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Volldampf statt Schonfrist

Von Dietmar Bartsch, erschienen in Clara, Ausgabe 30,

100 Tage und mehr – DIE LINKE ist mit einem 100-Tage-Sofortprogramm in die neue Verantwortung gegangen. Aus guten Gründen, sagt Dietmar Bartsch.

Als Franklin D. Roosevelt 1933 zum Präsidenten der USA gewählt wurde, bat er um 100 Tage Schonfrist. Danach sollte sich erweisen, ob sein Reformprogramm »New Deal« wirkt, wollte er sich der ersten Bewertung stellen. Unsere neue Bundestagsfraktion hat auf ihrer ersten Klausurtagung Anfang Oktober vereinbart, sich selbst keine solche Frist einzuräumen und diese auch den Kontrahenten nicht zu gewähren. Nichts brauchen wir weniger als Abwarten und Stillstand. Mit einem Paket parlamentarischer Initiativen wollen wir bereits in den ersten 100 Tagen des 18. Deutschen Bundestages zeigen, wofür und wogegen DIE LINKE steht, und die anderen Fraktionen herausfordern.

Das erste mit diesem 100-Tage-Programm verbundene Signal richtet sich an unsere Wählerinnen und Wähler. Sie sollen wissen, dass wir im Parlament so handeln, wie wir es im Wahlkampf versprochen haben. Frieden und soziale Gerechtigkeit sind die Dreh- und Angelpunkte unserer Politik, die notwendigen Mittel müssen vor allem durch Umverteilung von oben nach unten gewonnen werden. Deshalb wollen wir eine Gerechtigkeitswende im Steuersystem, wozu einerseits zum Beispiel eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine Millionärssteuer zählen sollten, andererseits aber auch Vergünstigungen für Normalverdiener.

Sozial auch nach der Wahl

Wir möchten allen hier lebenden Menschen ein Angebot machen, das wir im Wahlprogramm so beschrieben haben: »Wir streiten für eine Gesellschaft, in der Selbstverständliches wieder gelten soll: dass niemand in Armut leben muss, alle von Arbeit gut leben können, der Lebensstandard im Alter gesichert ist, dass Reichtum nicht in den Händen weniger bleiben soll, sondern dass zum Wohle aller in die Gesellschaft investiert wird, dass in der Außenpolitik gilt: Nie wieder Krieg.« Deshalb werden von Armut oder Ausgrenzung Betroffene und Bedrohte in der LINKEN immer eine Partnerin haben. Wir wollen zugleich, dass Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte, Handwerker, Landwirte und andere sich selbst ausbeutende Selbstständige mehr vom Reichtum dieses Landes abbekommen. Soziale Gerechtigkeit ist ein Anliegen, für das wir bis in Kreise der Wohlhabenden hinein Unterstützerinnen und Unterstützer finden können. Für unverzichtbar halten wir LINKEN sofortige Schritte zur Sicherung elementarer Bedürfnisse: Strom und Miete müssen bezahlbar sein, Bildung und Gesundheit dürfen nicht vom Geldbeutel abhängen, Altersarmut muss verhindert und die Künstlersozialkasse gesichert werden.

Mit unseren Initiativen der ersten 100 Tage wollen wir aber auch die anderen Bundestagsfraktionen zwingen, Farbe zu bekennen. So liegen Anträge der LINKEN auf dem Tisch mit Forderungen, die SPD und Grüne im Wahlkampf ebenso wie wir vertreten haben. Dazu zählen die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, die Abschaffung des Betreuungsgeldes, die vollständige rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe, die Abschaffung sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen und der Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente. In ähnlicher Weise werden wir die Unionsparteien an deren Forderungen erinnern. Die Ost-West-Rentenangleichung ist beispielsweise ein bis heute unerfülltes Versprechen der Kanzlerin Merkel und der von ihr geführten Regierung. Ebenso harrt die im Grundgesetz verankerte Angleichung der Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet der Verwirklichung. Da bleiben wir dran.

Veränderung aus der Opposition

DIE LINKE wird Licht ins Dunkel scheinheiliger Politik bringen. Wir nehmen es beispielsweise nicht hin, wenn Entspannungspolitik proklamiert und Waffenexport praktiziert wird, wenn Giftgasangriffe – zu Recht! – kritisiert, aber mit chemischen Komponenten aus Deutschland erst möglich werden. Schnüffelei ist für uns nicht erst dann ein Problem, wenn es um das Handy der Regierungschefin geht, und der Kampf gegen Rechtsextremismus erfordert neben Bekenntnissen eben auch handfeste finanzielle und andere Mittel.

Von Roosevelt wurde in den 1930er Jahren angesichts der Weltwirtschaftskrise erwartet, dass er mit seiner Politik soziale Not lindert und die Wirtschaft ankurbelt. Ein Politikwechsel wäre 2013 auch in Deutschland nötig und angesichts des Ergebnisses der Bundestagswahl möglich. Wahrscheinlich wird aber Merkel und deren Politik behalten, auch wer SPD gewählt hat. Damit wächst die Verantwortung der oppositionellen LINKEN. Der wollen wir uns stellen. Dazu reihen wir uns ein in gesellschaftliche Bewegungen, gehen auf Verbände und Initiativen zu und wünschen uns noch bissigere Gewerkschaften. Die Mitglieder der Bundestagsfraktion DIE LINKE sind sich am Start in die neue Wahlperiode einig: Es geht um Volldampf statt Schonfrist!

Dietmar Bartsch ist 2. Stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE