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Zeitbombe Altersarmut

erschienen in Clara, Ausgabe 42,

Meta Borgs Altersrente ist karg. Von 704 Euro brutto bleiben der 68-Jährigen aus Norddeutschland netto 627 Euro. Dafür hat sie 38 Jahre lang in die Rentenversicherung eingezahlt. Weil das Geld nicht reicht, ist sie auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Dabei wollte sie nie im Leben vom Staat abhängig sein.

Meta Borg hat früh geheiratet und drei Kinder zur Welt gebracht. Als Alleinerziehende ohne Berufsabschluss war sie Familienernährerin. Später schloss sie eine Ausbildung als Krankenschwester ab und arbeitete lange in ihrem Beruf. Nebenbei baute sie einen Blumenladen auf und bildete sich weiter. Ein Studium war wegen der Alltagszwänge aber nicht drin. Persönliche Schicksalsschläge nahm sie gelassen hin.

 

Niedrigrenten bedrohen auch viele Jüngere

Als die Kinder aus dem Haus waren, schlug sich der ewige Stress in Krankheiten nieder. Nun war sie für manche Jobs »zu alt« oder »überqualifiziert«. Bei der Tafel, wo sie jede Woche Lebensmittel bezieht, trifft sie viele verarmte Menschen. »Wir müssen uns organisieren und auf den Tisch hauen, sonst ändert sich nichts«, ist sie überzeugt.

Vasilis Psaltis (27) hat noch ein langes Arbeitsleben vor sich. Der Fachlagerist aus Rüsselsheim hat im Alltag »Stress pur« und macht sich schon jetzt über die Rente Sorgen. Bescheidene 885 Euro Altersrente stellt ihm die Rentenversicherung in Aussicht, wenn er bis 67 durchhält. Noch 40 Jahre arbeiten und so wenig Rente finde ich eine Schweinerei«, sagt er.

Mascha Stahr (31) ist gelernte Verkäuferin aus Hof. Weil sie in ihrem Lehrberuf weit und breit keine Anstellung fand, arbeitet sie jetzt als Kundenberaterin bei einer großen Firma. Nach dem aktuellen Bescheid der Rentenversicherung kann sie mit einer monatlichen Bruttorente von 466,99 Euro rechnen, wenn sie im Jahr 2052 das 67. Lebensjahr vollendet. »Um meine Renteninformation mache ich kein Geheimnis. Darüber reden wir ja auch im Büro«, sagt sie.

 

Angst vor der Zukunft

»Wenn unsere Generation in Rente geht, wird es eine Altersrente nicht mehr oder nur noch in abgewandelter Form geben«, so Mascha. »Man wird einen Weg finden, an unsere Rentenkassen zu kommen und, wenn wir Pech haben, auch noch an unsere Ersparnisse oder die Vorsorge«, befürchtet sie. »Dabei kann sich ein reiches Land wie Deutschland auch gute Renten für alle leisten.«

Mascha Stahr drückt aus, was viele ihrer Kolleginnen und Kollegen denken. »Von einer älteren Kollegin weiß ich, dass sie glücklicherweise noch eine gute Rente bekommen wird, wenn sie nächstes Jahr in den wohlverdienten Ruhestand geht. Aber für unsere Generation, diejenigen die in den 1980er Jahren und danach geboren sind, wird es nicht ganz so rosig aussehen.« Sie reist immer wieder nach Griechenland und kann dort mit eigenen Augen sehen, wie viele Menschen unter schwerer Altersarmut leiden.

Zukunftsängste plagen immer mehr Menschen, wenn sie ihre Renteninformation lesen. Wer den gesetzlichen Mindestlohn von 8,84 Euro bezieht, müsste für eine Nettorente in Höhe der Grundsicherung von 799 Euro fast 60 Jahre lang arbeiten. Dass sich ausgerechnet in einem der reichsten Länder der Erde die Renten in freiem Fall befinden, ist kein Naturgesetz, sondern von Menschenhand gemacht. Seit den 1990er Jahren haben CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne langfristige Rentenkürzungen sowie Streichungen bei der Hinterbliebenen- und der Berufsunfähigkeitsrente und der Anerkennung von Ausbildungszeiten beschlossen. Die Rente wurde mit Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern belastet. Die im Jahr 2006 von CDU/CSU und SPD eingeleitete Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre bringt zusätzliche Kürzungen für alle, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Rente gehen müssen.

Die Fraktion DIE LINKE hat diese Entwicklung stets kritisiert. Sie gehe zulasten der Mehrheit der Bevölkerung, während die Arbeitgeber davon profitierten. Ziel des Rentenkonzepts der Fraktion DIE LINKE hingegen sei es, dass es »in Zukunft keine Armutsrenten mehr gibt und die Rente endlicher wieder den Lebensstandard sichert«, erläutert Rentenexperte Matthias W. Birkwald (siehe Seite 12). Dafür müsse man sich »auch mit dem Arbeitgeberlager und der Versicherungswirtschaft anlegen«.

