weil wir der Auffassung sind, dass wie ja der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour es sagt, in Afghanistan die Irakisierung in vollem Gange ist. Man kann das ja auch an den Zahlen sehen. Vor einigen Jahren war die Zahl der Anschläge bei weitem geringer als heute. Das heißt, die gute Absicht, die vielleicht verfolgt wurde, insbesondere durch die Truppen, die den Frieden bewahren sollen, also ISAF meine ich, und aufbauen sollen, ist leider in Verbindung mit den Kampfhandlungen im Süden völlig fehlgeschlagen. Wir haben immer mehr zivile Opfer und deshalb seilen sich ja die mit uns konkurrierenden Parteien von diesen Kampfeinsätzen ab, bei denen unschuldige Zivilisten ermordet werden.

Deppendorf: Aber Herr Lafontaine, wollen Sie wirklich dieses Land den Taliban überlassen? Die haben das Land schon mal ruiniert, sie wollen einen Gottesstaat, sie akzeptieren keine demokratischen Regeln, sie sind für Entführungen, sie sind für Gewalt und sie sind Teil der Drogenmafia. Das wollen Sie diesem Land zumuten?

Lafontaine: Wenn Sie sagen Drogenmafia, ist die Frage ein bisschen unfair gestellt, denn gerade in der letzten Zeit ist ja die Opium-Produktion wieder auf Rekordhöhe gestiegen, also unter der Bewachung der Alliierten, der NATO und unserer Truppen - sie ist auf Rekordhöhe gestiegen. Nein, die Taliban hatten ja, das ist international bekannt, zu ihrer Zeit eine zeitlang den Anbau zurückgeführt. Sie hatten das mit Strafen belegt, um das nur einzuschieben. Das ist aber nur ein Aspekt. Der andere Aspekt ist, dass wir der Auffassung sind, dass Aufbauhilfe, Entwicklungshilfe, dass dies der einzige Weg ist, dort voranzukommen. Wenn Deutschland grüne Helme hätte, statt eben sich immer mehr militärisch in aller Welt zu engagieren, würde es auch seiner Tradition nach dem Kriege gerecht werden.

Deppendorf: Selbst der UN-Beauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, ein Grüner, hat sich für einen verstärkten Einsatz sozusagen und der Fortführung aller Mandate ausgesprochen.

Lafontaine: Das ist bedauerlich, dass Herr Koenigs von den Grünen so sehr auf militärische Einsätze setzt. Herr Koenigs gehörte ja eben lange Zeit auch zu denen, die sich an Friedensdemonstrationen beteiligt haben. Er hat an dieser Stelle seine Auffassung total geändert. Ich nehme das zur Kenntnis. Ich habe die Auffassung, dass dieser Weg völlig falsch ist, und dass wir uns auch mit dem Engagement in Afghanistan den Terror ins eigene Land - hier nach Deutschland - holen.

Wagner: Der Terror war schon hier. Der 11. September ist von Hamburg aus vorbereitet worden, Herr Lafontaine! Blenden Sie das einfach aus?

Lafontaine: Der 11. September, der also dazu führte, dass die beiden Türme des World Trade Center eingestürzt sind, ist ein schlimmes Verbrechen gewesen, das überwiegend von Tätern aus Saudi-Arabien begangen worden ist. Deshalb hat zum Beispiel ein Paschtune, der mit dem Westen sympathisiert, auf die Frage, warum greifen die Amerikaner jetzt nicht Saudi-Arabien an, verbittert gesagt: Afghanisches Blut ist billiger.

Wagner: Dieses Verbrechen am 11. September ist in Afghanistan geplant worden, Herr Lafontaine. Das bestreiten Sie doch nicht. Wollen Sie wieder den Freiraum für solche Taten in Afghanistan zulassen? Das kann doch ernsthaft nicht Ihre Meinung sein.

Lafontaine: Nein, das ist auch ernsthaft nicht meine Meinung. Ich nehme Ihre Frage auch nicht ernst. Sie glauben doch wohl nicht, dass wir Planung von Attentaten befürworten! Nur, Attentate werden ...

Wagner: Ich habe nicht gesagt: befürworten, sondern: zulassen.

Deppendorf: Sie sagen heute nicht mehr, dass der Einsatz in Afghanistan vom Völkerrecht nicht gedeckt ist und verfassungswidrig ist.

Lafontaine: Selbstverständlich.

Deppendorf: Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts?

Lafontaine: Das Bundesverfassungsgericht hat sich lediglich über die Entsendung von Tornados ausgelassen. Es hat sich zu den Kampfeinsätzen OEF sehr zurückhaltend geäußert. Aber ich will das dann begründen: Es gibt die Genfer Konventionen. Daran kann auch kein Bundesverfassungsgericht irgendetwas ändern. Die Genfer Konventionen verpflichten die Kriegsführung, wenn es zum Krieg kommt, so zu gestalten, dass nicht unschuldige Zivilisten ermordet werden.

Wagner: Herr Gysi hat auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts völlig anders reagiert. Er hat gesagt, wir werden in Zukunft gegenüber dem Engagement der Bundeswehr nur noch politisch argumentieren und nicht rechtlich. Was für Rechtsberater haben Sie eigentlich, die zu so merkwürdigen Aussagen kommen. Sie können ja sich immer einen Angriff in Afghanistan mit zivilistischen Opfern raussuchen und sagen, es ist gegen die Genfer Konvention. Aber Sie können doch nicht einfach ignorieren, dass das Bundesverfassungsgericht - im übrigen nicht nur die Tornado-Einsätze, sondern den gesamten ISAF-Einsatz als rechtmäßig angesehen hat.

Lafontaine: Ich nehme an, Sie haben die Kommentierungen der deutschen Presse gelesen.

Wagner: Ja, Ich habe sogar das Urteil gelesen!

Lafontaine: Ich verweise jetzt einfach nur mal auf Herrn Prantl, einen renommierten Journalisten der Süddeutschen, der sich oft zu rechtlichen Fragen äußert, der hat absolut unsere Kritik an diesem Urteil wiederholt. Das Verfassungsgericht hat einen Blanko-Scheck für Militäreinsätze gegeben. Es war eines der schwächsten Urteile. Wir bleiben dabei, wie die große Mehrheit der Bevölkerung: Der Afghanistan-Einsatz ist ein Fehlschlag. Wir sollten die Truppen zurückziehen.

Deppendorf: Herr Lafontaine, jetzt fängt es an zu regnen, deswegen machen wir jetzt Schluss bei diesem Gespräch. Aber zum Schluss eine zugegebenermaßen noch vielleicht etwas freche Frage: Wollen Sie 2009 Ministerpräsident hier im Saarland werden oder machen Sie vorher den Lafontaine bei den Linken?

Lafontaine: Also, die letzte Frage ist natürlich eine Polemik, die Sie in ein Lager einordnet. Ich habe länger Verantwortung getragen als die gesamte Führungsriege, die zurzeit in der Regierung ist. Ich habe nur einmal Konsequenzen gezogen: Als ich eine Politik nicht mehr mittragen konnte und wollte, habe ich Konsequenzen gezogen. Es ist bedauerlich, dass so viele Leute an ihren Sesseln kleben. Im Übrigen habe ich nicht den Eindruck, dass die deutsche Öffentlichkeit sich zurzeit sorgt, ich würde mich wieder zurückziehen. Ich habe den Eindruck, sie sorgt sich sehr, ich würde zu lange bleiben.

Deppendorf und Wagner: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Bericht aus Berlin (ARD), 29. Juli 2007