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»Wir müssen in ganz Europa Druck erzeugen«

erschienen in Klar, Ausgabe 33,

Warum über TTIP nur hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, erklärt Lobbykritikerin Pia Eberhardt.

Warum verhandelt die EU-Kommission TTIP unter strengster Geheimhaltung?

Pia Eberhardt: Um Widerstand und öffentliche Debatten zu verhindern, denn die entwickeln sich gewöhnlich erst dann, wenn Inhalte von Verhandlungen bekannt sind. Hinzu kommen Misstrauen und Arroganz den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber. Die Verhandlungen werden von Technokraten geführt, die sich nicht um die Interessen der Bevölkerung, sondern um die der Konzerne kümmern.

Woher stammen die Dokumente über TTIP, die im Internet kursieren?

Einige wichtige Verhandlungstexte wurden von Einzelnen heimlich weitergegeben. So wurden ein paar der gefährlichen Inhalte von TTIP bekannt. Aber auch die öffentlich gewordenen Wunschlisten der transnationalen Konzerne verraten viel: Sie sehen in TTIP die Chance, auf beiden Seiten des Atlantiks all das aus dem Weg zu räumen, was ihre wirtschaftlichen Interessen behindert: vom Umwelt- bis zum Verbraucherschutz.

Für besonders viel Kritik sorgen die Pläne, zukünftig einen Regulierungsrat zwischen der EU und den USA einzurichten. Was ist das?

Eine Art Gremium, bestehend aus EU- und US-Technokraten, zu dem Konzerne und ihre Lobbygruppen exzellenten Zugang haben werden. An den Parlamenten vorbei soll es Gesetze im Interesse der Wirtschaft beeinflussen.

Damit würden Unternehmen, die ohnehin schon sehr stark an allen Gesetzgebungsprozessen beteiligt sind, noch mehr Macht erhalten.

Ja, und sie könnten durch das neue Gremium dringend notwendige Gesetze, etwa zur Regulierung der Finanzmärkte, abschwächen, verzögern oder ganz verhindern. Es ist sogar möglich, dass die Themen, über die jetzt öffentlich debattiert wird, wie Chlorhühnchen oder Klonfleisch, gar nicht im Abkommen stehen werden. Der Clou für die Unternehmen ist, dass sie mit TTIP Instrumente in die Hand bekommen, um solche Dinge in Zukunft durchzusetzen, weil sie Ko-Gesetzgeber werden.

Welche Perspektive hat der Widerstand gegen TTIP?

Die EU-Kommission und andere EU-Institutionen sind sehr gut gegen öffentlichen Druck abgeschirmt. Selbst bei großem Widerstand ziehen sie oft ihre Vorhaben durch. Aber die jüngste Vergangenheit zeigt, dass es auch anders geht, etwa beim ACTA-Abkommen … 

… ein Abkommen, das ebenfalls jahrelang hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde und schließlich am Europäischen Parlament scheiterte …

Das ist nur passiert, weil es einen erfolgreichen Widerstand der Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen Ländern gab. Das Abkommen war danach politisch nicht mehr durchsetzbar. Wenn es jetzt gelingt, wieder europaweit Druck zu erzeugen, kann man nicht nur Sand ins Getriebe der TTIP-Verhandlungen streuen, sondern sie schlussendlich kippen. Das ist ein zäher und langer Weg. Es ist aber ein wunderbares Zeichen, dass sich bis jetzt schon so viel Widerstand aufgebaut hat – vor einem Jahr hätte ich das nicht für möglich gehalten.

Interview führte Benjamin Wuttke