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Verfolgt, bestraft und jetzt endlich entschädigt!

erschienen in Clara, Ausgabe 46,

Im Dezember 2017 verstarb Wolfgang Lauinger im Alter von 99 Jahren. Während der Nazi-Zeit saß er im Gefängnis, weil er mit Freunden Swingplatten hörte und des Schwulseins bezichtigt wurde. In den 1950er Jahren wurde er abermals verhaftet. Nur mit Glück entging er einer erneuten Verurteilung. Allein in der Bundesrepublik Deutschland wurden in den 1950er und 1960er Jahren etwa 50.000 Männer nach dem sogenannten Schwulenparagrafen verurteilt. Der Paragraf stellte einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe. Die DDR schaffte den Paragrafen 151 – wie er dort lautete – 1988 gänzlich ab. In der BRD wurde er erst im Jahr 1994 ersatzlos gestrichen. Die Vehemenz der strafrechtlichen Verfolgung von Schwulen in West- und – mit Abstrichen – in Ostdeutschland war ein europäischer »Sonderweg«, so der Journalist Johannes Kram. Die anderen europäischen Staaten diskriminierten auch, aber das Strafrecht wurde nicht so drastisch gegen schwule Liebe eingesetzt. Auch Lesben waren betroffen. Sie wurden strafrechtlich zwar nicht verfolgt, jedoch hart sozial ausgegrenzt.

Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, die Partei DIE LINKE wie auch ihre Vorgängerin PDS und Bündnis 90/Die Grünen bemühten sich seit mehr als zwei Jahrzehnten um die Rehabilitierung und Entschädigung verfolgter Homosexueller. Mit Erfolg: Mit dem 2017 verabschiedeten »Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen« erkannte das Parlament das Unrecht an und hob die Urteile nach Paragraf 175, 175a Strafgesetzbuch (StGB) in der Bundesrepublik und nach Paragraf 151 StGB der DDR auf. Damit haben seit Juli vergangenen Jahres Verurteilte endlich einen Rechtsanspruch auf Entschädigung. Das ist gut, aber nicht gut genug, wie ein Blick auf die Zahlen zeigt. Bis zum 20. Februar 2018 gingen beim Bundesamt für Justiz gerade einmal 81 Anträge auf Entschädigung ein. Davon wurden 54 genehmigt, drei abgelehnt. Bei zwei der negativ beschiedenen Fälle saßen die Antragsteller jeweils »nur« in Untersuchungshaft, wurden nicht verurteilt. Damit hätten sie keinen Anspruch auf Entschädigung. Einer dieser »Fälle« war Wolfgang Lauinger. Er hat bis kurz vor seinem Tod für das Entschädigungsgesetz gestritten.

Das Rehabilitierungsgesetz in der jetzigen Form vergisst diejenigen, die auch ohne Verurteilung unter der Strafverfolgung massiv leiden mussten. Dazu zählen auch Opfer von Zwangspsychiatrisierung, »freiwilliger« Kastration oder Elektroschocktherapie. Dass bislang nur so wenige Opfer Antrag auf Entschädigung stellten, liegt aber auch daran, dass die Möglichkeit der Entschädigung nicht ausreichend bekannt ist.

Die Fraktion DIELINKE setzt sich unter anderen mit der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) dafür ein, dass das Gesetz stärker öffentlich bekannt gemacht wird und die Lücken sofort geschlossen werden. Für Wolfgang Lauinger kommt das zu spät. Aber es gibt immer noch Tausende Männer, denen im hohen Alter zumindest ein kleines Stück Gerechtigkeit widerfahren könnte.

Doris Achelwilm ist queerpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE