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Vom Lustnauer Tor durch die Welt

erschienen in Clara, Ausgabe 8,

Heike Hänsel ist entwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN. Wer mit ihr im Wahlkreis unterwegs ist, unternimmt auch immer eine Weltreise.

»SIMSITY« - schon mal gehört? Im vergangenen Herbst wurde das Eugen-Bolz Gymnasium in Rottenburg für eine Woche ein eigener Staat. »Schule als Staat« hieß das Projekt. Die Schülerinnen und Schüler regierten sich selbst. Auch wenn es abgeschlossen ist, die Auseinandersetzung mit politischen Themen geht weiter. Deshalb ist Heike Hänsel am 17. April Gast in zwei 10. Klassen des Gymnasiums. Die zukünftige Wählergeneration will wissen: Woher kommt die Vertreterin der LINKEN, und wie finden 16-Jährige Zugang zur Politik? Interesse dafür zu wecken - das macht die Abgeordnete mit Leidenschaft. Das Geschehen in der Welt hat schon frühzeitig ihre Neugier geweckt. Davon erzählt sie den Gymnasiasten.

Was Heike Hänsel als 20-jährige Theologiestudentin auf ihren ersten Reisen nach Chile und Kolumbien erlebte, prägte ihren Lebensweg. Sie hat weltweite Militärinterventionen und deren Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung hautnah erlebt, war im Irak, Bosnien, Serbien und im Kosovo. Erfahrungen aus den unter-schiedlichsten Friedensinitiativen, die sie immer wieder nach zivilen Konfliktlösungen in der Politik suchen lassen.

Verantwortung und konkrete Solidarität leben

Heike Hänsel findet schnell die Nähe zu Menschen und ihren Lebensumständen, zu den existenziellen Konflikten in der Welt. Die »Theologie der Befreiung«, die Option für die Armen, damit habe sie sich identifiziert. Ihr Traum war, Basisgemeinden vor Ort zu unterstützen. Ihren Glauben zu bewahren heißt für sie: »Verantwortung und konkrete Solidarität zu leben!« Die Armuts- und Friedensfragen beschäftigen sie seit damals in der Tübinger Friedensbewegung und bis heute als entwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN.

Heikes politische und familiäre Basis ist Tübingen, die friedensbewegte Universitätsstadt im drittgrößten Bundesland Baden-Württemberg mit »geistiger Tradition«. Hegel und Hölderlin haben hier gewirkt. Ernst Bloch hat hier gelehrt und sich mit Rudi Dutschke getroffen. DIE LINKE stellt hier in einem Bündnis vier Gemeinderäte, einen Europaabgeordneten und eine Bundestagsabgeordnete. Als Mitglied der
globalisierungskritischen Bewegung »Attac« und in der »Kultur des Friedens« engagiert, ist die außerparlamentarische Arbeit für Heike unverzichtbar: ob beim Protest gegen den G8-Gipfel, bei den Ostermärschen oder bei den Montagsdemos für soziale Gerechtigkeit - sie ist dabei. Der Kontakt auf der Straße und die Diskussionen sind dort einfach unmittelbarer. Sie will konkret handeln und tritt aktiv für eine neue politische Kultur ein. Dazu gehört: andere zu eigener politischer Aktivität ermutigen. Ihr Leitmotiv: das Blochsche »Prinzip Hoffnung«. In ihrem Tübinger Büro, am Lustnauer Tor, steht ein Klavier, das muss sein, auch das ist für sie politische Kultur. »Eingeweiht« zur Büroeröffnung von Konstantin Wecker, mit dem sie im Irak war.

Eine gerechte Welt ist möglich

Baden-Württemberg hat mit 4,3 Prozent bundesweit die niedrigste Arbeitslosenquote. Doch wenn die linke Politikerin die gegenwärtige Steuerpolitik und Lohnsenkungen durch Minijobs und Leiharbeit offenlegt, wird der versteckte Sozialabbau deutlich: Mit Stundenlöhnen von 4-5 Euro kann niemand mehr leben. Und das »satte«, gut situierte Baden-Württemberg hält den bundesweiten Rekord in der Zunahme der Kinderarmut.