Bereits heute leben 2,7 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Armut. Altersarmut trifft vor allem Menschen, die nicht ausreichend in die Rentenversicherung einzahlen konnten: Niedriglöhner, Teilzeitbeschäftigte, Alleinerziehende, Leiharbeitskräfte, Solo-Selbstständige und Erwerbslose. Wirtschaftsmanager hingegen lassen sich den Ruhestand vergolden. So darf VW-Vorstand und Ex-Daimler-Manager Andreas Renschler (58) schon ab 62 aufhören und bezieht dann neben seiner Daimler-Versorgungsbezüge allein von VW bis zu seinem Lebensende in Höhe von monatlich 60.000 Euro. Weniger als ein Hundertstel davon soll für den Bonner Stephan Pabel (61) reichen. »Ihre monatliche Rentenanwartschaft beträgt 480,44 Euro«, teilte ihm die Rentenversicherung mit. Wenn er im Jahr 2021 die Altersgrenze erreicht, erwartet er maximal 530 Euro. Das deckt nicht einmal die Miete.

 

Qualifikation schützt nicht vor Altersarmut

Sein Lebensweg widerlegt die Behauptung, dass nur Menschen mit geringer Qualifikation Altersarmut droht. Der Sozialpädagoge war 18 Jahre lang in der Suchtkrankenhilfe und Jugendarbeit fest angestellt und verdiente gut. Doch als ihm Burn-out drohte, musste er kürzertreten. Jahrelang unterrichtete er in Brasilien Deutsch und zahlte auch in die Rentenkasse ein. Aber da er die in Brasilien erforderliche Mindestschwelle von 15 Beitragsjahren nicht erreichte, kann er keine Rente von dort erwarten.

Mit der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) geforderten Zusatzqualifikation unterrichtet er seit 2010 im Auftrag des Bundes als Honorarkraft bei der Bonner Volkshochschule (VHS) und bei privaten Trägern in Sprach- und Integrationskursen Geflüchtete und Studierende aus aller Welt. Gezahlt werden nur tatsächlich geleistete Unterrichtseinheiten, Anspruch auf bezahlten Urlaub und Fortzahlung im Krankheitsfall gibt es nicht. Für die Sozialversicherungsbeiträge muss er zu 100 Prozent aufkommen. »Bei dem geringen Honorareinkommen sind monatlich 300 Euro sehr viel Geld. Das Nettoeinkommen liegt nur wenig über Hartz-IV-Niveau«, so Stephan Pabel.

Weil er sich damit nicht abfinden will, ist er in der Gewerkschaft GEW aktiv und bundesweit mit anderen Honorarlehrkräften vernetzt. Sie tragen den Protest auf die Straße und fordern eine Festanstellung wie für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen. Damit wäre für viele die Zeitbombe der Altersarmut entschärft.

Stephan Pabel schwebt zudem eine einheitliche Rentenversicherung für alle Menschen und Berufsgruppen vor. »Die garantierte Mindestrente sollte nicht unter 1.000 Euro liegen, wenn man auch im Alter einigermaßen menschenwürdig leben will«, ist er überzeugt.

Auch Brigitte Rilke (65) aus Berlin kann vom sorgenfreien Ruhestand nur träumen. Sie bezieht monatlich knapp über 400 Euro Rente und muss – wie bereits seit 16 Jahren – weiter als VHS-Dozentin in Berlin Deutsch- und Integrationskurse leiten. Sie hat Französisch und Deutsch studiert, ein Leben lang gearbeitet und im Ausland am Goethe-Institut auf Honorarbasis Deutsch unterrichtet. Bei der Arbeit mit Flüchtlingen und Eltern ist sie ganz in ihrem Element.

Brigitte Rilke ist eine von über 600 arbeitnehmerähnlichen VHS-Vollzeitlehrkräften in Berlin mit kurzfristigen Honorarverträgen. Die meisten erwartet eine Altersrente zwischen 400 und 700 Euro. Vergangenes Jahr hat Brigitte Rilke sogar dem Bundespräsidenten eine Protestpostkarte mit der Forderung nach einem Tarifvertrag und einer Bezahlung wie für Berufsschullehrer überreicht. Damit können jüngere Lehrkräfte höhere Renten erwarten. Eines hat das jahrelange Engagement der Berliner VHS-Lehrkräfte mit Unterstützung der Gewerkschaft ver.di schon gebracht: Ihnen steht jetzt für maximal sechs Wochen eine Art Ausfallzahlung im Krankheitsfall zu. »Für mich ist es gelaufen«, sagt Brigitte Rilke. »Aber ich kämpfe weiter für die junge Generation.«