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Wir müssen hinschauen

Von Petra Pau, erschienen in Lotta, Ausgabe 5,

Eine halbe Million Blatt Papier, knapp 70 Zeugen, mehr als ein Dutzend Sachverständige zählen zur äußeren Bilanz des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Petra Pau erzählt von persönlichen Erfahrungen.

Sie haben die Familien der getöteten Männer besucht: ihre Frauen, die Töchter, die Kinder. Was bleibt nach solchen Gesprächen?

Petra Pau: Das bleibt alles auf der Seele. Die Familien sind dreifach betroffen. Erst wurde der Mann oder Vater ermordet. Dann wurden sie jahrelang selbst verdächtigt. Am Ende spielt ihr Leid in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Für meine Arbeit heißt das, die Perspektive der Opfer ist wichtiger als die der Täter.

 

Was haben die eineinhalb Jahre NSU-Aufklärung gebracht?

Wir haben parteiübergreifend sehr viel mehr über Rechtsextremismus und Strategien von Rechtsextremisten gelernt. Die drei Haupttäter sind einer Strategie gefolgt, die unter Neonazis seit mehreren Jahrzehnten diskutiert und umgesetzt wird: Bildet Zellen, handelt nach dem Prinzip des führerlosen Widerstands, trefft die Vertreter des demokratischen Staates, trefft Anders- denkende und Ausländer so hart es nur geht.

gab es in Berlin drei öffentliche Aktionen gegen Rassismus: zwei kleine Demonstrationen und in Kreuzberg Schweigeminuten »5 vor 12«. Ich war jedes Mal dabei. Die türkische Gemeinde blieb weitgehend unter sich, alle anderen kannten sich persönlich.

 

Alltäglicher Rassismus beginnt mit der Sprache ...

 Ja, Sprache zeigt ganz eindeutig, wie man denkt. Auch die Ermittlungen trugen rassistische Züge. Selbst in München beim laufenden Prozess pflegen Beamte noch ihre abfälligen Vorurteile über Ausländer. Da ist in den Köpfen nicht einmal angekommen, dass die meisten NSU-Opfer deutsche Staatsbürger waren. Darum werden wir mit den Ausschusskollegen Vorschläge zur Qualifizierung von Polizisten und Juristen unterbreiten, um sie zu sensibilisieren.

 

Müssten jetzt nicht außerparlamentarische Initiativen gegen rechts jetzt besonders gestärkt werden?

Wir wollen die Extremismus-Klausel abschaffen, mit der Antifaschistinnen und Antifaschisten kriminalisiert werden. Wir müssen die langfristige Finanzierung von Projekten der Zivilgesellschaft gewährleisten, auch der Opferberatung. Die Förderung darf auch nicht je nach politischer Färbung erfolgen. Ich könnte mir eine spezielle unabhängige Bundesstiftung vorstellen, die strategisch denkt und arbeitet.

Das Gespräch führte Gisela Zimmer

Petra Pau ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und für DIE LINKE im NSU-Untersuchungsausschuss