Dass DIE LINKE Lösungswege in sozial gerechter Verteilung sieht, ist eines der ersten Themen bei den 16-jährigen Schülern. Steuererleichterungen und -schlupflöcher, Interessenkonflikte, Profite, Niedriglohnsektoren, Bildungspolitik und Sozialabbau. Heike Hänsel versucht mit sehr anschaulichen Argumenten den Jugendlichen die Hintergründe linker Politik und ihrer Forderungen zu erklären. Die Kluft zwischen
»Siegern« und »Verlierern« wird immer größer. Es überrascht die Abgeordnete, wie einige 16-Jährige aus der Sicht der Vermögenden argumentieren und wie wenig hinterfragt wird. Das jugendliche Gerechtigkeitsgefühl aus Heikes Generation ist im medialen Zeitalter nicht mehr so stark ausgeprägt. Sie ermutigt die jungen Leute, sich die Welt mit eigenen Augen zu erschließen, und erzählt von ihrer letzten Reise nach Lateinamerika.

Zeichen gegen Gewalt

Eine lange Wegstrecke auf Pferden, fernab offizieller Delegationsrouten, lag hinter Heike Hänsel und der kleinen Gruppe im Grenzgebiet zwischen Kolumbien und Panama. Mit Pferdestärken im unwegsamen Gelände unterwegs zu sein, schärft die Sinne, weitet den Blick -man spürt, von wachsamen Einheimischen begleitet, umso nachhaltiger die bedrohliche Lebenssituation der Menschen. Seit über 40 Jahren ist die Region im bewaffneten Konflikt zwischen Militärs, Polizeigruppen, Paramilitärs und Guerilla zerrissen.

Die Latinos haben 1997 Zeichen gegen Gewalt gesetzt, ihre Gemeinschaft zu einer »Humanitären Zone« erklärt und ihr Friedensdorf San José de Apartadó gegründet. Seither leisten sie gewaltfreien Widerstand gegen ihre Vertreibung und wurden immer wieder Opfer von Verwüstungen und unbeschreiblichen Massakern durch Paramilitärs und Armee. Im Herbst 2007 bekamen sie den Aachener Friedenspreis. Dennoch leben die Bewohner in ständiger Bedrohung, sind traumatisiert. Heike Hänsel unterstützt die Friedensgemeinden mit ihrem Besuch vor Ort und übergibt Spenden. Sie weiß, diese Präsenz wird sich herumsprechen, wird den Schutzschild gegen das Klima der Angst stärken.

Als Mitglied des Deutschen Bundestages wurde sie vom kolumbianischen Generalstaatsanwalt empfangen. Heike Hänsel nutzt solche Gespräch in Regierungskreisen, um die Menschenrechtsverletzungen anzuprangern.
Wenn sie von den Reisen in Konfliktgebiete erzählt, wird spürbar, welche Kraft auch sie aus diesen Begeg-nungen mit nach Hause nimmt. Es sind diese scheinbar kleinen Momente, die Spuren hinterlassen und sie motivieren. Bewegende Erfahrungen, aber sie weiß, dass sie immer wieder ungelöste Probleme zurücklassen muss. Doch auch daraus zieht Heike ihre oppositionelle Kraft, trägt linke Politik in die Welt und stellt im Bundestag entscheidende Fragen, sucht Berührungspunkte für gemeinsames Handeln, zwingt zur Auseinandersetzung und die etablierten Parteien, sich zu verhalten.

Eine politische Lösung ist notwendig

Als das Gespräch mit den Schülern auf Afghanistan, herrschende Gewalt und die Forderung nach Abzug der Bundeswehr kommt, erzählt Heike Hänsel von ihrer Freundschaft zu Malalai Joya, der 29-jährigen af-ghanischen Abgeordneten. Es sind sehr authentische Argumente, die eine unbestechliche Sprache sprechen. Die jüngste Mandatsträgerin hat öffentlich Kritik gegen Fundamentalisten und bestehende Machtverhältnisse im Parlament ausgesprochen, wurde daraufhin ausgeschlossen. Auch vier Mordanschläge können sie an ihrem Kampf für ein friedliches Afghanistan nicht hindern. Sieben Jahre ausländischer Besatzung haben die Lebenssituation der Bevölkerung nicht nachhaltig ver-bessert. Für Heike Hänsel ist die logische Konsequenz: Politische Lösungen sind gefordert. Militär ist nicht gleichzeitig mehr Schutz - eine schwer verständliche Realität. Die Abgeordnete motiviert die Schüler, selbst aktiv zu werden, und ist überzeugt: »Bewegung von außen ist immer auch die Möglichkeit, Druck und Einfluss auf die Politik zu nehmen«. Als sie das Gymnasium verlässt, bleibt die Gewissheit, dass es noch reich-licher Überzeugungsarbeit bedarf.