Zum Hauptinhalt springen

Angriff auf die Bürgerrechte: BKA-Gesetz in Karlsruhe auf dem Prüfstand

Im Wortlaut von Ulla Jelpke,


 

Von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Vor dem Bundesverfassungsgericht fand in dieser Woche die mündliche Verhandlung gegen das im November 2008 mit den Stimmen der damaligen Großen Koalition verabschiedete Bundeskriminalamts-Gesetz statt. 

Die Änderung des BKA-Gesetzes steht im Kontext der viel beschworenen „neuen“ Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik. Die polizeiliche Gefahrenabwehr, nach dem Grundgesetz reine Ländersache, kam 2006 mit der Föderalismusreform zunächst für den Bereich des „internationalen Terrorismus“ in die Zuständigkeit des BKA. Zugleich wird diese polizeiliche Gefahrenabwehr mit zahlreichen Befugnissen ausgestattet, die der Polizei weit im Vorfeld einer konkreten Straftat tiefe Eingriffsbefugnisse verschaffen. Von Vertretern der Law-and-Order-Fraktion wird das quasi alternativlos dargestellt: Ohne solche Befugnisse drohe ein Anschlag nach dem nächsten.

Sogar Wohnungen Unbeteiligter können überwacht werden

Doch nach Meinung seiner Kritiker – darunter Bürgerrechtsverbände, Datenschützer, Juristen- und Journalistenverbände sowie die damaligen Oppositionsparteien FDP, LINKE und Grüne – ist das BKA-Gesetz ein Meilenstein auf dem Weg zu einem zentralstaatlichen „deutschen FBI“, einer Polizei mit Geheimdienstkompetenzen. Das BKA-Gesetz untergrabe die Bürgerrechte, da die Reichweite der legitimierten Überwachungsmaßnahmen angesichts einer unscharfen Terrorismus-Definition nahezu unbegrenzt sei. Der Bund maße sich hier Gefahrenabwehr-Kompetenzen an, die ihm von Verfassungswegen nicht zustehen, so die Kritiker. DIE LINKE sieht den „Geist des Obrigkeitsstaats“ hinter dem Gesetz.

So erlaubt das Gesetz Überwachungsmaßnahmen wie heimliche Online-Durchsuchung von Computern – die allerdings von einem Richter angeordnet werden müssen – und die Überwachung privater Wohnräume sowohl mit Wanzen als auch mit Kameras. Selbst Wohnungen Unbeteiligter können überwacht werden, „wenn anzunehmen“ sei, dass sich die eigentlich Verdächtigten dort aufhalten könnten.

Damit wird nach Meinung der Kläger in den verfassungsrechtlich geschützten „Kernbereich privater Lebensgestaltung“ eingegriffen. So schreibt das Gesetz zwar vor, dass rein private Dateien auf kopierten Computerdatensätzen nicht verwertet werden dürfen – durchgesehen werden sie aber alle von BKA-Beamten, die auf diese Weise dann doch von Daten erfahren, die privateste Dinge berühren. Sie sollen dann umgehend gelöscht werden. Die Dokumentation dieses Vorganges wird nach einem Jahr ebenfalls gelöscht – was bedeutet, dass die Betroffenen, falls sie zu einem späteren Zeitpunkt von ihrer Beobachtung erfahren, keine Möglichkeit mehr haben, dagegen zu klagen. Auch bezogen auf die anderen Eingriffsbefugnisse ist der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nach Ansicht der Kläger nicht ausreichend berücksichtigt.

Ausweitung des Überwachungsstaats stoppen

Zu den Beschwerdeführern in Karlsruhe gehören Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum und der Rechtspolitiker Burkhard Hirsch (beide FDP), die bereits den Großen Lauschangriff, das Luftsicherheitsgesetz und die Vorratsdatenspeicherung mit Klagen teilweise zum Fall brachten. Auch ein Journalist und ein Arzt finden sich unter den Klägern, denn Gespräche mit solchen Vertrauenspersonen sowie Psychologen und nichtchristlichen Geistlichen sind nicht mehr ausreichend durch das Zeugnisverweigerungsrecht vor Abschöpfung durch die Polizeibehörde geschützt. In diese Richtung geht auch die Klage des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins, der in besonderer Weise das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant gefährdet sieht. Denn nach dem BKA-Gesetz sind lediglich Strafanwälte vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen geschützt, aber auch nur solche Informationen, die sie in ihrer Eigenschaft als Strafverteidiger erlangt haben. Andere sensible Daten – beispielsweise zu asyl- und ausländerrechtlichen Belangen der Betroffenen – können also durchaus abgeschöpft werden. Als Kontaktperson können Anwälte sogar selbst Objekte staatlicher Ausspähung werden. Die vom BKA gewonnenen Erkenntnisse können zudem mit ausländischen Geheimdiensten geteilt werden.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière verteidigte die von seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble 2008 durchgesetzten Regelungen als notwendig im Kampf gegen den Terror und sagte, es habe bei 1500 „Gefährdungshinweisen“ erst in 15 Fällen Überwachungsmaßnahmen auf Grundlage des Gesetzes gegeben.

Mit einer Entscheidung des Gerichts ist nicht vor Herbst zu rechnen. Es ist zu hoffen, dass das oberste deutsche Gericht dann wie schon in früheren Fällen die Regierungswillkür in die Schranken weisen und Bürgerrechte gegen staatliches Nachstellen verteidigen wird. Wie immer gilt aber: Das Bundesverfassungsgericht kann den Gesetzgeber in seine verfassungsrechtlichen Schranken weisen – der Kampf gegen eine Ausweitung des Überwachungsstaats muss in der politischen Arena geführt werden, und nicht in Karlsruhe.


linksfraktion.de, 9. Juli 2015