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Wenn Zahlen lügen

erschienen in Clara, Ausgabe 11,

Keine ehrliche Bilanz, keine Arbeitsmarktdaten, die sich wie eine Bankrotterklärung lesen - das eint Kanzlerin und SPD bis zum Herbst

Weniger ist mehr. Diese Weisheit gilt für viele Lebenslagen. Für die tägliche Sucht, wie jeder weiß, fürs Trinken und fürs Rauchen. Aber auch für Steuerhinterzieher wie Klaus Zumwinkel, ehemals Chef der Deutschen Post. Das zu versteuernde Einkommen gegenüber dem tatsächlichen zu halbieren, gilt unter Millionären als ehrenwerte Leistung. Weniger ist mehr. Das gilt auch für jene, die ihre politischen Misserfolge gern verbergen. In Wahljahren wollen Regierungen keine hässlichen Zahlen präsentieren, vor allem keine Hiobsbotschaften aus Nürnberg, aus der Bundesagentur für Arbeit.

In diesem Jahr 2009 ist aber eines ge-wiss. Die tiefste Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik schlägt zu mit voller Wucht. Um so größer ist das Interesse von CDU/CSU und SPD, dass sich der Absturz von Produktion und Aufträgen so wenig wie möglich in den offiziellen Arbeitslosenzahlen zeigt. Nicht zuletzt deshalb wurde massen-hafter Kurzarbeit der Boden bereitet. Mehr denn je ist aber auch mit Tricks und Sonder-programmen zu rechnen, die möglichst passgenau zum 27. September die Nürnberger Statistik schönen. Zu erwarten ist ein ganzes Paket großer und kleiner Manipulationen.

Dabei kann der zuständige Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) anknüpfen an das, was bereits gängige Praxis ist. Im Januar 2009 haben 5,8 Millionen Menschen Arbeitslosengeld erhalten, überwiegend Hartz IV und jeder Fünfte das bessere Arbeitslosengeld I. Doch offiziell gelten nur 3,5 Millionen als arbeitslos. Für die Zauberei sorgt eine einfache Definition. Denn als arbeitslos registriert wird nur, »wer keine Beschäftigung hat (weniger als 15 Wochenstunden), Arbeit sucht, dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht und bei einer Agentur für Arbeit oder einem Träger der Grundsicherung arbeitslos gemeldet ist.«

Diese Definition hat Folgen. So ist beispielsweise ein kranker Arbeitsloser während seiner Krankheit »nicht arbeitslos« - er steht ja dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Solche skurrilen Fälle sind aber nur ein unwesentlicher Teil der Zauberei. Deutlich über der Millionengrenze liegt dagegen die Zahl derjenigen, die -
in der aalglatten Sprache der Bundesagentur - an Eingliederungsmaßnahmen teilnehmen. Dahinter stecken Ein-Euro-Jobs, Trainingskurse, Weiterbildungen verschiedenster Art und Programme zur Förderung der Selbstständigkeit. Ob unsinnig oder nicht, ob Scheinaktivität oder wirkliche Brücke zu einem neuen Job - einen erwünschten Effekt haben sie alle. Wer teilnimmt, wird nicht als arbeitslos ausgewiesen.

Die große Differenz zwischen 5,8 Millionen »Leistungsempfängern« und 3,5 Millionen registrierten Arbeitslosen hat noch einen weiteren Grund, den man zwar nicht als Manipulation von Daten, wohl aber als gesellschaftlichen Skandal bezeichnen muss. Der Lohn ist häufig so gering, dass er mit staatlichem Geld auf das Niveau von Hartz IV aufgestockt wird. Die Zahl dieser sogenannten »Aufstocker« ist in den vergangenen Jahren um 50 Prozent gestiegen, von 900000 (2005) auf 1,35 Millionen Menschen heute. Von einem würdevollen, »echten« Arbeitsplatz kann auch bei diesen »Leistungsempfängern« keine Rede sein. Ebenso wenig wie bei weiteren Millionen im Niedriglohnsektor, die in den Nürnberger Zahlen gar nicht auftauchen.

Keine ehrliche Bilanz, keine Arbeitsmarktdaten, die sich wie eine Bankrotterklärung lesen - das eint Kanzlerin und SPD bis zum Herbst. DIE LINKE wird den zu erwartenden Manipulationen auf der Spur bleiben und - noch viel wichtiger - sagen, was in der Krise zugunsten der am meisten Betroffenen und Bedrohten zu tun ist.