Seit 25 Jahren gibt es in Berlin die WeiberWirtschaft: Eine Frauengenossenschaft, Europas größtes Gründerinnenzentrum und eine Erfolgsgeschichte.
Die WeiberWirtschaft fällt ins Auge. In großen, weithin lesbaren Buchstaben steht der Namenszug am straßenseitigen Gebäude des Gewerbehofes. Darunter ein Torbogen, breit genug für die Pferdefuhrwerke früher, und heute das Eingangstor zum „Standort der Chefinnen“ – zu einem Gewerbehof, der aus insgesamt drei Höfen besteht, und den Charme alter Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts verströmt. Hier residiert die Frauengenossenschaft WeiberWirtschaft, die in ihrer Größe und Zusammensetzung nach wie vor einmalig ist. Nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.
WeiberWirtschaft – das sind über 7.000 Quadratmeter Nutzfläche, mehr als 1.700 Genossenschafterinnen, Büros, Ateliers, Läden, zwei Restaurants beziehungsweise Cafés, eine Kantine, Praxisräume, Werkstätten, Konferenz- und Beratungsangebote, Wohnungen, eine Kindertagesstätte, Unternehmerinnen aus unterschiedlichsten Branchen, dazu Frauenvereine und -verbände. Alles und alle unter einem Dach, und alles in Frauenhand. Katja von der Bey lächelt ihr ansteckendes Lächeln bei der Aufzählung. Sie ist seit 1999 die Geschäftsführerin der WeiberWirtschaft. Aber dabei ist sie schon von Anfang an. Zunächst als Studentin in den 1980er Jahren, als die ersten Ideen für einen Arbeits- und Lebensort nur für Frauen entstanden. Ein Ort, an dem Frauen nach eigenen Regeln arbeiten und leben, selbstbestimmt und unabhängig, für sich und andere Frauen Jobs schaffen. Die promovierte Kunsthistorikerin erinnert sich daran, dass „Fetzen flogen“, damals Ende der 1980er Jahre, als eine Gruppe von Feministinnen sich durchsetzte und aus dem überschaubaren Frauenprojekt eine Genossenschaft in Gründung wurde, wenig später Unternehmerin, Bauherrin, ja sogar eine „Kapitalistin“. Nicht alles gleichzeitig und doch vieles parallel. Die Frauen ahnten, wenn sie ihre Ideen vom Wirtschaften gekoppelt an das Gemeinwohl, von Solidarität, von Geschlechtergerechtigkeit in die Praxis umsetzen wollten, dann brauchten sie selbst „Grundeigentum“.
Keine allein hätte so viel Geld zum Kauf einer Immobilie gehabt. Also setzten die Genossenschaftsgründerinnen einen „feministischen Geldkreislauf“ in Gang. „Viele Frauen legen kleine Beträge zusammen, kaufen damit eine große Immobilie.“ Im Dezember 1989 wird die Genossenschaft WeiberWirtschaft aus der Taufe gehoben. Die Mindestbeteiligung pro Genossenschaftsfrau beträgt zu dem Zeitpunkt 200 D-Mark, heute sind es 103 Euro. Aber nicht nur die Mitgliedsfrauen zeichnen Anteile, es sind auch viele Sympathisantinnen und Unterstützerinnen dabei. Ein erster Kauf scheitert. Der zweite gelingt. Der ehemalige DDR-Großbetrieb VEB Kosmetik in Berlin-Mitte kommt unter den Hammer. Die Treuhand will 20 Millionen D-Mark, die WeiberWirtschafts-Frauen unterschreiben im Oktober 1992 einen Kaufvertrag in Höhe von 12,3 Millionen D-Mark.
Die WeiberWirtschaft ist damit nicht nur eine Genossenschaft, sondern sie hat endlich „ihren eigenen Gewerbehof“, dazu viele Millionen Kauf- und Sanierungsschulden. Die Genossenschafterinnen werden Bauherrinnen, schlagen sich mit den Tücken der Altbausanierung herum, müssen Fördergeldauflagen akzeptieren oder abwehren, sammeln Spendengelder für den geplanten Kindergarten und halten mit unzähligen „selbstgebackenen Kuchen“ die Bauarbeiter bei Laune. Knappe zwei Jahre später beginnt die erste Vermietung. Heute gibt es eine Warteliste. Kein einziger Quadratmeter WeiberWirtschaft steht leer. Die ehemals großen Flächen wurde in kleinere eingeteilt, es gibt Bürogemeinschaften, faire Mietpreise, gegenseitige Unterstützung, viel Miteinanderreden – nicht selten auf dem Treppenabsatz oder in einem der Höfe, weil man sich ohnehin tagsüber über den Weg läuft. 300 Gründungen gab es seit der Gesamteröffnung im Jahr 1996, 70 Prozent davon überstanden die ersten drei schwierigen Geschäftsjahre. Inzwischen ist die WeiberWirtschaft die Adresse schlechthin für Berliner Existenzgründerinnen, sie ist bundesweit vernetzt und eine gefragte Partnerin bei politischen Entscheidungen.
Wer im Netz nach dem Begriff Weiberwirtschaft sucht, bekommt zu lesen, er stünde für „Abwertung“, auch für „Eigenschaften, die für einen Mann als nicht charakteristisch erachtet werden“. Katja von der Bey schmunzelt, spricht von „Spaß“ und „Ironie“ und „goldrichtiger Wahl“. Denn eines will die WeiberWirtschaft auf keinen Fall sein: „typisch Mann“.
Ausgezeichnete WeiberWirtschaft
° 2004 Anerkennungspreis des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) für das ökologische Gesamtkonzept ° 2005 Landespreis Berlin „Mutmacher der Nation“
° 2006 Einer der prämierten Orte im „Land der Ideen“
° 2007 Auszeichnung „Familienfreundlicher Betrieb Berlin-Mitte“
° 2008 „Preis der Regionen“ vom Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats
° 2013 Katja von der Bey, Geschäfts - führererin der WeiberWirtschaft, erhält den Berliner Frauenpreis
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