Zum Hauptinhalt springen
Foto: Rico Prauss

Am Scheideweg

Kolumne von Dietmar Bartsch,

Foto: Inga Haar

 

 

Von Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Der Scheideweg gilt gemeinhin als Ort der Geister und Dämonen. Unser Land befindet sich an einem solchen. Nur stoßen wir dort nicht auf Überirdische, sondern auf eine Bundesregierung, deren Politik von Ideenlosigkeit und Stillstand, deren Handeln von Erpressung und Nötigung und deren Umgang von Hauen und Stechen geprägt sind. Weder Naturgewalten noch Menschen, die in existenzieller Not zu uns kommen, haben die Bundesrepublik Deutschland an den Scheideweg geführt, sondern jahrelanges Staatsversagen.

Sinnbilder dafür sind Steuergeschenke für die Konzerne und Hartz IV für die Erwerbslosen. Prekäre Beschäftigung wird als „Jobwunder“ verkauft. Über den Banken schweben Rettungsschirme, über vielen klein- und mittelständischen Unternehmen Pleitegeier. 500 superreiche Familien verfügen über 615 Milliarden Euro, das ist das Doppelte eines Bundeshaushalts, für die Bedürftigen wird der Platz in den Suppenküchen knapp. Eltern bangen um die Zukunft ihrer Kinder und manch Ältere um einen gesicherten Lebensabend. BND, VW und DFB wurden zu Kürzeln für Verantwortungslosigkeit, Manipulation und Betrug. Der Finanzminister feiert seine „schwarze Null“, viele Kommunen stecken tief in den roten Zahlen. Das Asylrecht wird geschliffen und Bürgerrechte werden abgebaut. Der braune Mob reibt sich die Hände. Engagierte Menschen, auch Politikerinnen und -politiker, werden zum Ziel von rechtem Alltagsterror, so die parteilose Henriette Reker in Köln oder André Stahl, DIE LINKE, in Bernau.

Im reichen Deutschland machen sich Sorgen und Zukunftsängste breit, immer mehr auch in der Mitte der Gesellschaft. Zu fragen ist also: Kommt es zu einem sozialen Aufbruch, zu einer entschlossenen Friedenspolitik? Oder geht die Entwicklung weiter in die Richtung wachsender Ungleichheit und Ungerechtigkeit, zunehmender Radikalisierung? Antworten wir auf Terror mit mehr Offenheit und mehr Demokratie oder mit der Einschränkung von Menschenrechten, mit Soldaten, Drohnen und Bomben?

Die Weichenstellungen der Großen Koalition sind ernüchternd. Im November beschloss deren Überzahl im Bundestag einen Haushalt, der die Kluft zwischen Arm und Reich nicht schließen, den Rückstand bei Investitionen nicht verringern und die Landkreise, Städte und Gemeinden nicht handlungsfähig machen wird.  Mit der Bundestags-Mehrheitsentscheidung vom vergangenen Freitag ist Deutschland endgültig Kriegspartei im Nahen Osten. Aus dem Afghanistan-Desaster oder dem Irakkrieg wurde nichts gelernt, aber fatale Schlüsse daraus gezogen.

DIE LINKE hat Nein zu diesem Bundeshaushalt gesagt und wir haben NEIN zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr gesagt. DIE LINKE hat bislang allen Auslands- und Kriegseinsätzen die Zustimmung verweigert. Eine Politik der soziale Grausamkeiten, bei der die Schwachen und die Schwächsten gegeneinander ausgespielt werden, und eine Politik der kriegerischen Muskelspiele sind mit uns nicht zu machen.

Unsere Partei und ihre Bundestagsfraktion haben zahlreiche Vorschläge für eine andere Politik auf den Tisch gelegt. Wir halten ein Zukunfts-Investitionsprogramm in Höhe von 25 Milliarden Euro für erforderlich, um Bildung, Gesundheit, Pflege und andere soziale Dienstleistungen sowie die öffentliche Infrastruktur voranzubringen. Wir wollen ein sofortiges Ende jeglicher Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete sowie an alle Staaten, die in militärische Konflikte involviert sind. Wir fordern und befürworten diplomatische Offensiven zur Lösung zwischenstaatlicher Spannungen anstelle von Subventionen, Boykotten oder gar Kriegen.

Finanzierbar wären alle diese Vorschläge: Mit einem Steuersystem, das die extrem Reichen in die Pflicht nimmt. Mit einem Kampf gegen die teuersten Flüchtlinge, die Steuerflüchtlinge. Mit einer Sonderabgabe der deutschen Rüstungsindustrie zugunsten der Integration der Menschen, die auch vor Waffen „Made in Germany“ flüchten mussten.

Ich mache mir nichts vor, für eine solche Politik bekommen wir momentan keine parlamentarischen Mehrheiten. Doch es gibt auch Entwicklungen in unserer Gesellschaft, die Mut machen. Immerhin 145 Bundestagsabgeordnete haben NEIN zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr gesagt. Tausende stellen sich wieder und wieder den Hasspredigern und Rassisten von AfD über Pegida bis NPD entgegen. Eine Viertelmillion sagte Anfang Oktober allein auf Berlins Straßen STOPP zu TTIP und CETA. Millionen kümmern sich um eine menschliche Aufnahme von Flüchtlingen, oft übernehmen Ehrenamtliche staatliche Aufgaben und verhindern gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Ämtern und Institutionen humanitäre Katastrophen. Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker leisten Außerordentliches, um das öffentliche Leben in Takt zu halten.

In Paris, in Berlin, an zahlreichen Orten auf der ganzen Welt haben Menschen mit Blumen und Kerzen der Opfer der furchtbaren Anschläge gedacht, die sich in der französischen Hauptstadt, über dem Sinai, in Tunis, Bamako, Beirut und anderswo ereignet haben. Ganz viele junge Leute waren dabei, und sie sagen: Wir lassen uns unser Leben nicht kaputt machen und nicht nehmen. Wir wollen und wir werden lernen, arbeiten, tanzen, Sport treiben, reisen. Das macht Mut – auch für eine Zeitenwende. Diese steht an. Dringend.