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Wenn der Krieg im Kopf weitergeht

erschienen in Clara, Ausgabe 12,

Ein Gespräch mit Thomas Kliche, Vorsitzender der Sektion Politische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP).

Herr Kliche, »Soldaten sind Mörder« textete einst Kurt Tucholsky. Die Bundeswehrangehörigen in Afghanistan sind aber durch und durch davon überzeugt, Gutes zu tun für die Zivilbevölkerung, und deren Familien daheim sind stolz darauf.

Nicht alle und nicht auf Dauer. Einige Soldaten, die ich kennen gelernt habe, beschrieben ihre Einsätze mit großer Kompetenz, Klugheit und Schonungslosigkeit - die Öde, die Enge, den Dauerstress, den Missbrauch als Reparaturtrupp einer kopflosen Politik. Die Überzeugung, zu den Guten zu gehören, überdeckt oft ganz andere Gefühle, die abrupt in Aussetzern enden können, skurril wie diese Knochenspiele in Afghanistan oder barbarisch wie Folterungen. Soldaten erleben sich nicht als Mörder, zwischen ihnen und dem vergossenen Blut stehen fast immer eine Maschine und viel Distanz. Ihr Habitus in modernen Armeen ist eher eine Mischung aus Sheriff, Ingenieur, adrenalinsüchtigem Extremsportler und biederem Häuslebauer. Das Töten ist die rare Ausnahme, nur sehr kleine Anteile der Organisation sind darin verwickelt.

Linke Politikerinnen und Politiker begründen ihre Forderung nach dem Abzug deutscher Soldaten mit der Erfolglosigkeit der Militäreinsätze. Wie wird das von den Soldaten selbst erlebt?

Sie würden ihr ganzes Tun, ihre Organisation, ihre Existenz entwerten, wenn sie
das so sähen. Meist führen erst persönliche oder kollektive Katastrophen zu so radikalen Bilanzen. Ansonsten verfügen Menschen über eine unglaubliche Elastizität in der Selbstrechtfertigung ihres heilen Selbst- und Weltbilds. In den USA haben Mehrheiten noch nach Jahren Irak-Besetzung geglaubt, man habe dort Massenvernichtungswaffen gefunden.

Gegner der Kriegseinsätze der NATO in aller Welt verweisen auf die handfesten geopolitischen Interessen, Rohstoffe, Militärbasen, Milliarden-aufträge und Einfluss auf die regionale Politik - stellt sich da nicht gelegentlich die Sinnfrage in der Truppe?

Sie stellt sich ja für Mehrheiten der westlichen Gesellschaften auch nicht gerade verschärft. Die militärische Organisation und Sozialisation sind auf erschreckende Weise effizient darin, solche Fragen zum Verblassen zu bringen. Forscher sprechen von einer Sondermoral der Soldaten, denn die sollen ja drohen, zerstören, verletzen, töten. Sie lernen also, im Namen der Gesellschaft lauter Dinge zu tun, die sie in der Gesellschaft umgehend in den Knast brächten.

Also müssen all diese Dinge ausgeblendet werden, damit die Leute im Einsatz funktionieren,die »Moral der Truppe« stimmt?

Ja, wie bis zu einem gewissen Grad in jedem Beruf. Die Einübung von Entfremdung macht uns für Organisationen berechenbar und nützlich und befähigt uns, rasch und ohne innere Konflikte zu funktionieren. Bei Soldaten kommt aber die ungeheure, systematische Zugriffskraft einer sogenannten totalen Institution hinzu.
Dort ist alles geregelt: Gesten, Kleidung, Tagesablauf, Essen, Trinken, Schlafen, Aufgaben, Freizeitmöglichkeiten, soziales Oben und Unten. Die Außenwelt verliert
ihre Wichtigkeit gegenüber den mächtigen Vorgesetzten und der Verpflichtungskraft der Gruppe.

Das scheint aber dann doch nicht immer zu klappen, man hört und liest neuerdings mehr von traumatisierten Soldaten, 2008 wurden 245 gezählt.

Erstaunlich wenig, ein Zeichen der überwiegend intensiven und erfolgreichen Begleitung, nicht zuletzt der psychologischen. In Vietnam waren es Abertausende, auch im Irak dürften die Quoten deutlich höher liegen. Die Bundeswehr wird mehr davon zu sehen bekommen, wenn Afghanistan in den kommenden Jahren instabil wird, schlimmstenfalls im Verbund mit Pakistan.

Wie müssen wir uns diese Traumata eigentlich vorstellen?

Die Symptome sind sehr unterschiedlich und oft kaum von der Volkskrankheit Depression unterscheidbar. Der Kern ist eine Erschütterung von drei Überzeugungen, die wir, alle Menschen, zum Leben brauchen und in früher Kindheit erfahren: Ich bin wertvoll, meine Umwelt ist berechenbar, und meine Umwelt - insbesondere andere Menschen - ist wohlwollend. Wer im Krieg war, in der von Menschen gemachten Katastrophe, kann dieses Grundgefühl verlieren. Es bleiben Schuld, Scham, Verzweiflung, große Angst. Damit kann man oft nicht mal zu Freunden oder zur Familie
gehen, in Isolation aber werden Traumata chronisch. Dann wird selbst
das Alltagsleben schwierig.

Arnold Zweig beschrieb in seinem Roman »Erziehung vor Verdun«, wie die Menschen im Krieg verwahrlosen, wie sich ihr Wesen, um einmal diesen altmodischen Begriff zu benutzen, verändert. Könnte man, um im Bild zu bleiben, heute für die Bundeswehr von einer »Erziehung am Hindukusch« sprechen?

Die ganze deutsche Gesellschaft wird am Hindukusch erzogen. Aus der ursprünglichen Motivation oder wenigstens Rhetorik der Verantwortlichkeit, der Einmischung für Menschenrechte, die viele dazu gebracht hat, die Intervention gutzuheißen, ist eine Mischung aus Konzeptlosigkeit und Gleichgültigkeit geworden. Ich habe von Spitzenpolitikern gehört, wie sehr die Planlosigkeit der westlichen Baller- und Patrouillen-Ausflüge in Afghanistan sie ernüchtert hat. Der Druck im Dampfkessel nimmt nicht ab, wenn man ihn zuschraubt und einen Mann mit Knarre davorstellt. Unterirdisch wächst aber die Verunsicherung. Die Frage, wie Afghanistan und andere Länder in 10, 20 Jahren aussehen sollen, ob die westlichen Regierungen das bestimmen dürfen und ob die Bundeswehr denn wirklich etwas Hilfreiches dort beitragen kann, ist dringlich und wird lauter werden.

Das Interview führte Harald Pätzolt