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5 Jahre nach dem Amoklauf am Erfurter Gutenberg Gymnasium

Nachricht von Bodo Ramelow,

Zum fünften Mal jährt sich heute der Amoklauf am Erfurter Gutenberg Gymnasium. Am 26. April 2002 ermordete ein ehemaliger Schüler des Gymnasiums 16 Menschen. 13 Lehrer, zwei Schüler und einen Polizisten. Anschließend tötete er sich selbst. Zum fünften Mal jähren sich damit auch die Trauer, die Angst, der Schock und auch die Wut. Fünf Jahre machen das Unfassbare nicht fassbarer. Nach dieser Zeit müssen wir uns aber fragen, ob die Politik angemessen auf diese schreckliche Tat reagiert hat. Leider lautet die Antwort nein.

Das Prinzip „Soziales Lernen“ ist in den Schulen immer noch nicht angekommen. Wir brauchen im Bildungsbereich dringend mehr und besser ausgebildetes Personal, dass den Kindern und Jugendlichen auch soziale Kompetenz vermittelt. Streitschlichtung und Mediation durch Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter muss in allen Schulformen selbstverständlich werden. Solange wir nur darauf setzen, Schülern mathematische Rechenwege, Rechtschreibung und physikalische Gesetze zu vermitteln, bleibt ein wichtiger Teil der Bildung auf der Strecke. Streiten, Konflikte bewältigen und mit Verantwortung umgehen, diese Dinge müssen genauso gelehrt und gelernt werden, wie der „klassische“ Schulstoff. Deshalb sollte die Politik endlich aktiv werden und verstärkt Bemühungen unterstützen, die in diese Richtung zielen.

Ein Ansatz ist das Projekt „Kinderwelten“, das derzeit in Thüringen, Baden-Württemberg und Niedersachsen erprobt wird. In diesem Projekt wird Kindern bereits in den Kitas der Umgang mit Verantwortung und eigenen Gefühlen deutlich gemacht. Praktisch bedeutet das beispielsweise, dass in einer Kita die Kinder mit Muggelsteinen als Wahlzettel die Farbe der neu anzuschaffenden Bettwäsche selbst bestimmen dürfen. Die Kinder malen sich selbst, sprechen miteinander über ihre Vorurteile und Gefühle und lernen so die eigene Identität und die ihres Gegenübers zu schätzen.

Was hilft aber ein solches Projekt in Kitas, wenn es nicht in den Schulen fortgeführt wird? Wenn in der Schule selektiert wird, statt zu integrieren, indem schon ab der ersten Klasse darüber nachgedacht wird, wer es nach der vierten auf die bessere Schule schafft, werden die Bemühungen um die Würde jedes einzelnen Kindes zu Nichte gemacht. Natürlich muss Leistung belohnt und gefördert werden. Wenn es aber nur noch um das Gewinnen geht, wird auch die Zahl der Verlierer weiter steigen.

Eine zweite Konsequenz die längst hätte gezogen werden müssen, ist die Einrichtung von Trauma-Akut-Zentren in jedem Bundesland. Erlebnisse wie der Amoklauf von Erfurt sind für die Beteiligten ein tiefer seelischer Schock, der in jedem Menschen auf andere Art und Weise wirkt. Dennoch gibt es Reaktionen, die bei vielen gleich sind und mit denen ausgebildete Helfer umgehen können. Entscheidend ist aber, dass diese Helfer auch rechtzeitig und in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Um das zu gewährleisten, braucht es einen zentralen Ansprechpartner, der die akute Traumahilfe koordiniert. Leider gibt es viel zu viele Gelegenheiten, bei denen diese Zentren zum Einsatz kommen könnten: Brände, Flugzeugabstürze, Terroranschläge, Naturkatastrophen, usw. Umso wichtiger ist, dass die psychologische Hilfe nach solchen Ereignissen in jedem Bundesland zentral organisiert wird!

Schließlich fehlt in der Bundesrepublik noch immer ein zentrales Waffenregister. Eine Waffe zu tragen ist weder Menschen- noch Bürgerrecht! Es ist eine besondere Verantwortung, die man nur unter strikten Bedingungen erhält. Allerdings wird der Besitz einer Waffe bisher nur regional registriert und kontrolliert, während beispielsweise jedes Verkehrsvergehen in Flensburg zentral erfasst und geahndet wird. Jeder Führerscheininhaber kann sofort identifiziert werden. Für Waffen gibt es ein solches System bis heute nicht. Es gibt keine Kontrolle, wie viele Waffen in einem Bundesland, geschweige denn in der ganzen Republik, im Umlauf sind. Ein zentrales Waffenregister, mit dem sich sofort ermitteln ließe, wer in Deutschland welche und wie viele Waffen besitzt und wozu er diese braucht, wäre er wichtiger Schritt zu mehr Sicherheit.

Am 26. April 2007 sind aus dem Amoklauf von Erfurt immer noch nicht die politisch notwendigen Konsequenzen gezogen. Wir sollten heute innehalten und der Opfer dieser furchtbaren Tragödie gedenken. Zugleich muss dieses Datum aber auch mahnen, endlich Bedingungen zu schaffen, die das Risiko einer neuen Katastrophe auf das unausschließliche Minimum reduzieren. Das ist die Politik - nach wie vor - den Opfern des 26. April 2002 schuldig.